Petz: Weißrussland bewegt sich auf EU zu

Ingo Petz im Gespräch mit Britta Bürger · 17.11.2009
Der Weißrussland-Experte Ingo Petz meint, das Investitionsklima für ausländische Firmen habe sich in der letzten Diktatur Europas wesentlich verbessert - denn das Land sei von der Finanzkrise voll erfasst. "Man versucht, Geld ins Land zu holen", sagt Petz.
Britta Bürger: Ob die letzte Diktatur in Europa tatsächlich bereit ist, sich zu wandeln, das beobachtet der Journalist Ingo Petz seit mittlerweile 15 Jahren. Er ist Vorstandsmitglied der deutsch-belarussischen Gesellschaft und reist regelmäßig mehrfach im Jahr durch das Land, ist mit der Opposition vernetzt und arbeitet gerade an einem Buch mit Reiseerzählungen aus Weißrussland. Schönen guten Tag, Herr Petz!

Ingo Petz: Hallo zusammen!

Bürger: Wir haben es eben im Beitrag gehört, die Wirtschaftskrise hat Weißrussland schwer getroffen, Sie waren gerade wieder dort. Wie macht sich die Krise denn bemerkbar?

Petz: Also grundsätzlich, ich merke das immer so ein bisschen an meinen Freunden, also dass sie anfangen, mehrere Jobs zu suchen. Also die Löhne sind sowieso relativ niedrig in Weißrussland. Mir fällt es soundso manchmal schwer zu verstehen, wie man da überlebt, also mit 350 Dollar, Euro im Monat als Ärztin beispielsweise, eine meiner Freundinnen ist Ärztin, und wie man anfängt, einfach mehrere Jobs nebeneinander zu suchen. Aber das ist nur ein Grund. Ich glaube, am besten sieht man, wie schwer das Land getroffen ist, dadurch, dass es sich auf die EU zubewegt. Also man sucht nach Investitionen, man sucht nach Geld, und das ist eigentlich das größte Zeichen für die Wirtschaftskrise.

Bürger: In welchen Bereichen spürt man das?

Petz: Das merkt man vor allem – ich war jetzt gerade auf dem Minsk-Forum, das ist eine große Konferenz in Belarus, die ursprünglich vor zwölf Jahren mal eingerichtet worden ist, um Opposition und Regimeleute an einen Tisch zu bringen, und das Hauptthema Wirtschaft. Und im wirtschaftlichen Bereich passiert tatsächlich sehr, sehr viel. Das Investitionsklima, das hat sich für ausländische Firmen, hat sich tatsächlich wesentlich verbessert, und das war das große Thema auf der Konferenz. Also man versucht, Geld ins Land zu holen, Investitionen. Ob das natürlich, also in einem Land, wo Rechtssicherheit natürlich auf sehr tönernen Füßen steht, ob das so eine gute Idee ist, ist natürlich die Frage, aber Weißrussland, also die Beziehung EU-Belarus, ist soundso eine Gratwanderung sondergleichen.

Bürger: Sie haben im Rahmen von diesem Minsk-Forum selbst auch dort über Jugendkultur gesprochen, sich damit ausführlich befasst, wie beurteilt denn die junge Generation den Präsidenten Lukaschenko?

Petz: Also die Jugend gibt es ja sowieso nicht, es gibt natürlich unterschiedliche Jugendliche. Ich bin vor allem mit den, also ich nenne die immer die Kritisch-Kreativen vernetzt, das sind Jugendliche, die also urban sind, vor allem gebildet, vor allem in Minsk leben, die ein selbstbestimmtes Leben wollen, die die Wahl der Möglichkeit haben wollen, so wie wir das kennen, also sie wollen sich aussuchen können, wohin sie reisen, wie sie leben wollen. Das ist in Belarus heute nur schwer möglich. Und die suchen sich, ja, ihre eigenen Wege, um dieses Leben sich zu ermöglichen. Das ist in Belarus, in Nischen ist das teilweise möglich, aber nicht im Großen und Ganzen.

Und dann gibt es natürlich Jugendliche, die also komplett, die Angst haben, also viele Jugendliche haben natürlich Angst, gerade in die Politik zu gehen oder sich selbst zu entfalten, kritisch zu sein, weil man natürlich auch von der Universität geschmissen werden kann, weil man keine Arbeit findet, wenn man sich politisch äußert. Also das ist sehr unterschiedlich. Und viele flüchten sich in so eine gewisse Apathie, Konsumismus, Materialismus, das sind auch Bewegungen, die es natürlich bei uns auch gibt, aber in Belarus ist einfach …

Bürger: Das klingt eher unpolitisch.

Petz: Ja, aber das muss man über einen längeren Zeitraum sehen. Also es ist, was heißt schon politisch? Also in einer Diktatur und in einer Autokratie ist natürlich alles politisch, was man irgendwie tut, und Lukaschenko hat natürlich darauf gesetzt, also die Jugendlichen im Großen und Ganzen von der Politik fernzuhalten. Auf der anderen Seite muss man auch sehen, dass die Opposition gerade diesen Kritisch-Kreativen sehr, ja, mittlerweile sehr unangenehm ist, weil sie zu, ich glaube, zu konfrontativ, zu negativ, zu destruktiv ist. Und das ist auch ein Grund, warum sie sich ins Internet flüchten und da so ihre eigenen Projekte machen.

Das klingt vielleicht unpolitisch, aber hat viel einfach mit so grundsätzlichen Werten wie Freiheit, Selbstverwirklichung, Selbstentfaltung, ja, Nonkonformismus zu tun und ist letzten Endes, glaube ich, in der Diktatur kann das sehr, sehr politisch sein. Also es ist nicht parteipolitisch natürlich, aber gesellschaftspolitisch. Man kennt das ja auch aus der DDR, da gab es ja auch solche Bewegungen beispielsweise.

Bürger: Weißrussland und der Westen, wie bereit ist das Land, unter Präsident Lukaschenko sich zu wandeln? Das ist unser Thema hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Journalisten Ingo Petz, einem profunden Kenner des Landes. In einem Aufsatz, da haben Sie geschrieben, Herr Petz, Sie hätten sich in Weißrussland verliebt. Sie sagen das über ein Land, das andere als Schandfleck bezeichnen. Können Sie diese Liebe beschreiben?

Petz: Das ist natürlich so eine sehr spröde Liebe, es ist natürlich auch eine Hassliebe in einer gewissen Form. Also Länder zu lieben, ist natürlich grundsätzlich eine schwierige Geschichte, weil es ja sehr abstrakte Gebilde sind, aber ich glaube, das habe ich so als, ich wollte das als Statement loswerden, weil grundsätzlich Belarus ist nicht nur das Regime, sondern sind natürlich auch die Leute. Und das ist, glaube ich, auch der Grund, warum ich so mich für Belarus einsetze. Weil ich habe sehr, sehr gute Freunde da, es gibt sehr herzliche Menschen, es gibt eine unglaublich interessante Kultur, die vom Westen vergessen worden ist nach dem Zweiten Weltkrieg, die lange mit … der Westen war ja lange mit Ostmitteleuropa vor dem Zweiten Weltkrieg verbunden, also diese jüdischen Gemeinschaften, das Großfürstentum Litauen, Königreich Polen, Deutsche, die da in den Städten gelebt haben. Und das ist alles vergessen worden. Und das versuche ich, glaube ich, durch so ein Statement so ein bisschen wachzurütteln. Da soll es auch in dem Buch ein bisschen drum gehen.

Aber das muss man ganz klar sagen, also man, ein Land, das als letzte Diktatur Europas bezeichnet wird oder als Schandfleck, das hält die Leute immer davon ab, sich damit zu beschäftigen. Und ich bin eher dafür, dass man auf die Leute zugeht und dass man sich hinsetzt und Dialoge führt. Wie weit man dann letzten Endes kommt, das muss man natürlich dann bewerten.

Bürger: Ich habe gelesen, Weißrusslands einzige freie Theatergruppe ist gerade in Zürich zu Gast, das Belarus Free Theatre. Inwieweit gelingt es der Opposition, das System mit künstlerischen Mitteln zu kritisieren, vielleicht auch zu unterwandern? Sie haben schon von Nischen gesprochen.

Petz: Also diese Nischen der Freiheit, die gibt es, es sind ganz unterschiedliche, also es gibt die Rockszenen und dann gibt es diese Internetszenen. Das Freie Theater ist auch eine Form. Das Freie Theater ist natürlich hier sehr bekannt, weil es eine sehr konfrontative Politik gegenüber dem Regime fährt und sagt, also wir wollen mit dem Regime nichts zu tun haben, wir wollen die komplette Freiheit.

Das wird auch in dieser gesellschaftlichen Opposition in Belarus gerade unter den Jugendlichen sehr kritisch gesehen, also wo man … Man muss sich vorstellen, dass so eine Diktatur besteht aus vielen Grauzonen und in sehr vielen indirekten Sphären, und das Freie Theater ist sehr konfrontativ in seiner Politik, macht natürlich sehr gute Sachen und kommt deswegen, glaube ich, ganz gut im Westen an, wird aber teilweise da auch sehr also vor Ort von vielen Jugendlichen einfach sehr kritisch gesehen, weil man das Gefühl … also man will, viele wollen ja da in Belarus leben, und diese ständige Konfrontation mit dem Regime, 15 Jahre lang, diese Energie aufrechtzuerhalten, ist unglaublich schwer und fast nicht möglich. Das heißt, viele versuchen so eine, also versuchen sich, versuchen den eher positiveren Weg für sich zu gehen, einfach um sich ein positives Leben zu ermöglichen, auch in einer Diktatur.

Bürger: Der EU-Ministerrat befasst sich heute mit Weißrussland, es geht um die Frage weitere Sanktionen oder nicht, soll man die kalte Schulter zeigen oder doch die Hand ausstrecken – was ist Ihre Einschätzung?

Petz: Das ist eine unglaublich schwere Frage, da geht es ja in den letzten 15 Jahren drum, und wir haben das auf dem Minsk-Forum jetzt auch wieder diskutiert. Grundsätzlich finde ich, Dialog ist richtig, die Politik der ausgestreckten Hand ist richtig, man muss aber gleichzeitig, man muss Forderungen aufstellen und muss nachher bewerten, inwieweit das Regime auf diese Forderungen eingegangen ist. Das heißt, es gibt da ganz einfache Sachen, womit das Regime also ein Zeichen hin zur demokratischen Öffnung geben könnte.

Das ist einmal, die Opposition muss in den politischen Diskurs eingebunden werden, die Medien, unabhängige Medien müssen ohne Probleme erscheinen können, sie müssen sich einfach registrieren können, es muss einfache Möglichkeiten geben für NGOs, sich zu registrieren, da muss es weniger Gängelung geben. Und das muss die EU ganz klar bewerten, und das ist im Moment ein Experiment, was passiert. Ich finde es richtig, dass es passiert, aber ob es wirklich positiv ausgeht, das kann man jetzt noch nicht sagen, da muss man ein bisschen Zeit ins Land gehen lassen und hoffen einfach, dass die Annäherung funktioniert.

Bürger: Weißrussland und die EU im Blick des Journalisten Ingo Petz. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Petz: Danke schön!