Pegida-Protest

Irritation durch Irritierte

Pegida-Demonstranten halten ein Tranparent hoch, auf dem "Wir sind das Volk" steht.
Pegida-Demonstranten halten ein Tranparent hoch, auf dem "Wir sind das Volk" steht. © picture alliance / dpa/ Kay Nietfeld
Von Stephan Detjen, Hauptstadtstudio · 22.12.2014
Gestern Abend haben sich wieder Tausende in Dresden versammelt, um gegen die vermeintliche Islamisierung des Abendlandes zu demonstrieren. Proteste, die sich auch gegen die Ausrichtung der deutschen Medien wenden. Und das nicht ohne Grund, kommentiert Stephan Detjen.
Was auch immer Pegida noch ist, eines ist es in jedem Fall: eine Anti-Medien-Bewegung. Viel radikaler als es die AfD jemals wagte unternehmen die Pegida-Aktivisten den Versuch, eine Gegenöffentlichkeit zu etablieren, die sich den Kommunikationsmechanismen der hergebrachten Medien radikal versperrt. Nicht einmal als neuartiges Produkt der sozialen Netzwerke im Internet lassen sich die Demonstrationen deuten. Die Leute stehen auf einmal ganz real auf den Straßen und niemand konnte bisher so wirklich erklären, woher sie kommen und was sie dorthin getrieben hat. Alle Interviewanfragen an die Pegida-Organisatoren laufen ins Leere.
In den Talkrunden des Fernsehens gehören Bernd Lucke, Hans Olaf Henkel und Alexander Gauland von der AfD inzwischen ebenso zum Stammpersonal wie Wolfgang Bosbach als parlamentarischer pars pro toto und Hajo Schumacher als ewig gut geföhnter Mediendarsteller. Über Jahre hinweg hat das Fernsehen gerade da, wo es vorgaukelt, die relevanten Diskurse der Gesellschaft zu spiegeln, eine fragwürdig schillernde Parallelwelt geschaffen. Parlamentarische Hinterbänkler und Ex-Minister wurden zu Zentralfiguren des politischen Betriebes stilisiert. Eloquente Selbstvermarkter, deren publizistische Existenz sich in der regelmäßigen Teilnahme an Talkshows erschöpft, wurden als bedeutende Journalisten etikettiert, der Begriff des Experten besinnungslos inflationiert. Eine Medienwelt, die sich selbst genug ist, schafft genau jene Räume, in denen Gegenöffentlichkeiten gedeihen.
Verurteilungskonsens
Schneller als die Analyse, worum es sich bei den Pegida-Aufmärschen eigentlich handelt, stand der Verurteilungskonsens all derer, die sich genau damit in den Augen der Demonstranten als Kartell einer selbstgenügsamen Medienöffentlichkeit qualifiziert haben dürften. In München versammelt sich dieses Establishment heute zu einer Gegendemonstration gegen einen Pegida-Aufmarsch, der schon Ende letzter Woche abgesagt wurde. Der eine oder die andere könnte sich genau dadurch aufgerufen fühlen, den Beweis dafür anzutreten, dass Pegida doch genau jene Ausgeburt eines braunen Sumpfes ist, als die das Phänomen von den eilfertigen Mahnern und Warnern gesehen wird. Dann wäre der selbstreferenzielle Zirkelschluss der Medienöffentlichkeit vollendet.
Erwartungshaltungen unterlaufen
Bislang allerdings hat die Pegida Bewegung zunächst einmal viele Erwartungshaltungen unterlaufen: Blanke Ausländerfeindlichkeit, hergebrachter Rechtsextremismus oder gar offene Nazi-Ideologie sind offenbar nicht die Zentralmotive, die die Leute dazu bewegen, Weihnachtslieder gegen das zu singen, was sie als "Islamisierung des Abendlandes" anprangern. Möglicherweise hat der Ethnologe Thomas Hauschild Recht, der heute im Deutschlandradio Kultur die Vermutung äußerte, Pegida sei ein ausgesprochen lokales Phänomen, mit dem Menschen auf Veränderungen in ihrem unmittelbaren Nahbereich reagieren. Es geht nach der Einschätzung Hauschilds um eine Entwertung von Gewohnheiten, Ritualen und Lebensformen, die eine diffuse Beunruhigung auslöst. Pegida müsste demnach als Irritation durch Irritierte verstanden werden. Die angemessene Reaktion darauf dürfte nicht allein in Verurteilung und Ausgrenzung bestehen. Vielmehr wäre es ebenso nötig, zu prüfen, wo in der Medienöffentlichkeit jene blinden Flecken liegen, in deren Wahrnehmungsschatten gefährliche Gegenöffentlichkeiten entstehen.
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