Performances im Auftrag des Herrn

Von Marta Kupiec · 02.06.2012
Im katholischen Polen fallen immer mehr Menschen vom Glauben ab. Der Krakauer Priester Jacek Stryczek will etwas dagegen unternehmen - mit spektakulären Aktionen: Er stellt schon mal einen Beichtstuhl im Einkaufszentrum auf und organisiert Kreuzwege, die an Marathonstrecken erinnern.
Sportlich bekleidet und mit vollem Rucksack macht sich Jacek "Wiosna" Stryczek auf den Weg in die Krakauer Altstadt. Wie eigentlich jeden Tag stehen heute einige Termine auf dem Programm, nur wenige Verschnaufpausen sind vorgesehen. Im stillen Gebet versunken, saust er mit dem Fahrrad an Schaufenstern vorbei.

Jacek Stryczek ist katholischer Priester, und das seit 19 Jahren. Erst mit 30 wurde er geweiht - recht spät für polnische Verhältnisse. Bis er seine Berufung am Altar fand, hat es relativ lang gedauert. Und sie kam auch für ihn überraschend. Denn bevor er sich für die Theologie entschied, hatte er bereits ein Studium an der Akademie für Bergbau und Hüttenwesen absolviert.

"Über die Zeit vor meiner Weihung zum Priester kann ich sagen, dass die Religion für mich eine Pflicht war. Für mich waren es nur Gebote, die mir weder Glücksgefühle noch Hoffnung gaben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich dahinter etwas Schönes verbergen kann. Dann wurde ich bekehrt. Ich lernte Gott lieben, war wie verrückt. Meine alten Bekannten reagierten mit Verwunderung. Bis heute empfinde ich meine Beziehung zu meiner Religion wie das Gefühl des Verliebtseins. Es ist ein authentisches Erlebnis."

Über seine Predigten diskutieren junge Menschen auf Internetforen, manche nennen sie gar genial. Jacek Stryczek scheint mit seiner Themenwahl oft den Nerv der Zeit zu treffen. Seinen Sinn für soziales Engagement und seinen Humor wollte er beweisen, indem er sich für den Parteivorsitz der polnischen Linksdemokraten bewarb, eine Partei, die gerne ihre sozialen Anliegen in den Vordergrund stellt. In der Kirche ließ er schon mal die Münzen rollen, als er über den verlorenen Sohn sprach. Die Gläubigen schätzen den smarten Priester mit Kollarhemd:

"Der Priester ist super. Ich wünschte, es gäbe mehr Geistliche wie ihn. Endlich passiert etwas in der Kirche, es wird nicht nur zelebriert, ein tiefes Erlebnis stellt sich ein."

Stryczeks Stärke ist seine Sprache - und die ist werbewirksam, zielgenau. Er beobachtet die Medien- und Geschäftswelt und lernt daraus:

"Priester wähnen sich oft im Besitz der Wahrheit. Das hält sie oft davon ab, auf den einzelnen Menschen mit seinen Bedürfnissen und Problemen einzugehen. Warum soll ich nicht die Sprache der Werbung lernen, wenn dort ein Wissen über den Menschen enthalten ist? Meine Hörer wissen, dass ich ihre Sprache benutze, das Geleier mancher Priester ist nichts für mich."

Aber nicht nur die ausdrucksstarke Sprache, sondern vor allem seine Performances und Happeningaktionen brachten den Krakauer Priester ins Gespräch. Diese inszenierte er nicht um der Kunst willen, sondern im Dienst der Menschen. Er entkleidete uniformierte Schaufensterpuppen - ein Sinnbild für die gottlose Geschäftswelt - und zeigte, dass sie unter dem Hemd doch ein Kreuz tragen. Ein anderes Mal rief er zum Innehalten in der Adventszeit auf, indem er in einem Einkaufscenter den Beichtstuhl aufstellte.

"Ein Mann wollte sogar beichten, aber ich bat ihn, in die Kirche zu gehen. Zwei Stunden lang saß ich dort und gab Interviews. Es war ein Medienevent. Ich wollte die Menschen nicht bekehren, sondern vielmehr zum Nachdenken bringen. Ich selbst vermeide prinzipiell jegliche Einkäufe im Advent, da ich mich auf Weihnachten vorbereiten will. Ich hatte einen Zettel an den Beichtstuhl gehängt - darauf stand: 'Es gibt auch eine andere Welt.' Ich wollte zeigen, dass man die Festtage auch anders verbringen kann."

Als christlicher Missionar sieht sich der Krakauer Priester nicht - doch viele Menschen halten ihn trotzdem dafür. Seine Happening-Aktionen erscheinen manchen zu gewagt, sogar unpassend für einen Kirchenmann. Doch alle schätzen den Krakauer Priester für sein soziales Engagement. Mit der erfolgreichen Hilfsaktion "Das edle Paket" setzt er sich seit zehn Jahren für bedürftige Familien ein und sorgt dafür, dass sie nicht vergessen werden. Stryczek gibt Denkanstöße, zeigt die Fehler menschlichen Handelns.

"Als ich das trockene Brot mit der Asche verteilte, wollte ich auf die Fastenzeit hinweisen. Neben Fastenkuren gibt es auch die Askese. Das Thema des Happenings war also die Leichtigkeit des Seins - je weniger du isst, desto leichter bist du. Eine andere Performance fand vor der Börse statt. Es ging darum, dass die Wohltätigkeit in Polen ein Jahr vor dem Börsencrash abgenommen hatte. Wenn die Menschen damals ihr Geld geteilt hätten, würden sein Licht und seine Wärme bis heute wirken. Aber durch ihre Gier haben sie alles verloren, womit sie anderen helfen könnten."

Die Kirche will Stryczek nicht reformieren. Aber er ist stets auf der Suche nach neuen Gebetsformen. So kam er auf die Idee eines extremen nächtlichen Kreuzweges, an dem in diesem Jahr rund 1200 Menschen teilgenommen haben. Für die einen war es ein Abenteuer, für die anderen ein spirituelles Erlebnis:

Gläubige: "Ich bin schon zum zweiten Mal dabei, heute wird es nicht ganz leicht, da das Wetter nicht mitspielt. Dieser Weg wird ein schwerer sein, es ist kalt, es wird gleich regnen, und man muss sich überwinden. Das wird allerdings dem Gebet helfen. Es gibt unterschiedliche Strecken von 41 bis 47 Kilometer, wir laufen in Gruppen bis zu zehn Personen, und wir haben ein Kreuz dabei. Es ist ein anderer, besserer Kreuzweg als der, den man aus der Kirche kennt und der höchstens eine halbe Stunde dauert."

An sich selbst und andere Priester stellt Stryczek hohe Anforderungen. Die Schwäche der heutigen Kirche sieht er hauptsächlich darin, dass es zu wenige risikofreudige und engagierte Priester gibt:

"Mein Bischof sagte einmal, dass ich der Schütze der polnischen Kirche bin. Ich stelle mich vor die Mauer einer Burg, kämpfe und wenn ich gewinne, folgen mir ein paar Andere. Immer mehr junge Priester betrachten mich als einen Helden. Das ist gut so, denn in der Kirche geht vieles zu einfach. Zu wenige sind kampfbereit, zu wenige Risiken werden eingegangen - doch im Evangelium steht: Wer sein Leben findet, der wird's verlieren."

In Zeiten, in denen das Interesse an der Kirche abnimmt, gilt für Jacek Stryczek paradoxerweise eines - die Ansprüche hochschrauben:

"Man sollte sich ein Beispiel an erfolgreichen Fußballclubs nehmen: Nur dort, wo hohe Maßstäbe gesetzt werden, wird auch gewonnen. Um zu gewinnen, muss man Hürden nehmen, besser sein. Ich weiß nicht, warum in der Kirche anders gedacht wird. Heute wollen die Menschen die beste Ware bekommen. Eine Light-Version der Religion halte ich für falsch, denn das führt nur dazu, dass viele denken, dass ein Kinofilm viel überzeugender und interessanter sei."