Perthes: Iranische Sicherheitsinteressen ernst nehmen

Volker Perthes im Gespräch mit Jürgen König · 25.08.2008
Nach Ansicht von Volker Perthes hat der Westen eine eingeschränkte Sicht auf den Iran. Im Streit um das iranische Atomprogramm hätten wir nur unsere eigenen Sicherheitsinteressen und die unserer Verbündeten im Blick. Dass der Iran jedoch angesichts verstärkter amerikanischer Militärpräsenz in den Nachbarstaaten ein massives Sicherheitsproblem habe, werde allzu oft vergessen. Er empfiehlt vertrauensbildende Maßnahmen wie regionale Sicherheitsabkommen.
Jürgen König: "Iran - Eine politische Herausforderung". So heißt das neue Buch von Professor Volker Perthes. Er leitet die Stiftung Wissenschaft und Politik. Das ist das renommierte Denkinstitut, der Think Tank für internationale Politik schlechthin. Herr Perthes, guten Tag. Ich freue mich, dass Sie da sind.

Volker Perthes: Guten Tag, Herr König.

König: "Iran - Eine politischer Herausforderung". Bei diesem Titel denkt man an Irans Atomprogramm, an die Drohungen des Präsidenten Ahmadinedschad gegen Israel, an seine Worte, Iran sei die stolzeste und unabhängigste Nation der Welt. Man denkt auch an die versteckt offenen Drohungen der Amerikaner gegen Iran, an Sätze wie die von Präsident Bush, Iran sei eine der zwei größten Bedrohungen Amerikas in diesem Jahrhundert.

Sie, Herr Perthes, verweisen solche Sätze gleich zu Beginn Ihres Buches in den Bereich der hohlen großen Worte, die mitnichten die Wirklichkeit widerspiegeln, gleichwohl als Herausforderung sehen auch Sie den Iran. Nehmen wir einmal, zunächst jedenfalls, die ganze Atomdebatte heraus aus der Diskussion. Inwiefern stellt der Iran eine Herausforderung dar für den Rest der Welt, was macht überhaupt die Bedeutung des Irans aus?

Perthes: Also, ganz wegschieben können wir die Atomdebatte nicht und gerade als Politikwissenschaftler und als jemand, der versucht, ein bisschen politische Beratung zu geben, können wir die Atomdebatte nicht wegschieben, weil das natürlich das Thema ist, über das die internationale Gemeinschaft sich überhaupt seit Jahren mit Iran beschäftigt.

Ohne das Atomproblem oder den Atomstreit wäre Iran ein mittelöstlicher Staat mit einer immer noch für uns problematischen Innenpolitik, aber es wäre sehr viel weniger politische Herausforderung. Es wäre gesellschaftliche Herausforderung, es wäre regional-politische Herausforderung für den Nahen und Mittleren Osten als dort insbesondere nach dem amerikanischen Irakkrieg stärkste Regionalmacht mit einem bestimmten ideologischen Projekt, das insbesondere der derzeitige Präsident ja verfolgt mit allem, was das an Problemen mit sich bringt für die Entwicklung von Kultur, für die Entwicklung der Ansätze von Demokratie, die es in auch der islamischen Republik durchaus gegeben hat.

König: Sie schreiben, die Frage nach den Triebkräften iranischer Politik sei ganz entscheidend für die internationale Diskussion über den richtigen Umgang mit dem Iran. Welche Rolle spielt Präsident Ahmadinedschad tatsächlich im Iran? Auf welcher Machtbasis handelt er?

Perthes: Er ist schon der Präsident, aber er ist kein absoluter Herrscher, er ist nicht ein Präsident wie, sagen wir mal, Saddam Hussein das im Irak war, sondern er ist ein in Institutionen der islamischen Republik eingebundener Präsident, der etwa die Funktion eines, sagen wir mal, Ministerpräsidenten plus hat. Es ist im Iran schon so, dass wir eine ständige Auseinandersetzung zwischen den verschiedensten Institutionen in der Politik haben zwischen dem Präsidenten, dem Revolutionsführer, dem Parlament, der Regierung, dem Nationalen Sicherheitsrat. Alle wollen mitreden, alle wollen auch über Außen- und Sicherheitspolitik mitreden.

Und je nachdem wie kämpferisch oder wie stark verankert in der Bevölkerung ein Präsident etwa ist, schlägt er für sich mehr oder weniger Anteile der Macht heraus und Ahmadinedschad hat es durchaus geschafft, sich in der Außen- und Sicherheitspolitik mehr Macht herauszuschlagen, als das offensichtlich seinem Vorgänger, Herrn Chatami, der uns lieber war, gelungen ist.

König: Welche strategischen Positionen nehmen, sagen wir mal, Radikale und Realisten innerhalb der iranischen Politik ein?

Perthes: Es ist nicht immer ganz leicht, die zu trennen, weil alle diejenigen, die zur politischen Elite des Iran gehören, auch das Projekt Islamische Republik verteidigen, es dort auch keine offene Kritik etwa an dem Prinzip gibt, dass der Revolutionsführer das letzte Wort in allen Fragen hat, der eben ein religiös legitimiertes Amt innehat. Aber selbstverständlich haben wir eine Auseinandersetzung in fast allen Politikbereichen. Es gilt auch für die Atomfrage, es gilt für das Verhältnis zu Amerika, es gilt auch ...

König: Eine wirkliche Auseinandersetzung, Entschuldigung, so wie wir uns das vorstellen?

Perthes: Ja, eine innere Auseinandersetzung, die zum Teil, nicht immer auch über die Medien, ausgetragen wird, die dort in Think Tanks ausgetragen wird, die im Parlament ausgetragen wird, über am ehesten, sagen wir einmal, die weichen Politikbereiche, also Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Kulturpolitik, Bildungspolitik, aber durchaus auch über die harten Politikbereiche, die Außen- und Sicherheitspolitik, also etwa ob man die Beziehung zu Amerika wieder aufnehmen soll oder nicht und unter welchen Umständen man das tun soll, wie sehr man, da hat es harte Auseinandersetzungen gegeben, gerade auch zwischen dem derzeitigen Parlamentspräsidenten, Herrn Larijani, früherem Atomunterhändler, und dem Präsidenten und seinen Anhängern, wie sehr man über die Atompolitik eigentlich den Rest der Welt provozieren soll oder ob man sich eher auf eine Linie, auch innenpolitisch, verständigen kann, die international vielleicht akzeptabel ist.

König: Wenn Sie solche Auseinandersetzungen ansprechen: In der "FAZ" stand am Freitag ein Artikel des iranischen Schriftstellers Amir Hassan Tscheheltan, der das geringe Ansehen der öffentlichen Medien im Iran beschreibt. Letztendlich, sagt er, würden im Wesentlichen Gerüchte die Bewusstseinslage im Iran bestimmen. Wie sehen Sie das?

Perthes: Ja, die staatlichen Medien, also insbesondere das Fernsehen, haben tatsächlich einen relativ geringen Glaubwürdigkeitsgrad. Wir haben eine ganz reiche Presselandschaft, also Zeitungen insbesondere, auch Zeitschriften. Das sehen wir auch schon daran, das hört sich vielleicht ein bisschen ironisch an oder so, dass sehr viel und sehr häufig Zeitungen verboten werden im Iran, was einfach dafür spricht, dass es hier ein ganz aktives Zeitungsleben gibt. Aber weil man den staatlichen Medien, Rundfunk und Fernsehen, relativ wenig glaubt, nährt sich die politische Auseinandersetzung, das ist schon richtig, einen großen Teil über Gerüchte.

König: Wir haben einen der international bekanntesten Filmregisseure des Irans bei uns im Programm gehört, Jafar Panahi, vor zwei Jahren hat er für seinen Film "Offset" den Silbernen Bären der Filmfestspiele von Berlin erhalten, und er sagt, es sei für ihn wie für die meisten iranischen Filmemacher immer schon schwer gewesen, im Iran zu arbeiten, also Filme dort zu drehen, sie zu zeigen sei noch viel schwieriger gewesen. Seit dem Amtsantritt von Ahmadinedschad sei es fast unmöglich geworden, die Zensur sei praktisch allgegenwärtig. Was für eine Gemengelage ist das? Also, unter welchen Bedingungen kann Kultur im Iran entstehen und auch die Auseinandersetzung, die Reflektion über das eigene Land?

Perthes: Ja, das ist gut, dass Sie darauf hinweisen, weil das über die Auseinandersetzung mit dem Iran über die Atomfrage in der Regel natürlich bei uns kaum noch beachtet wird, dass es hier auch innere politische Auseinandersetzungen gibt, wo für die meisten Iraner die Atomfrage relativ unwesentlich ist. Für sie ist wichtig, ob zum Beispiel der Atomstreit das Verhältnis mit dem Westen so belastet, dass man keinen Kulturaustausch mehr haben kann oder nicht mehr in die USA zum Studieren gehen kann, oder solche Fragen. Das ist wichtig für die Iraner.

Oder eben auch die extrem konservative innenpolitische Agenda des Präsidenten, der gerade im kulturpolitischen Bereich Lichtjahre, wenn man das sagen kann, konservativer ist, als sein Vorgänger Herr Chatami, der zurück will zu einer sehr austeren, strikten, revolutionären Haltung, wie man sie unmittelbar nach der Revolution 1979 und dann in dem achtjährigen Krieg mit Irak gepflegt hat, wo Kultur eigentlich keinerlei oder kaum einen Stellenwert hatte, außer Kultur zur Verherrlichung der Revolution.

Und erst unter dem Präsidenten Rafsandschani, nach dem Ende des iranisch-irakischen Krieges 1988 aufwärts, insbesondere dann unter Chatami, hat es eine ganz deutliche Öffnung des kulturellen Lebens gegeben, wo wir dann auch Produkte iranischer Kultur im Westen wahrgenommen haben, wie etwa die sehr guten iranischen Filme.

König: Welche Verbreitung haben diese kulturellen Produkte im Iran?

Perthes: Iran ist schon ein Land, wo auch die kulturelle Elite ins Theater und, oder sagen wir mal, auch die Mittelklasse ins Theater und ins Kino geht und sich diese Produkte anschaut. Es hat ein paar Filme gegeben, die dann eher auf internationalen Festivals gezeigt worden sind als im Iran, weil sie dort verboten worden sind, aber viele von den Filmen, ich habe das selber häufiger auf den Basaren in Teheran gesehen, viele von den Filmen, die offiziell verboten sind, bekommt man als DVD auf der Straße.

König: Nun stellt sich natürlich die Frage: Wie diesen Herausforderungen begegnen? Sie gehen ganz wesentlich in Ihrem Buch darauf ein, Sie empfehlen, "eine Politik, die das wechselseitige Vertrauen fördert und die Sicherheitsinteressen Irans wie seiner Nachbarn ernstnimmt". Sie plädieren also für Verhandlungen und Gespräch. Nun setzt das ja wechselseitiges Vertrauen voraus, das heißt bis zu einem gewissen Grad muss man sich schon vertrauen, um überhaupt zu einem vertrauensvollen Verständnis füreinander und miteinander kommen zu können. Wie wäre das zu erreichen?

Perthes: Ja, es ist erst mal, glaube ich, richtig zu sagen, man muss das Dilemma wahrnehmen. Wenn wir über Sicherheit reden im Mittleren Osten, denken wir in der Regel an die Sicherheit unserer Verbündeten, vielleicht auch unserer eigenen. Und die ist natürlich auch wichtig, aber, es ist auch wichtig, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Iran aus seiner eigenen Perspektive ein enormes Sicherheitsproblem hat. Wenn man sich mal in die Lage versetzt eines, sagen wir, iranischen Generalstabschefs, der auf die Landkarte guckt und schaut, wo überall amerikanische Truppen oder amerikanische Alliierte um das Land herum positioniert sind, im Persischen Golf, im Irak, in Afghanistan, in der Türkei, und so weiter, dann kann man schon verstehen, dass es auch dort ein Sicherheitsproblem gibt und dass der Iran, insbesondere in den letzten Jahren, wo er aus den USA gehört hat, dass "Regime Change" vielleicht eine gute Option wäre, sich auch über eine eigene Abschreckung Gedanken macht.

Und das fördert nicht gerade die Bereitschaft, über das Atomprogramm so nachzudenken, wie wir das wollen, nämlich indem man verzichtet darauf, auf bestimmte Optionen, die aus einem friedlichen Atomprogramm auch ein militärisches machen können.

Das heißt, Vertrauen ist nicht da. Weder haben wir Vertrauen in die Beteuerung der iranischen Führung, dass sie ja nur ein friedliches zur Energiegewinnung dienendes Atomprogramm aufbauen wolle, noch hat der Iran Vertrauen in die internationale Gemeinschaft und dies potenziert das Sicherheitsdilemma in der Region.

Es muss letztlich darum gehen, das wird der mittelfristige, auch langfristige Ansatz sein, dass alle Beteiligten, und das sind eben nicht nur die Europäer und die Iraner, sondern es sind gerade auch die Amerikaner und die Iraner und die Nachbarn des Iran in der Region, miteinander in ein Gespräch kommen, dass es regionale Sicherheitsarrangements gibt, die sehr langsam anfangen können, mit dem, was wir bei uns im Kalten Krieg vertrauensbildende Maßnahmen genannt haben.

Wir haben eine ganz, ganz reiche Zivilgesellschaft im Iran, die ein großes Interesse hat am Kontakt mit dem Westen, Sie haben das ja eben selbst erwähnt, Künstler, Intellektuelle, die sich auch behindert fühlen in ihrer kreativen Arbeit und die europäischen Künstler oder europäischen Kulturschaffenden, die in den Iran fahren, da gibt es ja eine Reihe auch von der Europäischen Union unterstützte Projekte, berichten ...

König: [unverständlich]

Perthes: ... zum Beispiel, ja, berichten regelmäßig, wie groß die Akzeptanz ist, wenn man dann Aufführungen etwa im Iran sieht.

König: Und auch das Bedürfnis hat, ich meine, das ...

Perthes: ... Das Bedürfnis, auch solche Kultur tatsächlich wahrzunehmen, zu verarbeiten, möglicherweise Elemente iranischer und europäischer Kultur miteinander in ein kreatives Gespräch zu bringen, wenn Sie so wollen.

König: Wo wäre für Sie die Grenze zum Appeasement erreicht, also zu einer unzulässigen Annäherung, bei der, sagen wir mal, die Gefahren, die durch das Atomprogramm zum Beispiel, oder auch durch diese ganze aggressive Rhetorik, die da immer mal wieder an den Tag tritt, unterschätzt werden oder heruntergespielt werden?

Perthes: Nun, Appeasement hieße zum Beispiel, wenn wir sagen würden, "es ist uns völlig egal, ob Iran eine Atomwaffe hat oder nicht" und Israel oder andere Staaten in der Region damit bedrohen. Aber die ganze europäische Diplomatie, die auf Gespräch und Kontakt setzt, hat ja zum Ziel, eine Entwicklung in Richtung iranischer Atomwaffen zu verhindern. Und wenn man sagt: Wir wollen Iran genügend Sicherheit geben, dass es durch regionale Sicherheitsarrangements, unter denen etwa auch die USA beteiligt sind, dass es letztlich von sich aus auf die Option einer Atomwaffe verzichtet, dann ist das alles andere als Appeasement, sondern ist der Versuch, eine Gefahr für die Sicherheit der Region und letztlich auch für internationale Regime, die die Proliferation von Kernwaffen verhindern sollen, auch in anderen Regionen der Welt, ist es eben ein Eintreten für Sicherheit und kein Appeasement.

König: "Iran - Eine politische Herausforderung: Die prekäre Balance von Vertrauen und Sicherheit", das neue Buch von Volker Perthes ist in der Edition Suhrkamp erschienen, hat 159 Seiten, kostet 9 Euro. Herr Perthes, alles Gute für Ihr Buch und vielen Dank für das Gespräch.

Perthes: Vielen Dank auch.
Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik
Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik© Stiftung Wissenschaft und Politik
Volker Perthes: "Iran - Eine politische Herausforderung"
Volker Perthes: "Iran - Eine politische Herausforderung"© Suhrkamp Verlag
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