Pegida

Eine neue APO in Ostdeutschland?

Anhänger der islamkritischen Bewegung Pegida am 19.01.2015 in Suhl
Anhänger der islamkritischen Bewegung Sügida (Südthüringen gegen die Islamisierung des Abendlandes) demonstrieren am 19.01.2015 in Suhl. © picture alliance / dpa / Foto: Martin Schutt
Von Henry Bernhard · 04.02.2015
Der Erfolg der Pegida-Bewegung lässt manche fragen, ob nach den 68ern eine neue Außerparlamentarische Opposition am Entstehen ist. Protestieren die Bürger doch auch mit politischen Parolen gegen die etablierten Machthaber wie damals.
Suhl im Süden Thüringens am vergangenen Montag. Ich stehe zwischen den Fronten. Links ruft die Antifa "Nie wieder Deutschland!", rechts brüllen die Demonstranten der rechtsradikalen Sügida-Demo "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!" Ein Linker streckt den Rechten seinen Hintern entgegen, die Rechten zeigen ihm den Mittelfinger. Eben, als sie noch alle drei Strophen des Deutschlandliedes gesungen haben, haben manche ihren rechten Arm gehoben. Für einen wie mich ein irritierendes Bild: Für den Hitlergruß waren wir 1989 eigentlich nicht auf die Straße gegangen, aber doch für die Demonstrationsfreiheit aller. Dafür, dass jeder öffentlich seine Meinung sagen kann, auch Dummköpfe und Rassisten.
David Köckert: "Hier geht es nicht mehr um Links oder Rechts; hier geht es nicht mehr um Oben oder Unten, hier geht es um Deutsch oder Anti-Deutsch. Und wir sind deutsch!"
Die Demonstranten – vom HASS-tätowierten Neonazi bis zum braven Bürger, der sonst nur die Faust in der Tasche ballt – sie wollen nichts zu tun haben mit CDU, SPD, Linken, Grünen. Sie fühlen sich nicht repräsentiert.
Köckert: "Frau Merkel, Sie haben den Respekt gegenüber ihrem eigenen Volk verloren! Also erwarten Sie auch keinen Respekt mehr von uns! Da können Sie ihre ganze Verbrecherbande mitnehmen – und die brauch‘ hier keiner mehr!"
Ist da eine neue "APO von rechts" auf der Straße unterwegs, wie die "Zeit" fragt und der "Stern" behauptet? Eine außerparlamentarische Opposition wie 1968? Damals, 23 Jahre nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs; heute 25 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR? Damals waren es junge Menschen, Studenten meist, die die Vergangenheit abschütteln wollten, die Verhältnisse durchrütteln, ja auf den Kopf stellen.
Argumente wie bei den 68ern
Sprechchor: "Ho-Ho-Ho-Tschi-Minh"
Rudi Dutschke: "Ich halte das bestehende parlamentarische System für unbrauchbar. Das heißt, wir haben in unserem Parlament keine Repräsentanten, die die Interessen unserer Bevölkerung, die wirklichen Interessen unserer Bevölkerung ausdrücken."
Sicher klingt Rudi Dutschke 1968 intellektueller als die Redner in Suhl, Dresden, Leipzig heute. Aber das Argument ist ein sehr ähnliches: Wir werden nicht mehr repräsentiert, also gehen wir auf die Straße. 1989 hat es ja auch funktioniert – gerade in Dresden. Alexander Häusler, AfD-Experte von der Fachhochschule Düsseldorf, sieht die Parallelen, aber:
"Der Vergleich mit der APO ist insofern nicht zutreffend, als dass damals '68 ein politisches Milieu auf die Straße gegangen ist, was gegen verkrustete, versteinerte Verhältnisse auf die Straße gegangen ist und quasi einen kulturellen Aufbruch gefordert hat gegen restaurative Verhältnisse in der alten Bundesrepublik. Der Protest, der heute unter diesem Label Pegida zum Ausdruck gekommen ist, ist quasi der Wunsch nach Rückkehr zu vermeintlich Altbekanntem, also genau das Gegenteil. Also das, was die Leute wollen, sind heile Scheinwelten, wie sie in der Bundesrepublik vor '68 existiert haben oder eben in der alten DDR existiert haben."
Rückwärts und vergessen
Ein abgeschottetes Deutschland, bieder und kleinbürgerlich wie die DDR, am besten mit der D-Mark, keine Ausländer, keine Dunkelhäutigen, keine Schwulen, keine fremden Sprachen; ein stolzes Deutschland ohne EU und NATO, Putin zugewandt; an der Spitze ein starker Mann, der sich um die Deutschen kümmert – und nur um sie, der vom Dritten Reich endlich schweigt. So schwebt es auch Kathrin Oertel in Dresden vor:

"In unserem Land liegen die Prioritäten auf deutschen Gesetzen, deutscher Kultur, deutschen Sitten und deutschen Bräuchen. Und wem das "deutsch" vor den eben genannten Substantiven nicht gefällt, der ist dann eben in Deutschland wahrscheinlich auch falsch."
Sie fordern den Rückzug auf das Bekannte, Sichere, Vertraute, artikulieren eine Angst vor der Moderne, die unaufhaltsam in ihren Alltag eindringt. Die 68er, so wirr sie waren, wollten die Verhältnisse erneuern, mit der Nazi-Vergangenheit abrechnen. So bewegen sich Pegida und ihre Filialen auf den Straßen wie die 68er, aber in entgegengesetzter Richtung.
Köckert: "Wir lassen nicht zu, dass das deutsche Volk assimiliert wird. Wir sind hier in einem christlichen Abendland; und das wird es bleiben. Das ist Deutschland und bleibt Deutschland!"
Peter Reif-Spirek von der Thüringer Landeszentrale für Politische Bildung sieht im Rechtspopulismus heute eine antiemanzipatorische Rebellion gegen all das, was den Westen in eine offene Gesellschaft geführt hat.
Demo gegen Pegida am 19.01.2015 in Suhl
Protest gegen den Pegida-Ableger Sügida am 19.01.2015 in Suhl© picture alliance / dpa / Foto: Martin Schutt
"Aber er ist natürlich eine Rebellion, die zugleich ressentimentgeladen ist; und es ist eine Rebellion, die Opfer hat: Und die Opfer sind eben nicht die politisch Mächtigen, die ´Lügenpresse`, sondern die Opfer sind die noch Schwächeren – diejenigen, die keinen Rechtsstatus haben, die Migranten."
Der Historiker Heinrich August Winkler warnt vor einem ostdeutschen Versuch, die Öffnung Deutschlands zur politischen Kultur des Westens rückgängig zu machen:

"Eine krude Mischung von Antiamerikanismus und einer merkwürdigen Verklärung deutsch-russischer Gemeinsamkeiten. Das alles hat es schon in Weimar gegeben."
Wie in der Weimarer Republik
Weimar: Vielleicht ist das der treffendere historische Bezugspunkt als die APO 1968. In der Weimarer Republik formierte sich in den 20er-Jahren eine Bewegung gegen die neue Zeit. Deutschland war 1918 aus der vermeintlich heilen Welt der Kaiserzeit herausgeworfen worden und in einen Modernisierungstaumel geraten. Viele suchten Halt und fanden ihn in bei den Nationalen, den Völkischen, den Rechten. Diese Bewegung wurde mächtig, weil sie sehr viele junge Leute in ihren Bann zog. Das war auch die Stärke der APO 1968, die die westdeutsche Gesellschaft tiefgreifend verändert hat. Heute, 2015, ist der durchschnittliche Dresdner Pegida-Demonstrant Ende 40. In Suhl aber, bei der rechten Sügida-Demonstration, sind viele junge Männer unterwegs.
Sprechchor:
"Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!
Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!
Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!"
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