Philippe Buc: "Heiliger Krieg"

Selbst säkulare Gewalt rechtfertigt sich religiös

Fahndungsposter, das RAF-Terroristen zeigt
Heiliger Krieg und Terror gehören zusammen, meint Philippe Buc. © imago
Von Ulrich Baron · 07.11.2015
Philippe Bucs Exkurse ins Mittelalter ufern bisweilen etwas aus, doch sie liefern klare Einsichten in Ängste, die mit sogenannten "Heiligen Kriegen" bekämpft wie geweckt werden. Der Mediävist spannt Bögen, die von christlichen Märtyrern bis zur "Rote-Armee-Fraktion" reichen.
Mit "Heiligem Krieg" wird der europäische Leser wahrscheinlich Kreuzzüge und Dschihad verbinden. Der Mediävist Philippe Buc allerdings spannt viel weitere Bögen, die von frühen christlichen Märtyrern bis zum amerikanischen Krieg im Irak, von fanatischen Sekten bis zur deutschen "Rote-Armee-Fraktion" reichen.
Auch "säkulare Gewalt" sei nämlich besser zu verstehen, wenn man ihre Rechtfertigung in religiöse Termini zurückübersetze. In Paris geboren und im kalifornischen Stanford lehrend, erkennt der theologisch geschulte Historiker in Militäreinsätzen der USA ein wohlvertrautes Muster wieder.
"Genauer soll gezeigt werden, wie viel sie dem Einfluss tiefsitzender christlicher Ideen von Freiheit, Reinheit, Universalismus, Märtyrertum und Geschichte verdanken, die noch bis vor kurzem in Westeuropa vorherrschend waren."
Nicht nur in der mittelalterlichen Bibelauslegung habe sich das spirituelle Ringen um den rechten Glauben mit dem Kampf gegen Ungläubige und Häretiker verknüpft. Vielmehr ist für ihn William Boykin auch ein Geistesverwandter des Herzogs von Brabant.
Während der adlige Feldherr 1197 nach Jerusalem aufbrach, um "sichtbare wie unsichtbare Sarazenen zu besiegen", hielt der frühere stellvertretende Unterstaatssekretär für den Geheimdienst im amerikanischen Verteidigungsministerium, protestantischen Kirchengemeinden Vorträge über den Krieg gegen den Terrorismus. Das war in den Jahren 2002 und 2003.
"Er zeigte seiner Zuhörerschaft Dias von Osama bin Laden, Saddam Hussein sowie dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-Il und stellte die rhetorische Frage, ob diese Personen der Feind seien. Die Antwort gab er selbst: Der wahre Feind sei spirituell, 'Die Macht der Finsternis', 'ein Kerl namens Satan'."
Dschidhadisten geistig überraschend normal
Ob der Generalleutnant selbst seiner religiösen Rhetorik glaubte, sei dahingestellt, doch bei seinem Publikum scheint sie angekommen zu sein. Weshalb Philippe Buc vor aufgeklärter Überheblichkeit warnt, indem er auf den französischen Sozialphilosophen Georges Sorel verweist, der um die Wende zum 20. Jahrhundert lebte.
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Cover: "Heiliger Krieg"© Verlag Philipp von Zabern
"Für den Ideologen Sorel war der religiöse Enthusiasmus – mochte die Religion Ersatz oder authentisch sein – kein Zeichen von geistiger Stumpfheit. Menschen, die die Ideologie an die erste Stelle setzten, konnten im praktischen Umgang damit recht gewitzt sein."
Voltaire hatte Fanatismus noch als "einen dunklen und blutigen religiösen Wahnsinn" abgetan. Dem Philosophen hält der Historiker eine neuere Studie entgegen, nach der Dschihadisten "in Kategorien der geistigen Gesundheit überraschend normal" seien.
Wie aber werden normale Menschen von religiös Gläubigen zu Märtyrern und Gewalttätern? Weil die Welt ihren Idealen nicht entspreche und weil religiöses Denken zur Abgrenzung neige, zur rabulistischen Scheidung der Gläubigen von den Ungläubigen bis hin zur Eskalation. Ähnlich hätten sich die Mitglieder der "RAF" in absurder Weltsicht in einen Kampf mit einem vermeintlich faschistischen System verstrickt gesehen.
"Weil die Terroristen und der Staat sich in ihren Wertvorstellungen so nahe waren, gewann der Kampf zwischen ihnen eine Intensität und Härte, die einem weniger kulturimmanenten Konflikt vielleicht gefehlt hätte. Beide Seiten beschuldigten einander des Nazismus, so wie christliche Sekten oder Konfessionen der jeweils anderen Seite heidnische oder judaisierende Neigungen vorwarfen."
Abweichler fanatischer bekämpft als Andersgläubige
In einer Eskalation des Misstrauens würden Abweichler aus den eigenen Reihen oft fanatischer bekämpft als Andersgläubige, weil sie als Insider die Reinheit des eigenen Glaubens stärker gefährdeten. Entsprechend hätten sich die Revolutionäre Frankreichs und Russland immer neue Konterrevolutionäre erfunden, getrieben von einer "satanischen Logik".
"Der scheinbare Erfolg der Guten gegen einen Typ von Verfolgern brachte den Teufel dazu, eine neue Gestalt anzunehmen und seine Bemühungen zu verdoppeln."
Je vollkommener eine Gemeinschaft angesehen werde, umso brutaler wehre sie sich. Und je mehr sie sich nach außen abschotte, desto stärker wachse die Angst, der Teufel könnte sich längst eingeschlichen haben.
"Heiliger Krieg und Terror gehören zusammen (...) Eine Gemeinsamkeit besteht in der Bereitschaft, gewaltsam gegen Heiden und religiöse Abweichler, gegen äußere und innere Feinde vorzugehen."
Selbst der Rechtsgläubigste kann so unversehens unter Druck geraten, seine Gesinnung beweisen und gewaltsam die religiöse oder säkulare Gemeinde verteidigen zu müssen.
Mögen Philippe Bucs Exkurse ins Mittelalter auch bisweilen etwas ausufern, so liefert er auf die Gegenwart bezogen klare Einsichten in Ängste, die mit sogenannten "Heiligen Kriegen" gleichermaßen bekämpft wie geweckt werden.
Philippe Buc: "Heiliger Krieg - Gewalt im Namen des Christentums"
Aus dem Englischen von Michael Haupt
Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2015
423 Seiten, 39,95 Euro
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