Peggy Parnass

Bittersüße Erinnerungen an die Kindheit

Die Publizistin Peggy Parnass posiert am 6. Januar 2014 in Hamburg beim Neujahrsempfang des "Hamburger Abendblatt" im Hotel Atlantic.
Die deutsch-schwedische Schauspielerin, Kolumnistin, Gerichtsreporterin und Autorin Peggy Parnass. © picture alliance / dpa / Angelika Warmuth
Von Sylvia Schwab · 02.12.2014
In Peggy Parnass' autobiografischen Erinnerungen an ihre Kindheit im Dritten Reich werden Hass, Schmerz und Trauer im Erzählen aufgehoben. Die leuchtenden Illustrationen zum Buch vertreiben die düstere Stimmung.
Die Kindheit von Peggy Parnass war schwierig und voller Angst. Und sie war glücklich und voller Liebe. Was die 70-jährige alte Dame in ihrem schmalen Buch "Kindheit" erzählt, lässt sich in kein Raster autobiografischer Erinnerungen pressen. Es ist so ungewöhnlich und bewegend, dass man als Leser zugleich erschüttert und getröstet zurückbleibt. Getröstet, weil diese "Kindheit" so erzählt ist, dass Wut und Hass, Schmerz und Trauer im Erzählen aufgehoben werden.
Keine 50 Textseiten umfasst Peggy Parnass' Bericht über ihre Kindheit. Und diese Seiten sind großzügig bedruckt. Denn jede Episode braucht sehr viel Raum um und für sich. Ob die Autorin von ihrer geliebten Mutter erzählt, die so wunderbar duftete, oder von ihrem schlitzohrigen Vater, der die Mutter immer wieder mal betrog, ob sie von ihren Essstörungen oder von ihrem kleinen Bruder "Bübchen" berichtet, von den Erfahrungen des Judenhasses in Deutschland und den grausamen Heimmitarbeitern in Schweden - fast jede Szene besitzt eine nur mühsam gebändigte Dramatik und eine große emotionale Wucht.
"Kindheit" setzt sich aus lauter kurzen Abschnitten zusammen, aus Erinnerungssplittern, Mosaikteilen und Bildern. Sie sind nicht streng chronologisch geordnet und wirken wie assoziativ miteinander verbunden. Die erwachsene Erzählerin ist überall spürbar, zu aufwühlend sind diese Erinnerungen, als dass sie ihre Gefühle, Gedanken und Kommentare unterdrücken könnte.
Was sie erzählt, wirkt wie das Kondensat ihrer ersten elf Lebensjahre, ihrer erfüllten frühen Kindheit und der schrecklichen Jahre in Schweden. Erst die Fantasie des Lesers kann die vielen Leerstellen ausfüllen, darum kommt es auf den Leser an, was und wie viel er wissen will und sich vorstellen kann.
Mit leuchtenden Farbholzschnitten illustriert
Tita de Rego Silva, eine Freundin von Peggy Parnass, hat dieses Buch illustriert. Mit leuchtenden, expressiven Farbholzschnitten, die die Traurigkeit vieler Textstellen aufheben und die düstere Stimmung mit explosivem Gelb, Orange und Rot vertreiben. Ihre Figuren, schlanke, langbeinige Fabelwesen, eine magische Mischung aus Tier und Mensch, irritieren nur auf den ersten Blick. Dann überwiegt der Eindruck von Heiterkeit, Frische und Witz. Es ist, als besiegten diese schwungvollen Illustrationen die böse Vergangenheit, als könnte ihre schräge Phantasie der grausamen Realität ein Schnippchen schlagen.
So ist es auch absolut nachvollziehbar, dass dieser bewegende und zugleich so lakonisch daherkommende Text in einer Jugendbuchreihe auftaucht. Trotz seiner Dramatik - und manchmal auch Drastik im Ausdruck - ist er Zwölfjährigen "zumutbar". Nicht nur durch den klaren Rhythmus seiner Sprache und die völlige Abwesenheit von Pathos oder Sentimentalität, sondern eben auch durch die kantigen Konturen und die sonnige Frische seiner Illustrationen.
Schon 2013 hatte die Stiftung Buchkunst "Kindheit" als eines der 25 schönsten Bücher des Jahres ausgewählt. Was für ein Glück, dass die moderne Technik den Nachdruck der verlorenen Holzstöcke ermöglicht!

Peggy Parnass: Kindheit. Wie unsere Mutter uns vor den Nazis rettete
Mit Farbholzschnitten von Tita do R´e'go Silva
Fischer Verlag, Frankfurt 2014
80 Seiten, 14,55 Euro. Ab 12 Jahren