Pegida

Da geht vieles durcheinander

Pegida-Demonstranten in Dresden halten am 15. Dezember 2014 Banner hoch.
Manche der Slogans, die Pegida-Anhänger benutzen, sind aus anderen Zusammenhängen entlehnt. © imago/epd
Von Lutz Rathenow · 07.01.2015
Bei Pegida werden politische Losungen wie das eigentlich wunderbare "Wir sind das Volk" nur noch symbolisch benutzt. Doch ohne historische Substanz fehlt ihnen etwas Entscheidendes, meint der Autor Lutz Rathenow.
Kürzlich in einer Markthalle Dresdens bei einem Kaffee das Gespräch am Nachbartisch: zwei ältere Herren im freundlichen Streit. Obama sei am Krieg in der Ukraine Schuld, sagt der eine. Der andere: nein, die amerikanische Rüstungsindustrie erzeuge an der Politik vorbei alle Konfliktherde der Welt, um ihre Waffen abzusetzen.
Hier mischen sich Verschwörungslinks und Verschwörungsrechts in neuer antiamerikanischer und antisemitischer und oft antiwestlicher Intensität. Dass die meisten Waffen in der Ukraine doch noch aus russischer Produktion stammen, wollte ich hinzufügen. Aber da waren sie schon zu Pegida gesprungen, voller Vorfreude auf den nächsten Montag: Da würde es denen da oben hoffentlich so richtig gezeigt.
Hass auf die "Systemmedien"
Die da oben, das sind die Politiker zum Beispiel, aber auch der internationale Kapitalismus und die Lügenpresse. Es herrscht ein Hass auf die sogenannten Systemmedien. Viele Pegidianer reden nicht in die Kameras und Mikrophone und ertrotzen so deren Aufmerksamkeit. Viele setzen Presse mit gelenkter Propaganda gleich: So war es in der Zeit ihrer Eltern und Großeltern bis 1945, auf andere Weise ähnlich in der Zeit danach bis 1989.
Das Wort "Lügenpresse" ist böse und es ist falsch. Manche können sich den deutschen Vereinigungswesten nur als umgepolten Osten vorstellen. Die über Pegida unterschiedlich reflektierenden überregionalen Zeitungen werden außerhalb der großen Städte Sachsens kaum gelesen. Die Lokalzeitungen auch im ländlichen Raum immer weniger. Sie und die Journalisten aus der Region geben sich Mühe, zum Faktencheck und zur Wahrnehmungsbereitschaft für die Realität anzuregen. Aber sie dringen gegen den Verschwörungswettbewerb im Netz kaum noch durch. Denn die Pressefeindlichkeit ist eine, die die Presse vorwiegend aus den in anderen Medien vermittelten Zitaten kennt.
Die für einen Demotag anreisenden Beobachter wissen vieles nicht: Mit den Sorben leben anderssprachige Deutsche ganz in der Nähe, der Ministerpräsident Sachsens ist einer. Ausländer sind – neben der steigenden Zahl von Touristen in Dresden – arbeitssuchende Europäer nicht nur aus Spanien oder Griechenland. Polen und Tschechien sind ganz in der Nähe und es gibt viele grenzüberschreitend arbeitende Aktivitäten für ein sich ständig verbesserndes Miteinander. Auch bei der Bekämpfung der realen Diebstahlskriminalität im grenznahen Raum. Das meiste davon – unbekannt.
Man redet ja nicht mit "denen da oben"
Und da weiß ein aus Berlin anreisender Kommentator nicht, dass in Dresden vor fast genau 25 Jahren Helmut Kohl vom Willen der Dresdner zur Einheit so überwältigt war, das er sie fortan intensiv anstrebte. Jetzt trat er dort noch einmal auf, umjubelt. In dieser Nachfolge sehen sich offensichtlich manche Montags-Demonstranten heute – andere waren auch bei den schlechter besuchten Anti-Hartz-4-Demos auf die Straße gegangen. Auch mit dem Spruch "Wir sind das Volk". So ist das halt, wenn politische Losungen entfernt von ihrer historischen Substanz nur noch symbolisch benutzt werden.
So vieles geht durcheinander. So vieles wird hinausgerufen, aber nicht besprochen, schließlich redet man nicht mit "denen da oben". Wenn die Veranstalter tatsächlich die Gesellschaft gestalten wollen, dann wäre jetzt der Zeitpunkt auf weitere Demos zu verzichten und die angebotenen Dialoge in den Kirchen und mit den politischen Bildnern anzunehmen. Sonst wird die Verkumpelung der Verschwörungsgemeinschaften in Dresden fortschreiten. Sonst hat der heimatlose Anti-Kapitalismus einen Treffpunkt außerhalb des Netzes. Und es wird mühevoll, diesen friedlich zu halten.
Lutz Rathenow wurde 1952 in Jena geboren, lebte bis zum Mauerfall in Ost-Berlin, heute in Dresden und Berlin. Lyriker, Kurzprosaschreiber , Kinderbuchautor, Kolumnist, Gelegenheitsdramatiker, Nachrichtenübermittler. Flanierte zwischen politischer und subkultureller Opposition in Berlin. Kurze Zeit wegen des ersten Buches inhaftiert. Seit 2011 Sächsischer Landesbeauftragter für Stasi-Unterlagen. Am erfolgreichsten: "Ostberlin - Leben vor dem Mauerfall" (mit Fotos von Harald Hauswald), Neuausgabe Jaron 2014, demnächst: "Einer lacht immer. Ein Lesebuch", mdv Dezember 2014.
Der Schriftsteller Lutz Rathenow  nach seiner Wahl zum neuen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Sachsen
Der Schriftsteller Lutz Rathenow nach seiner Wahl zum neuen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Sachsen© picture alliance / dpa / Matthias Hiekel
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