Pflanzenabfall gegen Malaria

Von Nadine Querfurth · 27.04.2013
Jährlich erkranken fast 220 Millionen Menschen an Malaria. Obwohl es Möglichkeiten gibt, Malaria medikamentös zu behandeln, überleben über eine halbe Million Menschen die Erkrankung nicht. Die Forschung an Impfstoffen und die Suche nach Medikamenten laufen auf Hochtouren.
An einer Sandpiste steht ein hellgelbes Betonhäuschen. Es ist die Krankenstation des Dorfes Nzoge Bang in der Nähe von Lambaréné im westafrikanischen Gabun. Zum nächsten Krankenhaus sind es 20 Kilometer: für die meisten Patienten zu weit, deshalb kommt Schwester Sophie zu Ihnen. In der Regenzeit einmal im Monat. Sie unterstützt die Stationsschwester, denn momentan erkranken viele an Malaria.

Die Medikamente bringt sie aus der Apotheke des Hospitals mit, das nach dem Arzt, Theologen und Philosophen Albert Schweitzer benannt ist. 1913 kam er nach einer langen Seereise in Gabun an und legte an den Flussufern des Ogué den Grundstein für das heutige Hospital. Sophie und die Stationsschwester entladen einen Geländewagen, der mit dem Nötigsten zur Gesundheitsversorgung gepackt ist: Metallkisten und Arztkoffer sowie Stühle und Klapptafeln für die Vorsorgekurse.

Drei Mütter mit Säugling im Arm warten schon. Schwester Sophie untersucht sie und gibt Tipps, wie die Mütter sich und ihre Kinder vor Malaria schützen können, denn ihr Motto ist Vorbeugen statt Heilen:

"Um Malaria zu bekämpfen, ist das Wichtigste, den Wohnbereich sauber und hygienisch zu halten. Das heißt: Um die Hütten herum zu fegen, das Gras kurz zu halten, zu putzen, abgestandenes und gebrauchtes Wasser zu entsorgen. Ab einer bestimmten Tageszeit sollten unbedingt die Fensterläden und Türen geschlossen sein, um die Malaria Mücken nicht hereinzulassen."

Viele der Mütter sind selbst noch Kinder, 13 oder 14 Jahre alt. Dreiviertel der Babys wachsen ohne Vater auf, die Mütter sind ganz auf sich alleine gestellt. Wie oft hat Krankenschwester Sophie ihnen schon nahe gelegt, ihre Kinder unter mit Insektizid behandelten Bettnetzen schlafen zu lassen. Ob es bei den jungen Müttern ankommt, weiß sie nicht:

"Viele von ihnen sind sehr jung und nicht so gebildet. Wenn man ihnen Informationen zur Vorsorge anbietet, ist ihnen das oft sehr peinlich. Sie sind unsicher und nicht belastbar genug, um für ein Baby zu sorgen. Es kann sogar sein, dass eine junge Mutter ihr Kind verliert, weil sie nicht schnell genug die richtigen Maßnahmen ergriffen hat."

Der kleine Ogowe, 18 Monate alt, liegt im Arm seiner Mutter. Er wirkt apathisch, hat seit Tagen hohes Fieber. Schwester Sophie untersucht ihn, ihre Vermutung bestätigt sich: Le Palu, sagt sie. Französisch für Malaria. Kinder bis fünf Jahre zählen noch immer zu den Hauptbetroffenen, die an schwerer Malaria erkranken und sterben. 219 Millionen Erkrankte weltweit ermittelte die Weltgesundheitsorganisation WHO im aktuellen Malaria-Report für das Jahr 2010. 660.000 Menschen überlebten die Erkrankung nicht, fast 90 Prozent davon Kinder unter fünf Jahren.

Damit ist schwere Malaria auf dem afrikanischen Kontinent immer noch Todesursache Nummer eins, noch vor Aids. Die Immunabwehr von afrikanischen Kleinkindern und Säuglingen lässt sich ganz gut mit der von Europäern vergleichen, sagt der Kinderarzt Dr. Jörn Lange:

"Der Körper ist sozusagen nicht darauf vorbereitet auf diesen Erreger zu reagieren. Das liegt daran, dass das Immunsystem den Malaria-Erreger nicht kennt."

Einen gewissen Schutz gegen Malaria, Ärzte sprechen von einer Teilimmunität, können Menschen entwickeln, die in Malaria-Gebieten leben, so zum Beispiel auch Dr. Maxime Agnandji, Arzt am Forschungszentrum in Lambaréné:

"Mein Körper hat die Krankheit durchgemacht und ist jetzt so widerstandsfähig, dass ich bei einer erneuten Infektion nicht mehr daran sterben werde. Der Organismus ist also etwas geschützt. Kinder müssen erst mit dem Erreger konfrontiert werden, um diese Teilimmunität bis zur frühen Pubertät zu entwickeln."

Dem kleinen an Malaria erkrankten Ogowe muss jetzt schnell geholfen werden. Schwere Malaria würde man sofort intravenös mit Chinin behandeln; so schwer ist Ogowe aber nicht erkrankt.

"Die momentane Strategie gegen den Malaria-Erreger ist eine Kombination aus zwei verschiedenen Medikamenten. Der Wirkstoff - Artemisinin - wird aus einer chinesischen Pflanze gewonnen und ist in Afrika heutzutage das Mittel der Wahl gegen Malaria. Ein zweites wird in Kombination dazugegeben. Die Therapie heißt ACT - Artemisinin Kombinationstherapie."

Schwester Sophie verabreicht dem kleinen Ogowe das Malaria-Medikament in Form eines roten Saftes. Ihm wird es bei ihrem nächsten Besuch deutlich besser gehen.

Seitdem die WHO die ACT-Kombinationstherapie zur medikamentösen Behandlung von Malaria empfiehlt, ist die Nachfrage an Artemisinin, dem Grundstoff dafür, enorm hoch. Der Wirkstoff kommt in Blüten und Blättern der einjährigen Beifußpflanze Artemisia annua vor, die für den Bedarf der Pharmaindustrie in Ländern Zentralafrikas und Südostasiens, in China und mittlerweile auch in Südamerika von Kleinbauern angebaut wird. Artemisinin aus der Pflanze zu extrahieren, ist allerdings sehr aufwendig, denn der Anteil in der Pflanze liegt nur bei gut einem Prozent. Das heißt, zwei Tonnen Blattmaterial liefern nur zwei bis drei Kilogramm des weißen Artemisinin-Pulvers.

Der Rest ist Abfall. Nach Schätzungen werden aber 150 Tonnen pro Jahr benötigt, um den Weltbedarf für die Medikamentenproduktion zu decken. So viel zu liefern ist für die Kleinbauern schlicht unmöglich. Zudem macht die kostspielige Extraktion aus der Pflanze Artemisinin-haltige Medikamente extrem teuer.

Eine Lösung für dieses Problem könnte aus Golm bei Potsdam kommen, 10.000 Kilometer vom gabunesischen Dorf Nzoge Bang entfernt. Professor Peter Seeberger leitet hier als Direktor das Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung und hat einen Lehrstuhl am Institut für Chemie an der Freien Universität Berlin inne:

"Die Herausforderung ist nun, Artemisinin in größeren Mengen billiger herzustellen, sodass das Medikament auch in Afrika zu einem Preis angeboten werden kann, den die Leute sich leisten können. Und der Preis wäre ungefähr von ein bis zwei Dollar."

Seeberger hat mit einem Kollegen ein Verfahren entwickelt, das Artemisinin schneller, günstiger und in höherer Ausbeute liefert. Ausgangsprodukt für Seebergers Synthese sind Reste aus der Beifußextraktion, die bisher weggeworfen wurden. Sie enthalten aber noch hohe Mengen einer pflanzlichen Säure, die chemisch auch zu Artemisinin umgewandelt werden kann. Ein wichtiger Schritt dabei ist eine Fotoreaktion. Pharmafirmen haben das Verfahren bisher mit einem anderen Ausgangsstoff in vielen Einzelreaktionen in riesig großen Gefäßen durchgeführt. Das sei nicht wirtschaftlich, so Professor Seeberger.

In einem Labor am Institut für Chemie und Biochemie der Freien Universität Berlin. Unter einer Abzugshaube steht eine surrende Maschine, bestehend aus einer Pumpe, einem Lichtkäfig und vielen Schläuchen. Nicht größer als ein Schuhkarton. In dem Lichtkäfig winden sich dünne Schläuche direkt um eine LED-Lampe, so wird die Flüssigkeit kontinuierlich mit großer Lichtintensität bestrahlt. Die dabei ablaufende Fotoreaktion ist ein entscheidender Schritt in dem Syntheseverfahren. Der Chemiker Dr. Daniel Kopetzki zeigt auf ein Glasgefäß mit einer Flüssigkeit darin:

"Das wird mithilfe dieser Pumpe durch die dünnen Schläuche gepumpt und hier mit Sauerstoffgas vermischt und in den Fotoreaktor eingeleitet. Das ist ein sehr starkes violettes Licht. Das strahlt zentral auf den Schlauch drauf in einem geringen Abstand von ein paar Zentimetern. Die Reaktion läuft deswegen extrem schnell ab. Am Schluss wird dann Artemisinin erhalten und das tropft hier aus dem Schlauch heraus."

Damit haben Seeberger und seine Kollegen als Novum erreicht, dass die Lösung im Durchfluss immer komplett mit Licht bestrahlt ist und die Reaktion effizienter und schneller abläuft, in nur rund fünf Minuten.

"Der Trick war wirklich nur, anstelle die Reaktion ein einem Topf zu machen, das in einem sehr dünnen Rohr durchzuführen. Wir können jetzt 65 Prozent des Reinmaterials erhalten, ausgehend von einem Abfallstoff, der heute weggeworfen wird."

Seeberger hat Großes vor mit seinem Verfahren, das Chemiker Durchflusszytometrie nennen. Seit Kurzem ist es patentrechtlich geschützt. Die handliche Apparatur stellt 150 Gramm Artemisinin am Tag her. Seeberger will die Produktion noch dieses Jahr hochskalieren. Geplant sind Reaktoren, die bis zu zehn Tonnen pro Jahr herstellen. Außerdem soll das Produkt Artemisinin chemisch noch leicht verändert werden.

"Wir sind jetzt auch in der Lage aus den Abfallstoffen direkt die Malariamedikamente Artesunat und Artemeter herzustellen. Und wir werden dann mit Firmen arbeiten, die Tabletten herstellen und diese dann vertreiben. Man könnte sich zum Beispiel Stiftungen oder Ärzte ohne Grenzen vorstellen, um dann möglichst kostengünstig diese Medikamente an die Endverbraucher abzugeben. Es wird angestrebt, dass insgesamt eine zehnfache Kostenreduktion stattfinden muss. Ich denke, das werden wir noch nicht ganz schaffen, aber falls wir den Preis, wir hoffen um mindestens ein Drittel oder die Hälfte senken können, dann wären wir schon ein ganzes Stück in die richtige Richtung gegangen."

Schwester Sophie ist mittlerweile umringt von den Müttern: Alle wippen und klatschen gemeinsam im Takt:

"Einige der Mütter verstehen weder die Erklärungen des Vorsorgekurses noch die Bilder der Klapptafeln, die wir verwenden. Ich hoffe, sie verstehen die Zusammenhänge durch die Lieder und Melodien, die wir gemeinsam singen."

Wenn Seebergers Artemisinin-Produktion im fernen Europa bald startet und die gepressten Tabletten zur Akut-Behandlung von Malaria nur noch einen Bruchteil des momentanen Preises kosten, wären sie in der Dorfapotheke stets verfügbar. Die Mütter müssten nicht mehr warten, bis Schwester Sophie nach Nzoge Bang kommt. Denn schnelles Handeln ist bei Malaria immer noch ein entscheidender Faktor: Je schneller der Erreger im Körper gestoppt wird, desto größer ist die Chance auf Heilung von einer der verheerendsten Tropenkrankheiten weltweit.
Peter Seeberger mit einem Molekülmodell des Malariamedikaments Artemisinin.
Peter Seeberger mit einem Molekülmodell des Malariamedikaments Artemisinin.© Ulrich Kleiner - www.peter-seeberger.de