PEN-Präsident Josef Haslinger bedauert drohendes Aus für Bachmann-Wettbewerb

25.06.2013
Der Bachmann-Preis habe Nachwuchsautoren geholfen, im Literaturbetrieb zu reüssieren, betont Josef Haslinger. Man müsse vielleicht die Art der Inszenierung überdenken, aber es sei falsch, "dass man das einfach gleich wegwirft", meint der Präsident des Schriftstellerverbandes PEN.
Susanne Führer: Drei Tage dauert der Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis, drei Tage lang lesen die Autoren und diskutieren die Juroren, und das alles öffentlich. Denn der Fernsehsender 3Sat überträgt die Veranstaltung aus Klagenfurt, veranstaltet aber wird sie vom ORF, also vom Österreichischen Rundfunk. Und der, sagt der Generaldirektor des ORF, kann sich das nicht mehr leisten. Damit stünde der Bachmann-Wettbewerb in seiner jetzigen Form vor dem Aus. Gestern Nachmittag war der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger zu Gast in unserem Studio, er war in Klagenfurt mehrmals dabei, und zwar sowohl als Autor als auch als Juror. Ich habe ihn gefragt, was wir mit dem Bachmann-Wettbewerb verlieren würden.

Josef Haslinger: Ja, wir – wer ist wir? Die Autoren verlieren jedenfalls, die jungen Autoren verlieren eine der besten Möglichkeiten im deutschsprachigen Raum, als Autoren zu reüssieren, als Autoren bekannt zu werden, ihre Karriere zu starten. Dafür war der Ingeborg-Bachmann-Preis immer gut. Es gab manchmal Autoren, die hatten das nicht nötig, zum Beispiel der erste damals, das war, glaube ich, Gerd Jonke, der hat als erster das bekommen. Dessen literarische Karriere hatte schon begonnen, aber trotzdem – es wurde der ganze deutschsprachige Raum damals auf die musikalische Sprache dieses Autors aufmerksam. Der nächste, wenn ich mich recht erinnere, war Plenzdorf. Das war auch eine interessante Sache, denn mehrmals waren Autoren aus der damaligen DDR Ingeborg-Bachmann-Preis-Gewinner. Oder Katja Lange-Müller, ja, war auch Bachmann-Preisträgerin. Also es gibt eine ganze Menge Autoren, die man nennen könnte, die tatsächlich über den Bachmann-Preis einen guten Start als Autoren hinlegen konnten.

Führer: Auch in den letzten Jahren? Die DDR gibt es ja schon eine Weile nicht mehr.

Haslinger: Auch in den letzten Jahren, doch, doch. Es kann sein, dass der Glanz der Bachmann-Preisträger etwas überstrahlt wurde zum Beispiel durch neue Inszenierungen wie den Deutschen Buchpreis, das wird sicher so sein. Insofern kann man auch berechtigt fragen, ob diese Form von Inszenierung, Veranstaltung überarbeitet werden muss. Ob das, was vor – ich glaub, das sind ja schon 37 Jahre jetzt oder so ähnlich, jedenfalls in dieser Größenordnung, dass diese Veranstaltung existiert –, ob man nicht nachdenkt, was heute eine zeitgemäße Veranstaltung wäre. Damals war es sicher so, damals gab es ja auch Proteste dagegen. Ich erinnere mich, die Autorenverbände haben protestiert, da geht man nicht hin, man darf nicht zulassen, dass die Autoren gegeneinander aufgehetzt werden, dass hier gleichsam ein Konkurrenzverhältnis der Autoren öffentlich inszeniert wird. Aber diese ganze Aufregung hat sich auch im Laufe der Jahre gelegt.

Führer: Aber Sie haben gerade schon gesagt, also vielleicht hat sich diese Form der Veranstaltung ja auch überlebt. Zum einen könnte man vielleicht sagen, Wettlesen, passt denn das wirklich zur Literatur? Und zum anderen ist natürlich heutzutage drei Tage, ist eine sehr lange Zeit.

Haslinger: Drei Tage ist eigentlich für Literatur eine sehr kurze Zeit …

Führer: Aber für einen Preis …

Haslinger: Für einen Preis, für eine Veranstaltung ist es eine – und noch dazu eine, die weitgehend, über weite Strecken live im Fernsehen übertragen wird, ist das eine sehr lange Zeit. Und das war aber auch das Besondere an diesem Bachmann-Preis, dass man sich da Zeit nehmen musste und Zeit nehmen konnte und Zeit nehmen sollte, weil sonst hat das Ganze ja nicht funktioniert. Natürlich kann ich zuschauen, wie die Preisträger gekürt werden, aber wenn ich ihnen vorher nicht beim Lesen zugehört hab, habe ich wenig davon.

In den besten Momenten konnte man beim Bachmann-Preis Leuten beim Denken zuschauen, und die Repliken und Diskussionen, die es dann gelegentlich darüber gab, das sind schon – das sind auch schöne Fernsehmomente gewesen, und es ist schade, wenn dieses öffentliche Nachdenken über Literatur, dieses Reflektieren, also das ist ja die reflektierende Urteilskraft, das ist ja nicht etwas, was sozusagen feststeht, und da hab ich einen Leisten, nach dem ich das messe, oder ich hab klare Kriterien, nach denen ich sagen kann, das gut, das schlecht. Sondern man muss die Kriterien, nach denen man einen Text bewertet, ja auch erst darstellen, und das ist in den besten Momenten der Fall gewesen, sodass man auch nicht nur Literatur kennenlernte, sondern auch eine Weise, sie aufzunehmen und sie wirken zu lassen.

Führer: Im Deutschlandradio Kultur spreche ich mit Josef Haslinger über das drohende Aus für den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt. Herr Haslinger, bisher überträgt 3Sat drei Tage lang den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb mit sehr, sehr, sehr schlechten Einschaltquoten. Der ORF hat jetzt gesagt, also er kann das nicht mehr. Der ORF veranstaltet das, gibt insgesamt 350.000 Euro, sagt er kostet das, kann das nicht mehr finanzieren. Wäre es nicht ein denkbarer Weg, zu sagen, okay, wir machen weiter diesen Wettbewerb, der Preis ist ja gesichert, den stiftet ja die Stadt Kärnten, aber der kommt nicht mehr ins Fernsehen, weil es sich ja sowieso niemand anguckt.

Haslinger: Das wäre allerdings ein großer Nachteil. Dieser Preis hat immer davon gelebt, dass er im Fernsehen ist. Er ist ja fürs Fernsehen konzipiert, und er ist von Rundfunk-Leuten erfunden worden, Rundfunk- und Fernseh-Leuten erfunden worden. Also man müsste dann eine völlig andere Inszenierung erfinden. Ich kann mir vorstellen, dass man auch für das Fernsehen über neue Formen der Ausgestaltung dieses Preises und dieses Wettbewerbs nachdenkt. Man kann sich auch fragen, wieso eigentlich nur die deutschsprachige Literatur, man kann sich also eigentlich sogar eine Ausdehnung vorstellen in den europäischen Raum hinein. Im Grunde ist Nationalliteratur ein Schnee von gestern.

Führer: Aber um Nationalliteratur geht es ja nicht. Es geht ja um deutschsprachige Literatur, und Sprache ist in der Literatur, wenn unveröffentlichte Texte vorgelesen werden sollen, ja schon entscheidend. Also ich denke jetzt mal an den Übersetzeraufwand, der da getrieben werden müsste.

Haslinger: Ja. Der Übersetzeraufwand wäre erheblich, das ist klar, aber es wäre auch ein Kennenlernen von anderer Literatur. Wenn Sie jetzt, zumal – es ist so: Wenn Sie jemanden fragen, er soll amerikanische Autoren aufzählen, dann wird er wohl, wenn er sich für Literatur interessiert, schlagartig einige nennen können. Wenn Sie ihn fragen, er soll Autoren einer der größten literarischen Nationen Europas, nämlich französische Autoren aufzählen, dann wird plötzlich wahrscheinlich das große Schweigen herrschen, mit Ausnahme von Spezialisten. Das heißt, da gibt es tatsächlich ein Defizit.

Führer: Lassen Sie uns noch mal zurückkommen zu dem jetzt drohenden Aus für den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Was würde denn die Stadt Klagenfurt und was würde denn Österreich damit verlieren, wenn es den nicht mehr gäbe?

Haslinger: Die Stadt Klagenfurt würde ihre einzige Literaturveranstaltung, die sie überhaupt hat, verlieren. Die Stadt Klagenfurt ist, was die Literatur betrifft, in einer ganz jämmerlichen Lage, und hat immer sich darauf ausgeredet, aber wir machen ja den Ingeborg-Bachmann-Preis, und da konnte man ja schwer widersprechen, das war nun wirklich eine beachtete literarische Veranstaltung. Aber es gibt in Klagenfurt so gut wie keine von der Stadt finanzierten Lesungen, es gibt kein Literaturhaus, ja in Klagenfurt gibt es die Eigenart, dass es nicht einmal eine Stadtbibliothek gibt. Also Klagenfurt wäre mehr oder weniger ohne Literatur. Es gibt ein paar Vereine in Klagenfurt, die hin und wieder etwas veranstalten, wie etwa das Robert-Musil-Haus, aber die Stadt macht so gut wie nichts und hat sich völlig auf diesen Bachmann-Preis zurückgezogen gehabt. Also das wäre für die Literaturszene in Klagenfurt verheerend?

Führer: Und für Österreich und den ORF zumindest rufschädigend.

Haslinger: Für rufschädigend sowieso. Es ist ja tatsächlich die bedeutendste Literaturveranstaltung, die im Fernsehen, in den öffentlich-rechtlichen Medien im deutschsprachigen Raum stattfindet. Und wenn der Druck, der Quotendruck, der überall auch herrscht, ja, wenn der ein Problem ist, klar, dann kann man drüber nachdenken, wie bringt man das auf ein erträgliches Maß, nämlich auf ein erträgliches Maß, dass man das gut vertreten kann. Aber das heißt doch nicht, dass man das einfach gleich wegwirft. Das ist eine Veranstaltung, auf die man im Grunde stolz sein kann, denn selbst wenn die Einschaltquoten, gemessen an, sagen wir, Showsendungen, in einem anderen Sinne verheerend sein mögen – nennen Sie mir einmal die Bücher, die eine solche Auflagenzahl haben wie dieses Spektakel an Einschaltquote hat. Das sind ja – eigentlich nur noch bei ganz wenigen Büchern.

Führer: Wenn der ORF ausfällt, haben Sie eine Idee, wer einspringen könnte als Financier?

Haslinger: Ich kann mir nicht vorstellen, dass das – das wäre ja eine Blamage für Österreich sondergleichen, dass der Bachmann-Preis in Österreich stattfindet, aber der ORF macht nicht mit. Der österreichische Rundfunk hat leider, was die Literatur betrifft, eine schlechte Entwicklung gemacht in den letzten Jahren. Als erstes hat es die Hörspielautoren betroffen. Deren Honorare wurden gleich auf die Hälfte gekürzt. Und dann wurden bestimmte Sendeplätze, in denen Literatur früher eine Rolle gespielt hat, so systematisch reduziert. Und das Engagement des ORF für Literatur ist ohnedies schon ganz bescheiden geworden.

Und man meinte sich im Rennen um Einschaltquoten, das heißt, im Rennen um Werbeeinnahmen, um nichts anderes geht es ja bei den Einschaltquoten, meinte man sich da ein bisschen verabschieden zu können. Aber das kann man nicht. Öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehprogramme werden von den Steuerzahlern mitfinanziert, und damit gelten andere Aufträge, und da kann man nicht nur nach Einschaltquoten schielen. Das ist also das Argument, warum man ihn abschaffen will, zieht überhaupt nicht, denn das einzige, was dabei dann übrig bleibt als seriöses Argument, ist, dass sie nicht in der Lage waren, ein Literaturprogramm zeitgenössisch, der Zeit entsprechend so zu gestalten, dass es sowohl für das Publikum als auch für die Autoren weiterhin interessant ist.

Führer: Der Bachmann-Wettbewerb setzt ja seit 1977, wie gesagt, auf den Wettbewerb, auf die Konkurrenz unter den Autoren. Glauben sie, Herr Haslinger, dass jetzt trotzdem es möglich sein wird, dass es eine allgemeine Solidaritätsaktion gibt für diesen Wettbewerb?

Haslinger: Das kann ich mir gut vorstellen, denn auch wenn im Vordergrund der Wettbewerb war und im Vordergrund gleichsam die Konkurrenz der Autoren, die gegeneinander anzutreten hatten, so war im Hintergrund, hinter den Kulissen, eigentlich immer eine große Solidarität der Autoren da und immer ein gemeinsames Verständnis. Also die Atmosphäre im Hintergrund, hinter den Kulissen, ist eigentlich immer eine sehr gute und gemeinschaftliche und solidarische gewesen. Daran ist der Bachmann-Preis jetzt nicht gescheitert. Es geht schon darum, dass eine gewisse Verlegenheit eingetreten ist, weil man halt jahrzehntelang systematisch immer das Gleiche macht. Und das hält kein Programm durch.

Führer: Das sagt der Schriftsteller Josef Haslinger. Er ist außerdem Literaturprofessor in Leipzig und Präsident des Deutschen PEN-Zentrums, und ich danke Ihnen herzlich für den Besuch hier im Deutschlandradio Kultur, Herr Haslinger!

Haslinger: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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