Peter Richter: "Dresden revisited"

Janusköpfige Stadt an der Elbe

Blick auf das Kunstprojekt "Hof der Elemente" in Dresden-Neustadt, hier die Fassade mit Regenrinnen und Trichtern
Dresden hat mehr zu bieten als Frauenkirche und Semperoper: Blick auf das Kunstprojekt "Hof der Elemente" in Dresden-Neustadt, hier die Fassade mit Regenrinnen und Trichtern © dpa / picture alliance / Britta Petersen
Von Marko Martin · 15.09.2016
In seinem Essay "Dresden Revisited" hinterfragt der Publizist Peter Richter rechte und linke Selbstgewissheiten – präzise und wohltuend unaufgeregt. Zwischen Kindheits-Dresden und Pegida-Dresden sucht er seine Heimatstadt, die ihn auch in New York nicht loslässt.
New York stimuliert. Nicht nur auf jene inzwischen sattsam beschriebene Weise. Nicht allein Rausch der Schnelligkeit, sondern auch Schule gelassener Genauigkeit. Nie etwa wurde über Mecklenburg derart präzis geschrieben wie in Uwe Johnsons Roman "Jahrestage", der am Hudson River entstand. Und nun, in einem Essay von Peter Richter, New Yorker Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, der Blick von der Manhattan Bridge zur Dresdener Waldschlösschen-Brücke. Kindheits-Dresden oder Pegida-Dresden?

Gemütlichkeit und Biedersinn

Der 1973 in der Stadt geborene Publizist und Romanautor spielt das eine nicht gegen das andere aus, sondern schafft Erkenntnisgewinn mit der Metapher des Kippbildes, die bei ihm zahlreiche Konkretisierungen erfährt. Dresden – Heimstatt der Gemütlichkeit und sächsischer Tüftler-Energie und Epizentrum eines pseudo-renitenten Biedersinns, der sich in lautstarkem Sächsisch seinen Simpel-Reim auf die Welt macht. Richter aber denunziert nicht, noch schreibt er allein der Pointe wegen – obwohl er den Sprach-Gag, quasi aus dem Handgelenk, durchaus beherrscht, etwa wenn von mürrischen Demonstranten die Rede ist, die "also auf die Straße gehen, um sich gehen zu lassen".
Erinnerungen an die Kindheit und Jugend in der DDR werden wieder wach (obwohl hier die SED-gewollte Zwangshomogenisierung als eine der Ursachen des jetzigen Alltagsrassismus ein wenig zu kurz kommt), aber auch Lektüre-Erfahrungen: Hatte sich nicht schon in E.T.A. Hoffmanns "Goldenem Topf" die Janushaftigkeit der Stadt an der Elbe offenbart, als der Student Anselmus aus der Engherzigkeit des Zentrums in die frohgemute Bohème-Welt der Neustadt geflüchtet war?
Der Journalist und Buchautor Peter Richter 2011 in einer ARD-Talkshow
Der Journalist und Buchautor Peter Richter 2011 in einer ARD-Talkshow© dpa / picture alliance / Hannibal Hanschke

Gegen Apokalyptik und Kitsch

"Dresden Revisited" bietet freilich mehr als kunstsinnige Reflexionen. Gerade selbstgewiss liberale Westdeutsche, die angesichts urbaner Skepsis gegenüber kleinstädtischer Tümelei nur allzu schnell Beifall spenden, könnten hier etwas über eigene Wahrnehmungsbarrieren erfahren:
"Auf einmal sollte der Ostender Teil Deutschlands sein, in dem offenbar immer schon der Nationalsozialismus überwintert hatte, während die alte Bundesrepublik quasi rückwirkend zum eigentlichen Hort des Antifaschismus wurde. Es war verblüffend. Da wurde ein seit frühester Kindheit geläufiges Bild komplett in sein Gegenteil gekippt."
Um jedoch mit dem gebürtigen Dresdner Erich Kästner zu fragen: "Und wo bleibt das Positive?" Der Wahl-New Yorker empfiehlt jenen humanen Pragmatismus, der nicht in jedem Fremden entweder "eine kulturelle Bereicherung" oder eine "religiöse Bedrohung" wahrnimmt – weniger "Apokalyptik" und volkserzieherischen Kitsch. Und ziemlich sicher wäre es hilfreich, "wenn von Flüchtlingen nicht mehr geredet würde, als handele es sich um Monchichis". Am Schluss dieses konzisen 150-Seiten-Essays dann aber doch noch eine wunderbare Sottise, die rechte "Wutbürger" und linke Hyperkorrekte vermutlich gemeinsam zum Schimpfen bringen wird:
"Wenn ich mir was wünschen dürfte, würden die frustrierten jungen Männer aus Nordafrika künftig gemeinsam mit den frustrierten älteren Männern aus Ostsachsen montags eine Runde gehen; gegen Gender Mainstreaming sind sie ja schon mal beide."

Peter Richter: Dresden Revisited. Von einer Heimat, die einen nicht fortlässt
Luchterhand Verlag, München 2016
159 Seiten, 20 Euro

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