Parteien-Outfit im Wandel

Provokation war gestern

Fotomontage: Joschka Fischer, Paul Ziemiak, Sahra Wagenknecht
Fotomontage: Joschka Fischer von den Grünen 1985 im Hessischen Landtag, Paul Ziemiak, Vorsitzender der Jungen Union, Sahra Wagenknecht, Linksfraktion im Bundestag. © picture alliance / dpa / Foto: Jörg Schmitt, Sven Hoppe, Axel Heimken
Von Katharina Hamberger · 24.08.2015
Wir kennen sie alle, die Klischees über Politiker. Die Grünen sind die Ökos, die von der Union tragen nur Anzug. Aber ist das wirklich noch so? Mittlerweile gibt es politische Koalitionen in allen Formen und Farben.
Die 80er-Jahre in Deutschland – in der bayerischen Provinz stehen Bauern und Autonome an Bauzäunen. Sie protestieren gegen eine neue Wiederaufbereitungsanlage. Die Toten Hosen – damals noch echte Punks, unterstützen den Protest musikalisch. Die Diskussion um die Atomkraft spaltet das Land. In dieser Stimmung betreten zwei weiße Turnschuhe das politische Parkett:
"Und dann war es soweit: In neuen Turnschuhe, aber ohne Krawatte schritt Joschka Fischer zur Vereidigung als Staatsminister."
Provokation auf allen Ebenen.
"Sie sind mit Blumen hierher gekommen. Aber sie haben viel Hass gesät in diesen Tagen in diesem deutschen Bundestag."
Helmut Kohl wäre es wohl nie eingefallen, selbst unrasiert in Strickpulli, und in Jeans im Bundestag zu erscheinen. Damit gerechnet, dass diese Partei irgendwann einen CDU-Ministerpräsidenten ablösen würde, hätte er vermutlich auch nicht. Bei den Grünen von Anfang an dabei: Renate Künast.
"Also das Gegenstück, die Männer in Anzügen, mit hochgeschlossenen Kragen. Die Damen mit so betoneingesprühten Frisuren und Kostümchen. Und dann kamen die Grünen und waren ganz anders. Das war ein Statement: Wir denken übrigens auch anders und haben andere Werte."
Berlin, im Sommer 2015. Renate Künast sitzt im klimatisierten Büro im Bundestag. Weiße Bluse, kurze Haare. Sie fällt heute nicht mehr auf.
"Jetzt gehst du nicht in Hotpants in den deutschen Bundestag. Und das muss man auch wissen, wenn man da mitten drin sitzt, dass natürlich, man hier auch das Land repräsentiert und Leute sich repräsentiert fühlen müssen und zwar von allen Abgeordneten in gewisser Weise."
"Der Hoddie – ich finde, das ist einfach ein sehr bequemes Kleidungsstück."
Paul Ziemiak, Vorsitzender der Jungen Union. Wurde schon öfters mit Kapuzenpulli gesichtet.
"Ich bin ja bei weitem nicht der einzige, der so rum läuft in durchaus auch sportlichen Klamotten und nicht im Anzug."
Mit Hoddie bei der CDU
Er kommt gerade von der Präsidiums- und Vorstandssitzung der CDU – den Hoddie hat er heute im Büro gelassen. Trägt gerade Jackett und Hemd, aber immerhin der oberste Knopf ist geöffnet. Krawatte: Fehlanzeige. Ähnlich legeren Stil kann man auch bei anderen Vertretern etablierter Parteien sehen. Auch bei der SPD lassen viele heute den Schlips gerne weg – während Gerhard Schröder als erster krawattenloser Redner im Bundestag 1980 noch für große Aufregung gesorgt hatte. Modisch durchmischt – schon allein aus ihrer Gründunggeschichte heraus: Die Linke. Unter ihnen finden sich, neben Maßanzugträgern die konsequentesten Krawattenverweigerer, Sahra Wagenknechts Rosa-Luxemburg-Frisur kommt wohl noch am ehesten einem politischen Statement gleich. Seit den 80ern haben sich Politik- und Kleidungsstil gleichermaßen verändert. Was sagt das aus über die Parteien aus? Und was über unsere Gesellschaft?
"Es hat sich verändert und dadurch ist es auch ein bisschen gleicher geworden."
Ein Blick in den Plenarsaal des Bundestags. Wer grün, wer schwarz, wer rot oder dunkelrot ist – das ist kaum noch an der Kleidung zu erkennen.
"Es kann auch damit zu tun haben, ja, dass sich auch ein Stückweit zumindest bei einigen von ihnen die politischen Inhalte oder die Schwerpunkte verändert haben, die Sichtweise verändert hat. Ja, das ist schon so."
Gerda Hasselfeldt gehört einer Partei an, die optisch mit den Grünen lange nichts anfangen konnte. Heute sprechen Union und Grüne miteinander – darüber, wie die Zusammenarbeit in Zukunft aussehen könnte. Seit Fischers Turnschuh-Affäre sind viele Jahre vergangen. Die Grünen waren in Regierungsverantwortung, Fischer Außenminister. Die weißen Treter wurden durch schwarze Lederschuhe abgelöst. Aber längst nicht alle Grünen, haben den kompletten Wandel hingelegt.
Claudia Roth. Bekannt für viel buntes, wenig schwarzes, lieber Weites als Enganliegendes. Sie zeigt noch immer: Ich bin anders als die von der CDU und der SPD. Nur: aufregen tut das schon lange niemanden mehr. Was auch an den Veränderungen in den anderen Parteien liegt:
"Insgesamt, glaube ich, dass die Toleranz größer geworden ist."
"Heute finde ich es manchmal lustig, wenn noch irgendjemand oder so eine konservative Zeitung so eine Witz macht. Ja die Grünen, die sind ja noch wie früher in den Birkenstocklatschen, wo ich nur sagen kann: Hallo, du kennst dich nicht aus, die laufen heute am Catwalk in Paris mit Birkenstock, ja."
In dem Wust der Stoff-gewordenen Möglichkeiten ist es eben schwierig, überhaupt optisch noch Protest zu zeigen. Wir haben uns mittlerweile an vieles gewöhnt. Schließlich singt heute sogar die Union die Songs der Toten Hosen.
"An Tagen wie diesen."
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