Philosophie als Erbauung

24.07.2007
Wilhelm Schmid legt mit "Glück" einen Aufsatz zum philosophischen Glücksbegriff vor, der weder oberflächlich noch esoterisch glücksselig daherkommt. Vielmehr ist der Text mutig, denn er wagt etwas, das nicht mehr im Horizont der durchschnittlichen akademischen Philosophie liegt: Dem Publikum mitzuteilen, was die Philosophie zu den großen Lebensfragen zu sagen hat.
Echte akademische Philosophen fassen Publikationen wie die Vorliegende allenfalls mit spitzen Fingern an. Sie sind Spezialisten für die transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe bei Kant, sie wissen alles über den Weltbegriff bei Heidegger oder über die Geschichte der Wittgensteinschen Wahrheitstafeln. Aber ein kurzes Brevier zum Glück, offensichtlich geschrieben um das breite Lesepublikum philosophisch glücksfähig zu machen?

Igitt, nein, das ist Erbauungsliteratur und nie und nimmer satisfaktionsfähig. Wilhelm Schmid - selbsternannter Philosoph der Lebenskunst, siehe www.lebenskunstphilosophie.de - legt aber einen uneitel geschriebenen Aufsatz zu Geschichte und Systematik des philosophischen Glücksbegriffs vor, der weder oberflächlich noch irgendwie esoterisch glücksselig daherkommt.

Im Gegenteil, man muss Schmids Glücktext als mutig bezeichnen, denn er wagt etwas, das nicht mehr im Horizont der durchschnittlichen akademischen Philosophie liegt: Dem Publikum mitzuteilen, was die Philosophie zu den großen Lebensfragen zu sagen hat. Und sie hat natürlich etwas zu dazu zu sagen, schließlich hat sie - geistesgeschichtlich gesehen - die Rolle der Religion in Sachen Welterklärung schon seit langem übernommen.

Dass es bisweilen so aussah, dass sie sich damit übernommen zu haben schien, liegt auf der Hand: Wittgenstein beendete seinen "Tractatus" eher resignierend mit der Bemerkung, dass mit der Beherrschung der sprachtheoretischen, logischen Probleme, die großen philosophischen Fragen noch gar nicht berührt sein.

Und es scheint so, als habe die Philosophie als ganzes die bei Wittgenstein bescheidene Position auf ihren Rückzug in den Kokon der Spezialistendebatten übertragen: nur keine Lebensprobleme berühren. Das ist ein unerhörter Vorgang, ist doch der philosophische Humanismus von Erasmus bis Habermas, ein ernst zu nehmener, wahrscheinlicher alternativloser Gegenentwurf zur Unterwerfung unter die Glaubenssysteme. Heute zitieren die Medien lieber die Naturwissenschaften, allen voran die Neurowissenschaften, wenn es um das geglückte Leben geht - und das liegt natürlich auch an dem selbstverordneten Nichteinmischungspakt der Akademiker.

Wilhelm Schmids Ansatz ist post-postmodern. Das bedeutet: "Eine veränderte, andere Moderne wird eine Zeit der Arbeit am Sinn sein, nicht mehr seiner Auflösung. Anders wird diese Moderne sein, da es in ihr nicht mehr nur um die negative Freiheit der Befreiung geht, sondern um die positive Freiheit neuer, frei gewählter Bindungen."

Schmids Glücksbegriff ist ein prozessualer. Vielleicht ist die Erinnerung an das Auf und Ab des Lebens - die Gesamtwürdigung dieses merkwürdigen Phänomens Leben, das tiefste Glück, das Schmid beschreibt. Er plädiert für das illusionslose akzeptieren von Glücks- und Unglücksphasen. Auch die transzendente Dimension klammert er nicht aus. Er ist der überzeugenden Meinung, dass ein Leben ausschließlich in der Immanenz ohne Bezug zum Transzendenten fahl bleibt.

Schmids kleines Bändchen zum Glück ist ein Erbauungsbuch im besten Sinne. Die Moderne, auch die philosophische, hatte für diese Gattung nichts übrig. Es ist höchste Zeit, sich der therapeutischen Wurzeln der Philosophie zu besinnen. In dieser Entwicklung nimmt Wilhelm Schmid einen verdientermaßen selbstbewussten Platz ein.


Rezensiert von Marius Meller

Wilhelm Schmid: Glück - Alles, was Sie darüber wissen müssen, und warum es nicht das Wichtigste im Leben ist. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2007, 80 Seiten, 7 Euro