Parteienverbot

"Einfach nur verfassungswidrig" reicht nicht

Der emeritierte Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann
Der emeritierte Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann begrüsst das Verfahren am Bundesverfassungsgericht zum NPD-Verbot © picture alliance/dpa/Roland Weihrauch
Ulrich von Alemann im Gespräch mit Nana Brink · 17.08.2016
60 Jahre nach dem Verbot der Kommunistischen Partei (KPD) hält der Politologe Ulrich von Alemann eine neue Debatte über Parteienverbote für wichtig. Alle warteten auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur NPD.
Vor 60 Jahren am 17. August 1956 sprach das Bundesverfassungsgericht ein wegweisendes Urteil und verbot die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Bis heute ist es bei diesem einzigen Urteil geblieben, dass sehr umstritten blieb. Zur Begründung hatten die Richter damals angeführt, dass die KPD eine "aktiv kämpferische aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung" verträten. Das Urteil ist heute aktuell wie nie, weil das Bundesverfassungsgericht über ein mögliches Verbot der NPD berät.

Hohe Hürden für Parteienverbot

In Deutschland müsse sehr viel passieren, um eine Partei zu verbieten, sagte der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann im Deutschlandradio Kultur. Es habe seit dem KPD-Verbot kein weiteres Verbot mehr gegeben, weil die Hürden so hoch seien. "Es reicht nicht, einfach nur verfassungswidrig sich zu verhalten", sagte der emiritierte Parteienforscher, der früher Professor an der Heinrich-Heine Universität in Düsseldorf war.

Warten auf neue Kriterien

Von Alemann sagte, er halte es für richtig, dass am Bundesverfassungsgericht ein Verfahren zum Verbot der NPD durchgeführt werde. "Ich glaube, es ist allerhöchste Zeit, dass nach diesen 60 Jahren seit 1956 das Bundesverfassungsgericht sich neu damit befasst und neue Kriterien aufstellt, die alten Kriterien überprüft, die Kriterien entweder bestätigt oder die Kriterien weiter entwickelt." Darauf warteten jetzt alle.

Das KPD-Urteil

Das KPD-Verbot war damals das zweite Parteienverbot in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, nachdem die neonazistische Sozialistische Reichspartei (SRP) 1952 wurde. Es führte zur Zwangsauflösung der KPD, dem Entzug ihrer politischen Mandate und zum Verbot der Gründung von Ersatzorganisationen sowie zu zahlreichen Gerichtsverfahren gegen tausende von Mitgliedern.
Das Bundesarchiv hat heute wichtige Akten zum KPD-Verbot freigegeben, die nach Einschätzung des Historikers Josef Foschepoth ein neues Licht auf das damalige KPD-Verbot werfen. "Zunächst einmal begrüße ich das natürlich sehr", sagte der Experte im Deutschlandradio Kultur, der 2017 ein Buch über die KPD herausgibt. Eine Lücke in den Akten des Bundesverfassungsgerichtes könne damit nun ein Stück weit geschlossen werden, sagte Foschepoth. "Von daher ist das jetzt erst einmal ein großer Fortschritt für die Wissenschaft, für die wissenschaftliche Forschung und natürlich auch für die öffentliche Recherche." Das Bild werde dadurch abgerundet.
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"Dort werden wir sicherlich ganz erstaunliche Erkenntnisse zutage fördern", sagte der Historiker. "Nach meinen bisherigen Erkenntnissen ist die Situation folgende, dass das Bundesverfassungsgericht keineswegs in den Anfangsjahren die unabhängige Instanz gewesen ist, wie wir sie heute wahrnehmen." Es habe damals gerade in der Frage des KPD-Verbots einen massiven Druck und einen sehr viel stärkeren Druck auf die Richter gegeben als das bislang bekannt sei. "Die Verfassungsrichter wurden auch gerne politisch instrumentalisiert."

Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Am 17. August 1956, also heute vor 60 Jahren, fällten die Richter des damals noch jungen Bundesverfassungsgerichts ein richtungsweisendes Urteil. Sie verboten die Kommunistische Partei Deutschlands. Interessant ist die Begründung: Die Richter attestierten der KPD eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung. Der Vorwurf konkreter Umsturzpläne allerdings findet sich in dem Urteil nicht.
Und bis heute ist das KPD-Verbot eines der umstrittensten Urteile in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts – und 60 Jahre später aktuell wie nie! Denn seit 1956 wurde in Deutschland ja keine Partei mehr verboten, und wenn Karlsruhe demnächst über den Antrag auf ein Verbot der rechtsextremen NPD entscheidet, dann sind sozusagen diese Urteilsgründe von damals quasi die letzte Blaupause. Professor Ulrich von Alemann ist Parteienforscher an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, ich grüße Sie!
Ulrich von Alemann: Ja, guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Was muss denn passieren, damit eine Demokratie eine Partei verbietet?
von Alemann: In Deutschland muss sehr viel passieren. Denn in Deutschland muss nach dem Grundgesetz eine Partei eben, wie Sie schon gesagt haben, eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung haben. Und eine Partei muss eben nach dem Grundgesetz – das steht nicht im Grundgesetz, diese Formulierung hat das Bundesverfassungsgericht selbst geschöpft –, steht, dass sie gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung sich vergehen muss. Und was das eigentlich ist, das steht auch nicht im Grundgesetz, auch das hat das Bundesverfassungsgericht damals in seinem Urteil und in einem Urteil vier Jahre vorher gegen die rechte sozialistische Reichspartei selber begründet und formuliert.
Und das sind sehr hohe Hürden. Und deswegen, weil die Hürden so hoch sind, hat es auch kein weiteres Verbot mehr gegeben. Es reicht nämlich nicht, einfach nur verfassungswidrig sich zu verhalten und in seinem Programm zum Beispiel zu sagen, ja, wir wollen eigentlich das Grundgesetz abschaffen und verändern für eine Partei, sondern es muss tatsächlich so eine kämpferische Haltung dahinter stehen, wirklich aktiv gegen die Verfassung zu arbeiten. Und nur dann, wenn eines von drei Verfassungsorganen den Antrag stellt – der Bundesrat, der Bundestag oder die Bundesregierung –, kann das Verfassungsgericht dieses tun, und auch dann wiederum nur, eine weitere Hürde, mit einer Zweidrittelmehrheit der Richter des zuständigen Senates. Also, das sind ganz hohe Hürden und deswegen ist es auch bisher nicht noch einmal passiert.
Brink: Nun hat ja der Bundesrat, wie Sie richtig bemerkt haben, nun diesen Versuch noch mal unternommen. Und das Parteienverbot ist ja unter Juristen durchaus umstritten.
von Alemann: Ja.

Allerhöchste Zeit für neue Kriterien

Brink: Wie sehen Sie das jetzt in dem aktuellen Fall?
von Alemann: Das ist sehr umstritten und ich persönlich, ich bin ja als Politikwissenschaftler Parteienforscher, kein Jurist, ich kann diese Debatte auch gut verstehen, ich kann auch die Argumente der Gegner eines Verbots verstehen. Trotzdem halte ich es für richtig, dass dieses Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht jetzt durchgeführt wird. Auch das ist streitig, aber ich glaube, es ist allerhöchste Zeit, dass nach diesen 60 Jahren, seit 1956, das Bundesverfassungsgericht sich neu damit befasst und neue Kriterien aufstellt, die alten Kriterien überprüft, die Kriterien entweder bestätigt oder die Kriterien weiterentwickelt. Und darauf warten wir eigentlich alle.
Ich glaube, das ist ganz wichtig, dass man sagt, nein, das ist nicht nur ein Relikt des Kalten Krieges gewesen, das muss jetzt geändert werden, diese Rechtsprechung, oder man wird sagen, ja, wir haben eine Tradition der streitbaren Demokratie in Deutschland, aus unseren historischen Erfahrungen, und da gibt es Grenzen für die Feinde der Demokratie, sich zu betätigen, und deswegen gibt es auch diese Verbotsmöglichkeit einer politischen Partei.
Brink: Wenn man das mal vom Ende her denkt, dann fragt man sich immer: Was bewirkt denn so ein Parteienverbot? Eigentlich möchte man doch eigentlich Gedanken und Gesinnung dieser Partei, die man verbieten will, eliminieren. Aber die sind ja bekanntermaßen frei, das heißt, das bekommt man ja eigentlich gar nicht hin mit dem, was man da unternimmt juristisch.
von Alemann: Ja, die Gedanken sind frei und die Gedanken werden ja auch nicht verboten. Jeder kann weiter denken, was er will. Aber die kämpferische, aktive Arbeit gegen die Verfassung und gegen die Grundwerte der Demokratie, die soll beschränkt werden. Und keiner kann irgendwem in die Köpfe hineinschauen und das bleibt auch so, aber Organisationen, die kämpferisch gegen die Verfassung auftreten von rechts oder von links, die können im Extremfall verboten werden.
Und das ist durchaus eine Linie, die nicht von allen demokratischen Staaten, nur von wenigen so verfolgt wird, das ist auch ein deutscher Sonderfall, aber ich halte diesen deutschen Sonderfall, der ja mit so viel Sicherungen verbunden ist, dass es nicht so einfach ist, dass meinetwegen die Bundesregierung einfach eine Organisation verbietet … Das kann sie übrigens bei Vereinigungen, die keine Partei sind. Die Parteien haben ein sogenanntes Privileg, ein Parteienprivileg. Nur sie haben diese hohen Hürden, vom Bundesverfassungsgericht verboten zu werden, eine einfache Organisation kann auch der Innenminister aufgrund des Verfassungsschutzes verbieten. Und das gilt eben nicht für Parteien und das ist auch gut so.

Schwerer Eingriff in die Grundrechte

Brink: Nun war ja die KPD zum Zeitpunkt ihres Verbots eine Splitterpartei mit ganz geringer Zustimmung bei der Bundestagswahl 1953, die NPD ist auch nur noch in einem einzigen Landtag vertreten. Mahlen die Mühlen der Justiz da nicht zu langsam?
von Alemann: Ja, die mahlen langsam, aber auch das ist verständlich, weil das ein schwerer Eingriff in die Grundrechte ist, eine Partei zu verbieten. Und das muss schon sehr genau überlegt werden. Und deswegen ist auch ein erstes Verfahren am Anfang dieses Jahrtausends gescheitert, die NPD zu verbieten, damals war es sogar von allen drei Verfassungsorganen beantragt worden, von Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag.
Diesmal hat das nur der Bundesrat getan, weil damals das Bundesverfassungsgericht schon im Vorfeld argumentiert hat, es kam zu keinem endgültigen Urteil, im Vorfeld sei das Verfahren nicht richtig gewesen, weil die Vorstände der NPD zu stark mit V-Männern, also Beobachtungsmännern des Verfassungsschutzes durchsetzt seien, da wisse man gar nicht, wo der Staat selber mit seine Finger drin im Spiel hat, und deswegen ginge das nicht, in einer solchen Situation eine Partei zu verbieten. Und nur dann, wenn die alle abgezogen würden, würde das überhaupt Aussicht auf Erfolg haben. Und das ist auch umstritten, ob das wirklich jetzt passiert. Und wir werden gespannt sein, ob das Urteil, das ja irgendwann – ob überhaupt noch in diesem Jahr, wissen wir noch nicht – dann ergehen wird.
Brink: Ulrich von Alemann, Parteienforscher an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, danke für Ihre Einschätzungen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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