Patenschaften für neue Länder

Besserwessis zu Besuch im Osten

Zur ersten freien Wahl der Volkskammer in der DDR am 18.03.1990 steht die Übertragungstechnik von Fernsehstationen aus aller Welt auf dem Marx-Engels-Platz (Schlossplatz) in Berlin - Mitte. Im Palast der Republik (Hintergrund) befindet sich das Pressezentrum, hier haben die großen TV-Sender ihre Wahlstudios eingerichtet. Mit Spannung wird das Ende der SED-Herrschaft erwartet.
Von der neu gewählten Volkskammer wurden Bundesländer in der DDR eingeführt - und vom Westen gefördert. © picture alliance / dpa /
Von Christoph Reimann · 22.07.2015
Nach ihrer Gründung erhielten die neuen Bundesländer in Ostdeutschland Paten aus dem Westen. Sie sollten dabei helfen, eine Verwaltung nach föderalem Vorbild aufzubauen. Doch nicht immer waren es die besten Mitarbeiter, die aus dem Westen kamen.
"Wie kann man sich auf so was vorbereiten? Eigentlich gar nicht. Vor allen Dingen, wenn man nicht weiß, was einen richtig erwartet. Da gehört ein bisschen Mut zu, ein bisschen Improvisationskunst und auch ein bisschen gesunde Zuversicht. Und die meisten, die gekommen sind, hatten das ..."
sagt Rainer Bretschneider, gebürtiger Westfale, heute Staatssekretär in Brandenburg und Koordinator für den Problemflughafen BER. Damals, kurz nach der Wende, war er einer von rund 35.000 sogenannten Verwaltungshelfern, die aus den alten Bundesländern in die neuen gingen. Ihre Aufgabe: die Verwaltung aufzubauen im Gebiet der ehemaligen und zentralistisch organisierten DDR, und zwar nach westlichem, föderalem Vorbild. Mit allen Widrigkeiten, die dazugehörten:
"Wenn das Kopierpapier mal alle war, war es am einfachsten, was aus NRW zu besorgen, ehe dass man hier lange Umstände gemacht hat. So gab es eine Fülle von spannenden und weniger spannenden Sachen. Aber der Reiz war eben die Mischung."
Der Verwaltungsaufbau war das Hauptanliegen der Partnerschaften zwischen den neuen und alten Bundesländern, vereinbart im Einigungsvertrag von 1990. Jedem neuen Bundesland wurden alte zur Seite gestellt: Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen kümmerten sich um Mecklenburg-Vorpommern, Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz um Thüringen, Niedersachsen ging eine Partnerschaft mit Sachsen-Anhalt ein – und Nordrhein-Westfalen und das Saarland mit Brandenburg.
Die Arbeit im Osten kam oft einer Beförderung gleich
Die Westler lockte nicht nur Abenteuerlust in den Osten: Sie wurden weiterhin von den alten Bundesländern bezahlt. Die zunächst zeitlich befristete Arbeit im Osten kam oft einer Beförderung gleich. Und die sogenannte Buschzulage – ein monatlicher Betrag für die Arbeit fernab der Heimat – bot zusätzliche Anreize. Bei den Ostdeutschen kam das nicht immer gut an, erinnert sich Rainer Bretschneider – zumal unterschiedliche Mentalitäten aufeinander prallten:
"Da kamen die Besserwessis und wurden den Ossis vorgesetzt. Und das hat eine doppelte Funktion gehabt: Sie haben einmal das Benehmen der Westler, die in der Tat teilweise aufgetreten sind wie Graf Koks. Es gab aber auch die Einstellung der Kollegen von hier, die bei jedem liebevollen Hinweis beleidigt waren."
Ähnliches stellte auch Dieter Grunow fest. Der Soziologe befragte in den 90er-Jahren rund 2.000 Verwaltungshelfer. Nicht immer seien es die besten Mitarbeiter gewesen, die aus dem Westen kamen. Auch die Stasi-Vergangenheit mancher Ostdeutscher habe die Zusammenarbeit belastet. Obwohl die Evaluation schwierig ist: Insgesamt sei die Verwaltungshilfe ein Erfolg gewesen, meint Grunow:
"Pauschal betrachtet sehe ich das als einen erfolgreichen Prozess in der Gesamtbilanz. Sozusagen geblieben von der Verwaltungshilfe ist eine funktionsfähige öffentliche Verwaltung in den neuen Bundesländern, die nach dem gleichen Muster arbeitet wie die westdeutsche Verwaltung. Was man vielleicht sagen kann, ist, dass sich eigentlich alle beklagt haben, dass sie unzureichend vorbereitet wurden."
Die Verwaltungshilfe lief in den 90ern allmählich aus. Besondere Beziehungen zwischen den Partner-Bundesländern seien heute nicht mehr spürbar, meint Rainer Bretschneider. Viele Verwaltungshelfer, und zu ihnen gehört er ja auch selbst, gingen übrigens gar nicht mehr zurück in die alten Bundesländer. Sie fanden ihr neues Zuhause im Osten.
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