Peter Raue über Berlin

Die Hauptstadt bleibt eine Baustelle

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Der Rechtsanwalt Peter Raue © Deutschlandradio - Matthias Dreier
Peter Raue im Gespräch mit Dieter Kassel  · 19.09.2016
Berlin wird bald von einer neuen Koalition regiert. Dennoch herrscht bei vielen Skepsis, ob die neue Regierung die Probleme der Stadt in den Griff bekommt. Auch der Notar Peter Raue findet, es sei "keine Figur" da, der man zutraue, dass sie etwas ändert.
Die Hauptstadt hat gewählt und klar ist, bald wird eine neue Koalition die Stadt regieren. Aufbruchststimmung herrscht trotzdem nicht - im Gegenteil, viele Berliner haben das Gefühl, dass keine der künftig im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien die Probleme der Stadt wirklich lösen kann. Auch der Notar und Anwalt Peter Raue, der seit über 50 Jahren in der Hauptstadt lebt, gehört dazu.
"Woher soll denn der Glaube seine Nahrung ziehen?", fragt Raue im Deutschlandradio Kultur. "Wir werden den selben Regierenden haben wie bisher." Zwar falle der Ehekrieg mit der CDU weg - dass es mit den Linken leiter werde, bezweifle er jedoch. Die Baustellen, die Berlin geerbt habe, stammten noch aus der Wowereit-Zeit, insofern könne einem Müller leidtun. "Aber es ist eben keine Figur da, der man zutraut, sie ändert etwas."

"Mir san mir"

Ein großes Problem in diesem Zusammenhang sei, dass die Berliner Parteien sich nie Spitzenkandiaten von außerhalb holten. Raue: "Das ist eine unheilbare Berliner Krankheit." Vor Jahren sei einmal diskutiert worden, ob die CDU Schäuble oder Töpfer als Spitzenkandidaten holen könnte und diese seien dazu sogar bereit gewesen. "Aber in der CDU gilt ausnahmsweise das bayerische Motto 'Mir san mir'. Und wenn sich das nicht ändert, dann seh ich augenblicklich kaum, dass ein Hoffnungsschimmer, dass es da wieder strahlt."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Deutschlandradio Kultur am Montagmorgen, dem Morgen nach der Abgeordnetenhaus-Wahl in Berlin. Die Wählerinnen und Wähler haben sich jetzt schon entschieden, die Politiker und Parteien müssen sich noch entscheiden, wer da mit wem regieren wird. Das wird so schnell nicht gehen. SPD-Spitzenkandidat und noch Regierender Bürgermeister, vielleicht auch zukünftiger, ziemlich sicher sogar, Müller, hat angekündigt, er wolle mit allen Parteien außer der AfD jetzt erst mal Sondierungsgespräche führen – dürfte bei der CDU eigentlich nur eine Formsache sein, aber es wird auf jeden Fall dauern.
Dabei sollte das alles nicht so lange dauern, sagen viele, denn es gibt genug, was die Politik wirklich jetzt in Angriff nehmen müsste in dieser Stadt, in diesem Stadt-Bundesland. Und darüber wollen wir jetzt reden mit Peter Raue. Er ist Berliner, auch wenn er in München geboren wurde. Er lebt seit über einem halben Jahrhundert in dieser Stadt, von der Profession her ist er Anwalt und Notar, von der Passion her vor allem Förderer von Kunst und Kultur. Er war von 1977 bis 2008 Vorsitzender des Vereins der Freunde der Nationalgalerie, er ist jetzt unter anderem Honorarprofessor für Urheberrechte an der FU in Berlin. Schönen guten Morgen, Herr Raue!
Peter Raue: Schönen guten Morgen!
Kassel: Lassen Sie uns doch, bevor wir beide uns unterhalten, kurz einen anderen Berliner Künstler hören, Peter Fox nämlich, der ist vor allen Dingen Sänger, bekannt geworden durch seinen Hit "Haus am See", und den haben wir gestern schon gefragt, was für ihn denn eigentlich die wichtigsten Probleme sind, die in Berlin angegangen werden müssen.
Peter Fox: Ich finde, in Berlin ehrlich gesagt die Kultur, klar, auf die wird hier wahnsinnig viel Wert gelegt, das ist ja auch in Berlin natürlich ein starkes Zugpferd – man weiß, dass viele Touristen deshalb nach Berlin kommen, auch um sich das Angebot mal zu geben. Aber ich finde eigentlich, dass in Berlin vor allem in Sachen Wohnungsbau, Mieterschutz, Mietpreisbindung und auch deren Kontrolle und auch in der Verkehrspolitik halt ganz viel zu tun wäre und wo in meinen Augen viel zu wenig passiert ist in den letzten Jahren. Und das hoffe ich jetzt auch, dass das besser wird.
Kassel: Sagt Peter Fox, selbst Künstler, und er, wir haben es gehört, sieht die Probleme nicht so sehr in der Kultur, sondern ganz woanders. Wir reden mit Peter Raue gerade live – Herr Raue, würden Sie sich dem grundsätzlich anschließen?
Raue: Es ist eine Innen- und eine Außensicht. Berlin, rohstoffarm und meerfern, lebt von dem kulturellen Umfeld, das es hat. Die Leute kommen nach Berlin und fragen als Erstes, wo geht man denn ins Theater, was habt ihr an Ausstellungen. Insofern ist die Kultur wichtig, die Probleme dieser Stadt ist zur Zeit in der Tat nicht die Kultur, das sind Baustellen im wahren Wortsinne, BER, Staatsoper und vieles andere, das sind Mietfragen – also das sind schon die Fragen, die Fox angesprochen hat. Aber in der Außendarstellung ist die Kultur natürlich enorm wichtig und deshalb ja seit vielen Jahren beim Regierenden assortiert.
Kassel: Was Fox ja am Schluss gesagt hat und wo ich persönlich mich nicht so uneingeschränkt – ich leb ja auch in Berlin – anschließen würde: Er hat gesagt, er hofft jetzt ernsthaft, dass das alles anders wird und diese Probleme angegangen werden. Gut, hoffen tun wir doch, glaube ich, alle drei, aber glauben Sie daran, dass das jetzt passiert alles?
Raue: Man müsste eigentlich fragen, woher soll denn der Glaube seine Nahrung erzielen? Wir werden denselben Regierenden haben wie bisher, der ein kluger Mann ist. Die Auseinandersetzungen mit der CDU fallen weg, die waren ja eher ein Dauerehekrieg. Ob es mit den Linken leichter wird, das wage ich zu bezweifeln.
"Niemand da, der etwas ändern könnte"

Kassel: Was ich erstaunlich fand, schon im Wahlkampf, Herr Raue, ist, dass keine der Parteien sich da einen Spitzenkandidaten von außerhalb Berlins gesucht hat oder wenigstens jemanden, der eben nicht so – ich sag's mal so brutal – regelrecht verbraucht ist in der Berliner Politik. Zum Beispiel die CDU, gerade wenn man sie sympathisch findet, hat man, glaube ich, von Anfang an gewusst, mit Henkel haben die keine Chance, trotzdem haben sie den genommen, alle anderen Parteien auch. Ist das immer noch diese Berliner Politiksuppe, wo auch kein anderer Löffel hineingesteckt werden darf?
Raue: Es ist eine unheilbare Berliner Krankheit. Es wurde mal diskutiert vor Jahren, ob man Herrn Schäuble als Spitzenkandidat holen kann, ob man Herrn Töpfer holen kann – die waren sogar bereit, dieses schwierige Amt zu übernehmen, aber in der CDU gilt ausnahmsweise das bayrische Motto "Mia san mia". Und wenn sich das nicht ändert, dann sehe ich augenblicklich kaum einen Hoffnungsschimmer, dass es da wieder strahlt.
Kassel: Ich hatte auch den Eindruck im Wahlkampf, dass die Parteien mit Ausnahme der AfD sich auch nicht so richtig an den Karren fahren konnten. Klar hat Müller gesagt, der Henkel hat immer blockiert, und Henkel hat gesagt, ich hätte auch viel besser ohne Müller, aber davon abgesehen war das relativ harmlos, und ich glaube, dafür habe ich auch eine Erklärung: An all dem, was in der Stadt in den letzten 10, 20 Jahren schiefgegangen ist, haben sie irgendwie alle schuld, weil sie alle irgendwie zwischendurch mal dabei waren.
Raue: So ist es. So ist es. Und die Baustellen, die wir heute haben, sind geerbt aus der Wowereit-Zeit, und insofern kann einem Herr Müller schon leidtun, aber es ist eben keine Figur da, der man zutraut, sie ändert etwas, wie das seinerzeit bei Weizsäcker der Fall war – Der kam und am nächsten Tag Wahl war alles jedenfalls von der Stimmung her besser.
Kassel: Nun haben wir viele CDU-Regierende gehabt in Berlin, wir hatten jetzt diese große Koalition im Kleinen in dieser Stadt, aber wenn wir jetzt tatsächlich – und das ist jetzt, sagen wir mal, zumindest recht wahrscheinlich, sicher kann man sich nie sein – ein rot-grün-rotes Bündnis kriegen, haben wir dann wirklich richtig linke Politik in Berlin in Zukunft?
Raue: Das glaube ich nicht. Müller ist kein Linker, und die Grünen kann man schon lange nicht mehr als links bezeichnen, die machen sich ja sogar für die Hochkultur neuerdings stark. Also wir werden keine radikale Änderung haben. Für mich ist viel problematischer an diesem Ergebnis, dass in der Opposition AfD und CDU sitzen, das wird für die CDU verdammt schwer, sich noch abzugrenzen auf der einen Seite, und auf der anderen Seite nicht ständig nur nein zu sagen, weil die AfD auch eine bestimmte Meinung hat. Also die Rolle wird verdammt schwierig.
Kassel: Mit anderen Worten, wir werden mit großer Wahrscheinlichkeit in Berlin eine schwierige Regierung und eine noch schwierigere Opposition kriegen.
Raue: So sehe ich es auch. Und die FDP, wie die sich positioniert, das bleibt abzuwarten. Ich persönlich freue mich, dass sie wieder dabei ist, aber AfD, CDU, FDP, das ist ein schon ein harter Dreier, kein flotter.
Berlins größte Baustelle ist die Stadtplanung

Kassel: Aber um zum Schluss tatsächlich noch mal auf die Probleme, die Sie ja auch benannt haben, einzugehen – ich nenne es mal allgemein Stadtplanung, das ist ein großer Bereich, da gehören die Mieten dazu, da gehören neue Verkehrswege dazu, Berlin ist wieder ziemlich gewachsen in der letzten Periode, da gibt's Probleme von den Straßen bis hin zu den Bussen – ich meine, die haben's ja schon im Wahlkampf gesagt, wir haben es mitbekommen. Werden die wirklich was machen in der Richtung?
Raue: Also wenn sie es nicht machen, dann werden sie nicht das schlechteste Ergebnis aller Zeiten diesmal erzielt haben, sondern das nächste Mal. Beide großen Parteien haben ja das schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte, und wenn da nicht wirklich – gerade im Bereich der Stadtplanung – endlich jemand kommt, der das in die Hand nimmt und der in Fragen Miete, in Fragen bezahlbare Ateliers, eine neue Schneise schlägt, dann wird das Wasser auf die Mühlen der anderen, vor allem der AfD sein.
Kassel: Peter Raue, Jurist, ehemaliger Vorsitzender des Vereins der Freunde der Nationalgalerie und seit Jahrzehnten engagierter Berliner, über die Tücken der Politik und der Politik in der Hauptstadt. Herr Raue, ich danke Ihnen sehr fürs Gespräch, und lassen Sie uns optimistisch enden: Wir warten jetzt erst mal ab, vielleicht haben wir …
Raue: Schau'n wir mal!
Kassel: Vielleicht haben wir ja in vier, fünf Jahren weniger zu meckern, als wir jetzt glauben.
Raue: Ja, hoffen wir's!
Kassel: Danke schön!
Raue: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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