Philosoph des Pragmatismus

Von Jochen Stöckmann · 20.10.2009
"Er schrieb endlos über Amerika, amerikanische Politik und Probleme der Demokratie. Er war eine Kraft, die in den USA 'das Gute' befördert hat", würdigte der Philosoph Richard Rorty den Philosophen und Pädagogen John Dewey, der vor 150 Jahren geboren wurde.
"Als Logiker ist Dewey am besten, wenn ein Kind ihm gerade die Hosenbeine hochklettert und ein anderes in seinem Tintenfass herumfischt. Dadurch, dass er sich ein Appartement an der Ecke Broadway und 55. Straße genommen hatte, das auf beide Straßen hinausging, schaffte er es, sich mit hinreichend Lärm zu umgeben, um zu etwas Nachdenken zu kommen."

Auf dem stillen Lande, im US-Bundesstaat Vermont, wurde John Dewey am 20. Oktober 1859 geboren - im Trubel der Großstadt fand er zu seiner Berufung als Philosoph. Ganz bewusst ging der Professor für Psychologie und Pädagogik 1894 nach Chicago, in die zweitgrößte, hässlichste und für ihre sozialen Probleme berüchtigte Metropole. In diesem ganz und gar unakademischen Laboratorium entwickelte Dewey seine Lehre des "Pragmatismus": Begriffe der Philosophie sollten dem Kriterium der "Nützlichkeit" genügen, Ideen ihre Brauchbarkeit im alltäglichen Handeln beweisen. Für die Soziologie, deren Blüte in Chicago Dewey wesentlich beförderte, hieß das:

"Ein Individuum ist nichts Festgelegtes, was gebrauchsfertig zur Verfügung steht. Es ist stets etwas Erreichtes, und zwar etwas, was nicht in der Isolation erreicht wurde, sondern mit der Hilfe und Unterstützung von Bedingungen - kultureller und psychischer Art, die in 'kulturellen', ökonomischen, rechtlichen und politischen Institutionen sowie in der Wissenschaft und Kunst zu finden sind."

Das schrieb John Dewey über "Die Zukunft des Liberalismus", 1932, da war der einflussreiche Pädagoge und Gründer der als Anlaufstelle für deutsche Emigranten später so wichtigen New Yorker New School for Social Research bereits emeritiert. Es blieb ihm also genug Zeit, um sich für Bürgerrechte zu engagieren, wirtschaftlich Benachteiligten oder diskriminierten Minderheiten beizustehen und sich vor allem Gedanken darüber zu machen, wie an jenen Stellschrauben zu drehen sei, die das Zusammenleben der Individuen in einer Gesellschaft bestimmen.

In dieser Frage hatte sich John Dewey einen Streit mit Walter Lippmann geliefert, dem Herausgeber der Zeitschrift "New Republic". Experten, darin waren sich beide Kontrahenten einig, würden künftig über die Geschicke einer immer komplexeren Demokratie entscheiden. Für den Linksliberalen Dewey war eine Kontrolle dieser politischen Klasse durch die Öffentlichkeit unabdingbar, vor dem Auszählen der Stimmen sollte die Diskussion mit dem Bürger, Beratung und Überzeugung stehen:

"Möglicherweise kommt die Apathie der Wählerschaft von der belanglosen Künstlichkeit der Fragen, mit denen die Wähler in ebenso künstliche Aufregung versetzt werden sollen. Als Fragen, die heute von größtem Interesse sind, können Dinge genannt werden wie: das öffentliche Gesundheitswesen, Beschaffung von Wohnraum, Verkehr, Städteplanung, die wissenschaftliche Ordnung der Besteuerung. Das sind technische Angelegenheiten, sie müssen durch die Erforschung von Tatsachen erledigt werden."

Damit hatte Dewey auch die Aufgabe der Intellektuellen umrissen: Der Blick auf die Tatsachen, eine durch keine nebulösen Begriffe und zeitgeistige Schlagwörter verstellte Wahrnehmung waren das Credo seiner Philosophie des Pragmatismus:

"Den Ursprung des Staates damit zu erklären, dass der Mensch ein politisches Tier sei, ist, als ob man die Religion einem religiösen Instinkt zuschreibt oder die Familie der ehelichen und elterlichen Zuneigung. Solche Theorien verdoppeln bloß die zu erklärenden Wirkungen in eine sogenannte kausale Kraft. Sie ähneln der notorischen Macht von Opium, Menschen wegen seiner einschläfernden Kraft zum Einschlafen zu bringen."

Was dagegen John Dewey zu Papier brachte, lobte der "New Yorker" 1926 als Werke eines "Poeten, der sich auferlegt hat, nur über Politik und Metaphysik zu schreiben". Als Titel für das Dewey-Porträt hatten die Redakteure die Schlagzeile gewählt: "Der Mann, der uns zu dem machte, was wir sind." Keine schlechte Zusammenfassung der Meriten eines umtriebigen Publizisten, der sich jeder Attitüde des Meisterdenkers oder Talk-Show-Stars verweigerte, der aber mit seinen Büchern über Pädagogik dafür sorgte, dass im Schulunterricht nicht mehr geohrfeigt wurde, der sich noch bis zu seinem Tod im Jahr 1952 gegen jegliche Einschränkung bürgerlicher Freiheit und gegen totalitäre Herrschaftssysteme einsetzte. Der Philosoph Richard Rorty würdigte ihn unserer Tage mit den Worten:

"Er schrieb endlos über Amerika, amerikanische Politik und Probleme der Demokratie. Er war eine Kraft, die in den USA 'das Gute' befördert hat."