Pedro Juan Gutiérrez

    Von Tobias Wenzel · 30.08.2013
    Warum fürchtet sich der Macho Pedro Juan Gutiérrez davor, einen Friedhof zu betreten? Und wieso ist er für den Tod seiner Mutter dankbar?
    Alte Fords, Buicks und Chevrolets fahren vorbei am größten Friedhof Havannas und ganz Amerikas. Pedro Juan Gutiérrez läuft von außen an der Friedhofsmauer entlang. Alle paar Meter wechseln sich Mauerstück und Zaun ab. Geradezu eine Einladung, durch die schmiedeeisernen Gitterstäbe einen Blick auf die Marmorgräber zu werfen. Aber der kubanische Autor hält den Kopf abgewandt vom Friedhof.

    "Ich habe ein bisschen Angst vor dem Tod. Und ich mag keine Friedhöfe. Angst vor dem Tod zu haben ist vermutlich das gleiche, wie in jeder Sekunde Angst vorm Atmen zu haben."

    Schrieb mir Pedro Juan Gutiérrez, nachdem er vorgeschlagen hatte, mit mir den Cementerio Cristóbal Colón in Kubas Hauptstadt zu besuchen.

    "Für mich ist das eine Herausforderung. Interviews gebe ich nämlich sonst immer auf meiner Dachterrasse mit Blick auf den Malecón. Von dort oben sehe ich den Frauen nach, die so schön mit dem Arsch wippen, trinke Rum und genieße das Leben. Im Vergleich dazu kommt mir ehrlich gesagt diese Sache mit dem Tod und dem Friedhof, puh, schon etwas bedrückend vor.
    Einen herzlichen Gruß, Pedro Juan"

    Ich fotografiere Gutiérrez vor der Friedhofsmauer. Da ich ihn nicht quälen möchte, betreten wir den Friedhof nicht. Der Autor der "Schmutzigen Havanna Trilogie" ist sichtlich erleichtert.

    Pedro Juan Gutiérrez vor dem Cementerio Cristóbal Colón
    Pedro Juan Gutiérrez vor dem Cementerio Cristóbal Colón© Tobias Wenzel/ Knesebeck Verlag

    Eine halbe Stunde später sind wir in seiner Dachgeschosswohnung. Eine Frau kocht. Ein Kind spielt im Wohnzimmer. Wir setzen uns auf die Terrasse. Es ist windig. Spektakuläre Wolken schweben über dem Meer.

    "Hier gibt es so viel Licht! Alles leuchtet blau und grün. Seit 22 Jahren lebe ich schon in dieser Wohnung mit Dachterrasse und sehe diese Weite. Das hat sich mir in meine Seele eingegraben, in mein Herz."

    Die innere Ruhe war mit einem Mal verschwunden, als die Mutter des Schriftstellers an Krebs starb. Pedro Juan Gutiérrez verlor den Boden unter den Füßen. Vier Jahre lang brachte er keine Zeile aufs Papier. Erst der Buddhismus gab ihm wieder Kraft.

    "Das Leben ist unaufhörlich im Fluss, nichts bleibt. Da lernst du, für das dankbar zu sein, was du heute hast. Selbst für den Tod meiner Mutter bin ich dankbar, weil ich letztlich gestärkt aus dieser Erfahrung hervorgegangen bin. Man muss den Tod annehmen, in aller Demut. Das ist für mich eine große Lehre gewesen."

    Es klingt, als könnte er, mit der Religion als Stütze, auch gelassen über einen Friedhof schlendern. Warum aber ist dem nicht so?, frage ich.

    "Als junger Mann musste ich auf einem Friedhof die sterblichen Überreste meiner Großeltern exhumieren, um dort Platz zu schaffen für einen gestorbenen Onkel. Das war eine unglaublich brutale Erfahrung. Deshalb lasse ich den Gedanken, dass sich der menschliche Körper in seine Bestandteile auflöst, nicht mehr an mich heran. Für mich ist das schlimm zu sehen, dass wir rein biologische Wesen sind und nur aus Materie bestehen. Wir wirken dann so verletzlich, so zerbrechlich."

    Aus der Wohnung dringt der Duft von Tomatensoße. Pedro Juan Gutiérrez schaut noch einmal über die Brüstung seiner Terrasse:

    "Ich bin glücklich, wenn ich diese Weite sehe, diesen Himmel, dieses Meer."

    "Pedro Juan Gutiérrez, Cementerio Colón y la terraza de mi casa, La Habana, Cuba"

    Als ich mit Pedro Juan Gutiérrez auf seiner Dachterrasse sitze, mustert er mich mit einem Mal von oben bis unten:

    "Du bist ja ganz in Schwarz gekleidet! Ich trage lieber weiß, rot oder blau. Nie würde ich etwas Schwarzes anziehen. Ich habe gar keine schwarzen Sachen, nicht mal ein einziges schwarzes Kleidungsstück. Ich lehne alles Dunkle ab. Ich habe Angst vor der Dunkelheit. Angst davor, eingeschlossen zu sein. Vermutlich auch eine unbewusste Angst vor dem Tod."