Performance

Kunst jenseits des Wohlfühlbereichs

Südafrika: Kapstadt - Hafen am 10. März 2009
Kapstadt: Noch bis zum 7. September 2014 findet das Live Art Festival hier statt. © picture-alliance/ dpa / epa Nic Bothma
Von Leonie March · 30.08.2014
Jay Pather gilt als einer der visionärsten Köpfe der zeitgenössischen Kulturszene Südafrikas. Er kuratiert das Live Art Festival in Kapstadt, und der Bezug zu afrikanischen Themen zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Programm - Grenzüberschreitungen inklusive.
Eine querschnittsgelähmte Tänzerin fährt mit ihrem Rollstuhl Kreise über die Bühne. Ihr Partner sitzt ebenfalls im Rollstuhl, beinamputiert. Doch sein Bewegungsspektrum ist beeindruckend: anmutig, kraftvoll, sogar akrobatisch. Immer wieder hält das Publikum den Atem an.
Tanz und Behinderung sind für den südafrikanischen Choreografen Andile Vellem keine Widersprüche. Er selbst ist taubstumm, integriert Gebärdensprache in sein Stück "Un-mute", das die Grenzen zwischen Tanztheater und Performance ebenso sprengt wie die Vorstellungskraft der Zuschauer. Einer der Gründe, warum Kurator Jay Pather es für das "Live Art Festival" ausgewählt hat.
"Das Risiko und die Reife der Choreografie, die Art wie sich die Körper im Raum bewegen und das Tempo lassen dem Zuschauer keine Zeit in sein normales Denkmuster zu verfallen; nämlich dass man Behinderte besonders vorsichtig behandeln muss. Oft grenzt diese Vorsicht ja an Entmündigung. Behinderte werden wie Kinder behandelt. In diesem Stück zeigen die Tänzer, dass sie sich durch diese Sonderbehandlung behindert fühlen und wozu sie eigentlich fähig sind. Es weckt starke Emotionen und regt dazu an, unsere Einstellung gegenüber Behinderten zu hinterfragen."
Performance-Künstler, Tänzer, Schriftsteller, Architekten und Wissenschaftler eingeladen
Kunst jenseits des Wohlfühlbereichs ist eines der Markenzeichen von Jay Pather, einem der visionärsten Köpfe der zeitgenössischen Kulturszene Südafrikas. Als Leiter des renommierten Gordon Instituts für Darstellende Künste an der Universität von Kapstadt fördert er seit Jahren experimentelle, innovative und interdisziplinäre Arbeiten. Zum "Live Art Festival" hat er nicht nur Performance-Künstler und Tänzer eingeladen, sondern auch Schriftsteller, Architekten und Wissenschaftler.
Zwischen Exponaten aus der Pathologie und Kunstwerken, die sich mit dem Tod beschäftigen, vollführt eine junge Künstlerin ein traditionelles Totenritual. In gewisser Weise eine Urform der Performance, meint Jay Pather. Der Bezug zu afrikanischen Themen, zu Fragen, die gerade Südafrikanern momentan auf den Nägeln brennen, zieht sich wie ein roter Faden durch sein Festivalprogramm.
"Es geht etwa um das Spannungsfeld von Republik und Nationalismus, um verschiedene Definitionen von Weiblichkeit oder um eine Auseinandersetzung mit Menschen in der Peripherie, wie beispielsweise illegalen Einwanderern. Weitere Themen sind Tod und Vergänglichkeit sowie unser Verhältnis zu Objekten. Der nigerianische Künstler Jelili Atiku ist etwa mit einer Arbeit vertreten, in der er Waffen als eine Verlängerung des Körpers betrachtet. Viele Arbeiten enttarnen die Scheinheiligkeit und die Einschränkungen unserer Gesellschaft. Sie rücken Themen ins Rampenlicht, die viele lieber unter den Teppich kehren würden."
Doch die Künstler zeigen nicht nur mit dem Finger auf andere – auch der Kunstbetrieb selbst wird kritisch unter die Lupe genommen. Teils ernsthaft, teils humorvoll, wie in der irrwitzigen Performance "The Impossible Auction".
Ein humorvoller Ansatz
Bei dieser "unmöglichen" Auktion kommen buchstäblich unverkäufliche Werke unter den Hammer: Ein dadaistisches Lautgedicht oder Marina Abramovics Performance "The Artist Is Present". Objektlose Kunst, die nur im Moment existiert. Aber welchen Wert hat Kunst, die sich nicht zu Geld machen lässt heutzutage? Dieser Frage geht Anthea Moys in ihrer spielerischen Performance nach.
"Einige dieser Werke sind wirklich etwas ganz Besonders. Sie haben Gewicht. Es war mir wichtig ihre Integrität zu erhalten, obwohl ich mit dem Publikum spiele und lache. Ich würde mir wünschen, dass die Leute einen Eindruck von der Bedeutung, der Vielfalt, der Geschichte und dem Wert der Performancekunst bekommen. Gleichzeitig sollten wir uns nicht zu ernst nehmen: Jeder von uns musste sich doch schon mal bei einer Performance das Lachen verkneifen. Wir finden vielleicht bizarr, was wir sehen, trauen uns aber nicht, es auch zu zeigen. Ich finde es wichtig, dass wir ab und zu auch mal über uns selbst lachen können."
Mit ihrem humorvollen Ansatz konnte Anthea Moys das Publikum begeistern. Aber auch das Interesse an teils schwerverdaulichen Performances ist groß. Kurator Jay Pather ist es gelungen ein hochkarätiges Programm zu entwerfen, das unterhält, nachdenklich macht und im besten Sinne provoziert.