Patriotismus

Muss Nationalismus immer eine Gefahr sein?

Deutschlandfahnen
Deutschland kann inklusiv oder exklusiv verstanden werden - davon hängt jede Menge ab. © picture alliance/dpa - Sebastian Kahnert
Von Max Paul Friedman · 18.04.2017
Nationalismus wird von aufgeklärten Geistern oftmals rundweg abgelehnt. Der Historiker Max Paul Friedman analysiert den Begriff Nationalismus - und zeigt, dass es auch eine Variante gibt, die man als Chance begreifen kann.
Der Historiker Hans Kohn beschrieb zwei Sorten von Nationalismus: Den inklusiven und den exklusiven. Der inklusive Nationalismus entstand in der französischen und der amerikanischen Revolution als Frucht des universellen und egalitären Denkens der Aufklärung. Die inklusive Nation besteht aus diversen, gleichberechtigten Individuen, zusammengeschweisst durch gemeinsame Prinzipien und gegenseitige Verpflichtungen. Demgegenüber ist der exklusive Nationalismus in Mittel- und Osteuropa in der Romantik entstanden. Ihm zufolge verkörpert die Nation eine organische Gemeinschaft, die aus einem Volk mit gemeinsamer Sprache und gemeinsamem ethnischen Ursprung besteht, verbunden durch affektive Solidarität.
Im neunzehnten und im zwanzigsten Jahrhundert war die amerikanische Nation inklusiv: Amerikaner konnte jeder werden, der die Grundwerte der amerikanischen Gesellschaft vertrat. Die deutsche Nation war dagegen exklusiv: Deutsche waren diejenigen, die als Deutsche geboren waren.

Ius Soli oder Ius Sanguinis

Der jüdische Emigrant und Philosoph Kohn lehnte den Pangermanismus ebenso ab wie den Panslawismus und den ausschließenden Zionismus. In der westlichen, bürgerlich-liberalen Version des inklusiven Nationalismus sah er die Rettung der Menschheit, die es gegen den östlichen, streitlustigen, exklusiven Nationalismus zu verteidigen galt: Inklusiver Nationalismus führte seiner Meinung nach zur Demokratie, exklusiver Nationalismus hingegen zu Diktatur und Gewalt.
Dieses binäre Modell ist inzwischen überholt. Der exklusive Nationalismus hat seit der NS-Zeit verdientermaßen einen schlechten Ruf. Aber man findet exklusive Nationalisten in Frankreich, Großbritannien, und in den USA, wo Rassismus ebenso zum Kern der Nationalgeschichte gehört wie der Freiheitsdrang, und wo sozialdarwinistische Einwanderungsgesetze explizit versuchten, eine weiße Nation herzustellen. Deutschland, auf der anderen Seite, erweiterte 1999 das exklusive Abstammungsprinzip jus sanguinis durch das inklusive Bodenprinzip jus soli: Seitdem wird man nicht nur deutsch geboren, man kann auch deutsch werden. Und es waren Deutsche wie der Philosoph Jürgen Habermas, die uns das Ideal des Verfassungspatriotismus gegeben haben.

Das Comeback eines gefährlichen Märchens

In Ungarn, in Frankreich und auch in Trumps Amerika ist jedoch der exklusive Nationalismus wieder auf dem Vormarsch, obwohl er auf einem Mythos basiert: Eine blutreine Volksgemeinschaft hat es nie gegeben. Benedict Andersons Begriff der "Imagined Communities" in seinem Buch "Die Erfindung der Nation" argumentiert, dass Völker keine echte gemeinsame Abstammung teilen. Sie müssen sie erfinden: Die Nation ist keine Urfamilie, sondern eine gesellschaftliche Konstruktion aus erdachten Traditionen.
Folgt man den exklusiven Nationalisten, gehören zum Volk nur diejenigen, die genauso aussehen wie wir und beten wie wir. Richard Spencer, der amerikanische Erfinder der "Alt-Right" - der Rechtsradikalen, die für die Vorherrschaft der Weißen kämpfen - ist der Meinung, dass jedes Volk in seinen eigenen Staat gehört: So gehören US-Amerikaner mexikanischer Abstammung nach Mexiko, und die Afroamerikaner nach Afrika. Diese Sorte Nationalismus ist die gefährliche Variante.

Inklusiver Nationalismus als Chance

Der inklusive Nationalismus kann dagegen eine positive Wirkung haben: Als Hillary Clintons Vizekandidat Tim Kaine in einer Rede in Florida fragte, wer im Publikum Immigrant sei, begrüßte er die vielen Menschen mit erhobenen Händen und mit den Worten: "Vielen Dank, dass Sie sich für die Vereinigten Staaten entschieden haben." Und das sagte er auf spanisch. Nationalismus muss also nicht ausgrenzen, sogar dann, wenn es um die Einwanderung geht - solange wir das Märchen der ethnischen Reinheit aufgeben.

Max Paul Friedman ist Professor für Geschichte an der American University in Washington. Zuletzt erschien von ihm das Buch "Rethinking Anti-Americanism" (Cambridge University Press).




Der Historiker Max Paul Friedman
© American University / Jeff Watts
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