Pastorale Nachwuchssorgen

Von Michael Hollenbach · 14.07.2012
Nur noch wenige junge Leute studieren Theologie, zugleich gehen bundesweit etliche Pfarrer in den Ruhestand. Die Folge: Viele evangelische Gemeinden werden künftig auf einen Pastor vor Ort verzichten müssen. Wie kann die Kirche für geistlichen Nachwuchs wieder attraktiv werden?
Die Studierendendelle trifft auf die Pensionierungswelle, die spätestens ab 2018 in den Gemeinden zu spüren sein wird. In den kommenden 20 Jahren wird rund die Hälfte aller Pfarrer bundesweit in den Ruhestand gehen. Das bedeutet: Trotz kirchlicher Sparmaßnahmen und der Streichung von rund einem Viertel aller Pfarrstellen werden künftig viele Gemeinden auf einen Pastor vor Ort verzichten müssen. Die Gründe für den mangelnden Nachwuchs an evangelischen Pastorinnen und Pastoren sind vielfältig. Da ist zunächst der demografische Wandel. In Deutschland gibt es immer wenige junge Menschen. Aber Nicola Wendebourg, Personalchefin in der hannoverschen Landeskirche, und Hartmut Lübben von der Landeskirche Oldenburg führen noch weitere Gründe an:

"Gleichzeitig halte ich es für möglich, dass mit der Marginalisierung von Kirche für einen gewissen Teil an jungen Menschen dieser Beruf an Attraktivität verloren hat."
"Weil sich die Rolle des Pfarramtes in den vergangenen Jahren erheblich gewandelt hat. Und die Rolle des Pfarramtes in den Gemeinden hat gelitten durch die Strukturveränderungen, sie hat auch gelitten durch die gesamtgesellschaftliche Situation, unseren Umgang mit religiösen und geistesgeschichtlichen Themen. Da haben wir möglicherweise in den vergangenen Jahren den Anschluss an viele Themen einfach verpasst."

Joachim Ochel ist Ausbildungsreferent der EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland. Er kann durchaus verstehen, warum sich viele junge Menschen in den vergangenen Jahren gegen ein Theologiestudium entschieden haben. Die schlechten Berufsperspektiven für evangelische Pfarrer in den vergangenen 20 Jahren hätten sich natürlich herumgesprochen:

"Man lässt sich mit seiner gesamten beruflichen Existenz auf die Institution Kirche und im Grunde genommen auf das Glaubenspotenzial ein. Das ist schon eine besondere Entscheidung. Und wenn dann diese Institution, der man in der Weise vertraut, sich als brüchig erweist mit Blick auf die beruflichen Perspektiven, dann hat das langfristige Konsequenzen. Das war eben eine solche Vertrauenskrise."

Bis vor wenigen Jahren wurden viele junge Theologen, die ihr Vikariat erfolgreich beendet hatten, noch vertröstet, da es zu wenige Pfarrstellen gab. Nun hat sich das Blatt gewendet. In der Regel können alle Vikare damit rechnen, dass sie übernommen werden, sagt Christiane de Vos. Für die Hamburger Pastorin ist in der kürzlich fusionierten Nordkirche eine besondere Stelle eingerichtet worden, um speziell für theologischen Nachwuchs zu werben:

"Es ist schon so, dass es in Nordfriesland zum Beispiel manchen Gemeinden sehr schwer fällt, eine Pastorin, einen Pastor zu finden. Und ich weiß, dass es da Kollegen gibt, die eine große Arbeitsbelastung haben, weil sie die Dörfer rundum auch noch vertreten müssen."

Um junge Menschen fürs Theologiestudium zu gewinnen, müssten sich die evangelischen Kirchen dem Wettbewerb mit anderen Berufen stellen, meint der Münchener Theologie-Professor Friedrich Wilhelm Graf:

"Die Landeskirchen müssten sehr viel attraktiver sein als Arbeitgeber, sie müssen einen nationalen Stellenmarkt schaffen. Wir haben ja noch viel landeskirchlichen Provinzialismus und Parochialismus, sie müssen den Beruf des Pfarrers besser alimentieren, wieder mit anderen bildungsbürgerlichen Berufen gleichziehen an dem Punkte, und sie müssen deutlich machen, dass sich das Profil der evangelischen Kirche gerade an den religiösen Dienstleistungen von Pfarrern entscheidet."

Im Vergleich zu anderen akademischen Berufen ist das Pfarrergehalt in der Tat nicht sehr üppig; allerdings bezweifelt Nicola Wendebourg, Personalchefin in Hannover, dass das Geld ausschlaggebend ist.

"Man muss auch sagen, es kommt immer darauf an, wohin man guckt: Wenn man in die Wirtschaft guckt, kann man sagen, das ist eine dürftige Bezahlung. Auf der anderen Seite genießen Pastoren natürlich die komplette Absicherung, die ein Beamtenstatus hat."

Bislang waren die Theologiestudierenden immer einer Landeskirche zugeordnet, in der sie auch ihr Vikariat machten und später ins Pfarramt gingen. Doch mittlerweile – so EKD-Mann Joachim Ochel - beginnt ein richtiger Wettbewerb unter den Landeskirchen.

"Man merkt, dass die Maßnahmen der Werbung für das Theologiestudium sehr forciert werden. Wenn es hart auf hart kommt, ist nicht auszuschließen, dass es dann auch zu Konkurrenzverhältnissen kommen wird."

Vorreiter in diesem Wettbewerb ist die kleine Oldenburgische Landeskirche. Sie verstößt gegen die bisherige Etikette, nur Theologen der eigenen Kirche einzustellen. Hartmut Lübben ist in der oldenburgischen Kirche für die Rekrutierung des Pfarrernachwuchses zuständig.

"Das ist der Versuch, noch mal auf das Problem des ausbleibenden Nachwuchses an ganz anderer Stelle zu reagieren, als wir uns verabschiedet haben von dem jahrzehntelang praktizierten landeskirchlichen Prinzip, dass man die eigenen Landeskinder einstellt auf diese Stellen. Seit vergangenem Jahr schreiben wir bundesweit aus."

Das kommt nicht überall gut an: Vor allem die ostdeutschen Landeskirchen befürchten einen geistlichen Brain-Drain nach Westen und eine Verschärfung ihrer Probleme. Schon bislang gibt es ein erhebliches Gehaltsgefälle zwischen Ost- und Westkirchen.

In der Nordkirche bemüht man sich, auf den eigenen Nachwuchs zu setzen. Unter anderem mit der Internet-Seite: Die Nachfolger. Sie trägt die Verheißung: "Glaube, Liebe, Hoffnung kann man studieren." Prominenter Werbeträger auf der Homepage ist der frühere Theologiestudent Joachim Gauck.
Doch Christiane de Vos setzt nicht nur aufs Internet. Sie will vor allem die Pastoren ermutigen, für potenzielle Nachfolger zu sorgen. Denn ein authentischer, guter Pfarrer könne für Jugendliche ein Vorbild sein und damit die beste Werbung fürs Pfarramt.

"Wir reden augenzwinkernd manchmal von kleinen Nestern, aus denen immer wieder Theologiestudierende kommen. Das sind ganz offensichtlich Gemeinden, in denen die Jugendarbeit blüht. Ich denke zum Beispiel an die Gemeinde Bergedorfer Marschen, dort haben die eine eigene Jugendakademie und das animiert und regt an, auf dieser Schiene weiter zu denken, das spricht dann Jugendliche an. "

Abschreckend für viele interessierte Jugendliche ist allerdings, dass man Hebräisch, Griechisch und Latein können muss, um Theologie zu studieren. Eine übertriebene Anforderung, meint auch Christiane de Vos:

"Ob man die Ansprüche so hoch stellen muss, also ob man platonisches Griechisch können muss, um das Neue Testament zu übersetzen, da habe ich meine persönlichen Zweifel."

Und noch eine Besonderheit hat das Theologiestudium: Ohne Glauben an Gott macht es wenig Sinn. Allerdings:

"Manche haben die Vorstellung, da dürften sich nur die Superfrommen rantrauen, für alle anderen wäre das nichts. Dagegen sage ich: Die Kirche sucht ganz normale Leute, möglichst unterschiedliche, die auf sehr unterschiedliche Weise eine Beziehung zu Gott haben."

In Hessen geht man noch ganz andere Wege, um die kommende Pfarrerlücke zu schließen. Dort setzt man auf die Spätberufenen. Der EKD-Ausbildungsreferent Joachim Ochel:

"Es gibt doch sehr viele Menschen im Alter von 35, 40 Jahren, die auf einer akademischen Ausbildung beruhend und in einer hochqualifizierten beruflichen Tätigkeit sagen: Das kann nicht alles für den Rest meines Lebens gewesen sein. Ich möchte noch mal an elementare Fragestellungen rangehen und eine hohes Interesse am Theologiestudium entwickeln, die sehr hoch motiviert sind und sehr gut studieren und für die dann Möglichkeiten geschaffen werden können, später in den Pfarrdienst zu gehen."

Und so bietet die Universität Marburg einen Master-Studiengang für berufstätige Akademiker an, die zum Pfarrer umsatteln wollen. Die Nachfrage ist so groß, dass auch die Uni Heidelberg demnächst einen ähnlichen Weiterbildungs-Studiengang anbieten wird – frei nach dem Sprichwort: Im Alter kommt der Psalter.
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