Pflege

Inklusion im Altersheim

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Es geht nur gemeinsam: Im Erlenhof leben behinderte und nicht-behinderte Senioren zusammen. © dpa / picture alliance / Daniel Reinhardt
Von Elin Rosteck · 24.09.2014
Der Erlenhof in Schleswig-Holstein ist eigentlich eine Behinderten-Einrichtung. Doch die Bewohner können hier auch dann bleiben, wenn sie alt und pflegebedürftig werden - bisher eine Seltenheit in Deutschland. Aber der Hof ist noch aus einem anderen Grund etwas ganz Besonderes: Er ist auch offen für nicht-behinderte Senioren.
"Was machst Du denn da?"
"Geschirr auspacken - was wollt Ihr auspacken?"
"Die Spüle, wir haben doch Küchendienst."
"Ach hinten, von der Kochgruppe noch?"
"Ja..."
Große Teller, kleine Teller und Nachtisch-Schälchen; das meiste unkaputtbar, aus buntem Kunststoff. Mit Schwung räumt Ursula Gläser die Spülmaschine aus.
"Eintopf gab es; Porree, Wurzeln, alles durcheinander, und Klößchen... Lecker, ja? Ja, lecker"
Gläser ist kräftig gebaut und schon etwas vornüber gebeugt. 68 Jahre alt und seit vielen, vielen Jahren Bewohnerin des Erlenhofs, einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung, auf dem platten Land, in Schleswig-Holstein.
"Ja, war mir erst komisch so; und nachher hab ich mich eingelebt; 24 Jahre auf dem Erlenhof und nächstes Jahr bin ich 25 Jahre auf dem Erlenhof, ja..."
Sie strahlt über´s ganze Gesicht und wischt sich die Hände ab.
"So, den Rest kann Marga dann weg räumen. Denn holen wir ihr!"
Sie kennt jeden einzelnen Bewohner
Marga, das ist ihre Busenfreundin, vormals Inhaberin der Gaststätte im Dorf und seit zwei Jahren Mitbewohnerin im Erlenhof. Ursula tritt aus der Kochnische und schlufft los, sie suchen. Sie kennt sich hier aus in dem Neubau, mit seinen großen Räumen, aber auch mit den vielen kleinen Nischen und Ecken, in die man sich zurückziehen kann; und sie kennt jeden einzelnen Bewohner.
"Na, Süße?" – "Na." - "Bist Du operiert worden?" - "Ja, erzähle ich Dir später..."
Renate, ebenfalls im Rentenalter, geht am Rollator. Sie braucht Pflege, die sie hier im Erlenhof auch kriegen kann. Das ist eine absolute Seltenheit, die wenigsten Wohn-und Werkstätten für Menschen mit Behinderung sind schon darauf eingestellt, dass ihre Bewohner alt werden. An den meisten Orten müssen die, wenn sie alt werden, in ein "normales" Alten-und Pflegeheim umziehen; in eine fremde Umgebung mit fremden Menschen. Ursula bleibt das erspart; sie bleibt, wo sie auch zuhause ist.
"Das Geschirr musst du noch wegstellen!" – "Was für Geschirr?" – "Das wir heute gekocht haben." – "Ach ja, um drei..."
Sie setzt sich zu ihrer Freundin an den Tisch im großen Speisesaal. Marga Langhann, weißes langes Haar; ein breites Gesicht und kräftige Hände; sie war Gastwirtin, 40 Jahre lang. Nun ist sie alt, und manchmal ein kleines bisschen tüddelig. Als das Altersheim im Dorf vor vier Jahren zumachte, öffnete die Seniorenwohnanlage auf dem Erlenhof seine Türen auch für die Alten aus der Umgebung. Und Marga konnte einen der begehrten Plätze ergattern.
"Ich kam hierher, weil meine Tochter schwerkrank war, ne?" – "Ja, das stimmt." – "Und da war sie in... in so einer Reha. Da hat man mich hierher gebracht; und wie sie wieder kam, hab ich gesagt: Ich hab hier mein eigenes Zimmer, ich möchte hier bleiben. Und seitdem bin ich hier. Mir gefällt das hier gut. Ja, wirklich. Wir sind beide im Chor - seit 20 Jahren bin ich hier im Chor – und ich, solange ich hier bin..."
Die beiden verstehen sich einfach: Inklusion mal andersherum, die Menschen mit nehmen die ohne Behinderung an die Hand, in ihrem Zuhause. Ein Nebeneffekt, mit dem die Leiterin der Senioren-Einrichtung, Annette Zimmermann, gar nicht so sehr gerechnet hatte. Oft gehen "normale" Alte ja nicht so gern ins Altersheim, aber hier ist das anders. Ursula und Margas Gesang ist sogar in Zimmermanns Büro noch zu hören; als tönendes Beispiel einer neuen Freundschaft.
Irgendeiner hat immer Besuch
"Unsere Bewohner, die aus der Wohnstätte kommen und hierher kommen, sind glücklich und zufrieden, wenn sie zu uns kommen und das ist ihr Zuhause. Und das versuchen sie dann eben auch, rüber zu bringen und das ist wieder das Schöne, es geht auch rüber auf die anderen Bewohner, die aus Aukrug kommen. Sie ziehen sie dann mit."
Schwer fällt das hier keinem. Down-Syndrom oder Wasserkopf, Schlaganfall oder einsetzende Demenz, bei der täglichen Mensch-ärgere-Dich-nicht-Runde sind alle willkommen, sogar und völlig natürlich auch die Angehörigen der Dorfbewohner. Ob Marga, die Krögerin, oder Herr Rase, der früher mal das Gardinen-Geschäft in Aukrug hatte, für irgendeinen ist immer gerade Besuch da und das tut allen gut, freut sich die Leiterin.
"Viele Bewohner, die bei uns wohnen, also Menschen mit geistiger Behinderung haben ja keine eigenen Kinder; und dann hat man nicht so viele Besuch im Haus, da sind wir die Familie meistens. Und dadurch, dass wir uns geöffnet haben für Bewohner aus dem Dorf, haben wir ganz viele Besucher im Haus. Das ist ganz was Schönes."
Ihr Konzept könnte sich auch an anderen Orten bewähren, meint sie. Sie selbst denkt schon vorsichtig über eine Erweiterung der Einrichtung in Aukrug nach.
Ursula und Marga sind dagegen abgetaucht beim Mensch-ärgere-Dich-nicht. Marga wird rausgeschmissen, Urslua tröstet sie. Dass da noch unaufgeräumtes Geschirr auf die beiden wartet, das haben sie vor lauter Trubel völlig vergessen.
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