Patriotismus ohne Richtung

Von Andreas Robertz · 11.09.2011
Knapp 70 Arbeiten von mehr als 40 Künstlern hat Kurator Peter Eleey in einer Dépendance des Museum of Modern Art in Queens zusammengestellt, um aufzuzeigen, wie 9/11 unsere Perspektive verändert hat. Die Ausstellung "September 11" verzichtet auf direkte Abbildungen der Ereignisse dieses Tages.
In einem großen weißen Raum sind 40 Lautsprecher kreisförmig aufgestellt. Die einzelnen Stimmen eines vierzigköpfigen Chores, der eine Motette aus dem 16. Jahrhundert singt, sind separat aufgenommen. Im Umherwandern kann man den einzelnen Stimmen zuhören, ohne den Eindruck des gesamten Musikstückes zu verlieren. Diese Arbeit von Janet Cardiff mit dem Titel "The Forty Part Motet"
wurde in den ersten Wochen nach den Angriffen auf das World Trade Center im PS1 ausgestellt.

Die Erfahrung des gleichzeitigen Hörens individueller Stimmen und des Gesamtsounds dieser an ein Requiem erinnernden Musik schien die kombinierte Erfahrung des individuellen Verlustes und der nationalen Tragödie vieler New Yorker angemessen widerzuspiegeln. Zehn Jahre später ist diese Installation im Rahmen der "September 11"-Ausstellung im selben Raum neu aufgebaut. Angemessenheit, die Balance finden zwischen respektvoller Distanz und kritischer Nähe, das ist eine der Herausforderungen, die eine Ausstellung zehn Jahre nach den Angriffen auf das World Trade Center in New York leisten muss:

"Ich denke, die Frage nach der Angemessenheit in Bezug auf 9/11 ist sehr wichtig. Eine der Schwierigkeiten, die uns insbesondere als Amerikaner und dann als New Yorker in den letzten zehn Jahren begegnet sind, ist die Begrenzung, die wir uns selbst auferlegt haben, worüber wir reden dürfen, was wir sehen können und was wir denken."

Knapp 70 Arbeiten von mehr als 40 Künstlern hat Kurator Peter Eleey zusammengestellt, um aufzuzeigen, wie die Geschehnisse am 11. September 2001 unsere Perspektive verändert haben. Dabei verzichtet die Ausstellung auf direkte Abbildungen der Angriffe oder die künstlerische Reflexion derselben, sondern zeigt vor allem Werke, die sich eher indirekt mit dem 11.September beschäftigen oder in vielen Fällen sogar vor 2001 entstanden sind und nun durch die Erfahrung der Ereignisse neu gesehen und gedeutet werden:

"Es hat mir geholfen, mich der Kunst zuzuwenden, die vor den Angriffen entstanden ist und darüber nachzudenken, wie größere historische Ereignisse die Kraft haben, unsere Erfahrung so dramatisch zu verändern, dass sogar Dinge, die lang vorher geschehen sind, in der Retrospektive anders gesehen werden."

So wirkt der schwarz-weiße Videofilm "Little Flags" des New Yorker Videokünstlers Jem Cohen aus dem Jahr 1991 verstörend und geradezu prophetisch-dunkel. Menschen mit kleinen amerikanischen Flaggen laufen nach einer Siegesparade nach dem ersten Irakkrieg durch die mit Flugblättern bedeckten Straßen Lower Manhattans. Der ausgestellte Patriotismus wirkt hilflos, die Menschen richtungslos. Plötzlich schwenkt die Kamera nach oben und man sieht die Türme des World Trade Centers. Erst in diesem Augenblick wird man sich bewusst, dass der Film nicht aus den Tagen direkt nach den Angriffen stammt, obwohl alle Elemente des Gezeigten diese Assoziation auslöst.

Die Arbeit "The American Trip" des Amerikaners Cady Noland aus dem Jahr 1988 zeigt ein Absperrgitter mit einer Piratenflagge, einer amerikanischen Flagge und einem Blindenstock. In einem weiteren Raum wird Yoko Onos und John Lennons Plakat "War is Over" einem riesigen Banner mit George W. Bushs Ausruf "Mission Accomplished" gegenübergestellt. Dazu steht wie ein Grabstein in der Mitte des Raumes ein großer Stapel leerer Plakate mit schwarzem Rand, einer Arbeit des amerikanisch-kubanischen Künstlers Felix Gonzales-Torres aus dem Jahr 1990.

Sehr eindrucksvoll ist ein anderer Raum, an deren Ende eine weiße Gestalt auf einer Parkbank sitzt und der Boden des Raumes mit der Asche eines atomisierten Flugzeugtriebwerkes bedeckt ist. Die Figur ist von dem Amerikaner George Segal, die Aschefläche von dem Briten Roger Hiorns. Die Assoziation mit dem Foto eines in weiße Asche gehüllten Mannes auf einer Bank in den von weißer Asche bedeckten Straßen direkt nach dem Einsturz der Türme ist unvermeidlich. Dazu läuft John Williams Soundtrack des Filmes "Der Patriot" mit Mel Gibson im Hintergrund, einer Musik, die Präsident Obama ebenfalls bei seinem ersten Auftritt als gewählter Präsident in Chicago im Hintergrund liefen ließ.
Doch so klug und oft einsichtsvoll diese Räume auch inszeniert sind, stellt sich zunehmend die Frage nach der Einzigartigkeit der Kunstwerke selber im Gegensatz zu der Konzeptualisierung und damit Manipulation des Kurators. Die Zusammenstellung wirkt oft willkürlich und subjektiv, und im Versuch, sich der politischen Deutungstyrannei zu entziehen, wird die zugegeben interessante aber ebenso einseitige Sicht eines Einzelnen postuliert. Nichtsdestotrotz finden einige Räume eine berührende Tiefe, die neue Sicht- oder Hörweisen eröffnen.

Im durch den Hurrikane Irene noch nassen Heizungskeller des PS1 ist die Arbeit "World Trade Center Recordings: Winds after Hurricane Floyd" des Amerikaners Stephen Vitiello installiert. Dieser hatte 1999 Mikrofone an die Außenwand des World Trade Centers im 92. Stock angebracht und die Windgeräusche des Hurrikane Floyds und des wankenden Nordturmes aufgenommen. Diese Arbeit ist die einzige der Ausstellung, die dem Gebäude selbst eine Art Stimme verleiht. Durch einige Glasbausteine in der Decke des Kellers kann man Silhouetten von Menschen auf dem Bürgersteig über sich gehen sehen.

Informationen des MoMa PS1 zur Ausstellung