Parlamentswahl in Israel

Alle blicken auf Netanjahu

Von Torsten Teichmann, Tel Aviv · 12.03.2015
Die Israelis wählen ein neues Parlament. Im Wahlkampf geht es kaum um Themen, im Fokus steht eine Person, Benjamin Netanjahu. Die Gegner des Regierungschefs warnen die Bürger: Wählt uns, sonst bekommt ihr wieder Netanjahu.
Der Staat Israel verlangt Wandel, brüllt ein Redner vor 30.000 Demonstranten. Der Protest in Tel Aviv richtet sich gegen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Netanjahu geh heim, rufen sie in kleinen Sprechchören auf dem Rabin Platz. Aber: ganz Israel ist das nicht.
Es sind Familien die protestieren, Anhänger des Oppositionsführers Itzhak Herzog. Mitglieder der kleinen linken Meretz-Partei. Und Intellektuelle wie die Autorin Talma Aliagon, die einen Machtwechsel fordert:
"Denn wenn wir diesmal nicht gewinnen ist das das Ende unseres Staates. Dann werden wir keinen jüdischen und demokratischen Staat mehr haben. Das war's dann. Eine Demokratie, die alle gleichermaßen behandelt, sich um alle Bürger kümmert ohne Ansehen von Religion, Herkunft oder Geschlecht."
Auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv und beinahe überall im Land ist kurz vor der Parlamentswahl zu hören, dass diese Abstimmung entscheidend ist. Entscheidend für die Zukunft des Staates Israel.
Wobei die eine Gruppe von der Notwendigkeit spricht, Regierungschef Netanjahu abzulösen. Die andere Gruppe aber warnt vor einem Wechsel . Warnt vor Gefahren für die Existenz des Staates Israel. Es sind die Anhänger von Regierungschef Netanjahu - und der Premier selbst.
Seinen größten Auftritt während des Wahlkampfes hat der Ministerpräsident im Ausland, bei einer Rede vor beiden Häusern des US-Kongress.
Netanjahu: "Ich fliege nach Washington in einer schicksalhaften, ja sogar historischen Mission. Ich fühle mich als Gesandter aller Bürger Israels, auch derjenigen, die nicht meiner Meinung sind. Als Gesandter des ganzen jüdischen Volkes. Ich mache mir ernsthaft Sorgen um die Sicherheit aller Israelischen Bürger, das Schicksal unseres Landes und unseres Volkes. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um unsere Zukunft zu sichern."
Alle Blicke sind in diesem Wahlkampf auf ihn gerichtet, von Anhängern und Gegnern. Es geht nicht um den Gaza-Krieg des vergangenen Sommers mit mehr als 2000 Toten. Es geht nicht um wachsende Ungleichheit, notwendige Investitionen in Nahverkehr, Probleme mit Rassismus oder die Besatzung und Kontrolle der palästinensischen Gebiete. Sondern wie hältst Du es mit Netanjahu ist die bestimmende Frage? Aber wer ist der Mann, der versucht ein viertes Mal Ministerpräsident des Staates Israel zu werden?
Moshe Arens hat Netanjahus "Talente" entdeckt
Wer den Anfängen des Politikers Benjamin Netanjahu nachgehen will, der muss nach Savyon fahren. Ein Vorort, eine halbe Stunde östliche von Tel Aviv gelegen. Den Bewohnern geht es offenbar gut. Viele Häuser haben einen eigenen Pool im Garten. Bei der Wahl vor zwei Jahren war die Partei Yesh Atid von Ex-Fernsehmoderator Yair Lapid stärkste Kraft in Savyon. Moshe Arens dagegen wird für Likud gestimmt haben.
Arens gilt als Netanjahus Entdecker. Der frühere Verteidigungsminister hat das einzige Café in Savyon, an einer kleinen Mall als Treffpunkt ausgesucht. Die Bedienung stellt erste Stühle auf die Tische. Ahrens kommt spät. Braune Daunenjacke, schwarzes Hemd, eine randlose Brille, wie ein 89jähriger sieht er nicht aus.
Moshe Arens noch in seiner Position als Verteidigungsminister Israels
Moshe Arens noch in seiner Position als Verteidigungsminister Israels. Er gilt als Entdecker Netanjahus.© AFP / Jack Guez
Wie alles begann? Arens berief Netanjahu 1982 überraschend zum Stellvertretenden Botschafter in Washington D.C.
Moshe: "Ich habe ihn zur Nummer Zwei in der Botschaft in Washington ernannt. Ich dachte, er ist ein talentierter junger Mann, der die Aufgabe gut erfüllen kann. Und ich habe mich nicht getäuscht. Die Aufgabe eines Botschafters ist es, die Anliegen Israels zu verteidigen. Mit Menschen zu sprechen, sie zu überzeugen. Wenn Du nicht überzeugend bist, dann verschwendest Du Deine Zeit und Du verschwendest die Zeit der anderen."
Es gibt Videoschnipsel im Internet, die den jungen Netanjahu bei Debatten zeigen. Er nannte sich damals noch Ben Nitay - das war leichter auszusprechen. In den USA war er zuhause, dort hatte er studiert. Seinen ersten Job gab ihm die Boston Consulting Group.
Der Berufung an die israelische Botschaft ging Jahre zuvor ein Treffen mit Arens in Israel voraus. In einem Sommer, wie sich Arens erinnert. Der Kontakt kam offenbar über Netanjahus Vater, den 2012 verstorbenen Professor Ben-Zion Netanjahu zustande. Ein Falke und Hardliner, wie Arens selbst:
"Nun, ich kannte den Vater gut und nun lernte ich den Sohn kennen. Und ich hatte den Eindruck, dass er ein talentierter junger Mann ist. Das sieht man doch, er ist ein guter Redner. Er weiß, wie man einen Fall vorbringt. Und er kam, um mir zu erzählen, was er in Boston macht. Und er erzählte mir von seinem Bruder, der damals Offizier war in der israelischen Armee. Ich hatte nie die Gelegenheit den Bruder zu treffen, denn er starb in Entebbe."
Der Bruder, Jonathan Netanjahu kam 1976 in Uganda ums Leben. Bei der Befreiung von über 100 Passagieren eines AirFrance Fluges aus der Gewalt palästinensischer und deutscher Terroristen. Jeder in Israel kennt diese Geschichte.
Benjamin Netanjahus Herkunft und sein rhetorisches Talent, Menschen von seinen Themen zu überzeugen, haben seinen politischen Aufstieg gefördert. Aber reicht das noch aus, um eine weitere Wahl zu gewinnen?
Beispiel Sozialpolitik: Am Fuß des Rothschild Boulevards in Tel Aviv stehen verschämt einige Protest-Zelte. Musik dröhnt aus schwarzen Boxen. Die Szene erinnert an die Sozialproteste in Israel. Dreieinhalb Jahre ist es her, dass hunderttausende auf die Straße gingen. Sie verlangten damals soziale Gerechtigkeit.
90 Prozent der Steuereinnahmen stammen von 20 Prozent der Bürger
Bei der Wahl im Januar 2013 kam die Likud-Bewegung von Ministerpräsident Netanjahu noch auf Platz zwei in Tel Aviv. Geändert hat sich seit dem offenbar nichts. Doron ist 25 Jahre alt. Sie studiert Medizin.
"Wenn Du hier noch Student bist und versuchst in den ersten Jahren durchzukommen, dann bist Du von Deinen Eltern abhängig. Das Geld, dass Du beim Jobben verdienst reicht für die Miete. Das reicht nicht mehr für den Supermarkt."
Die sozialen Forderungen sind unverändert: Bezahlbare Wohnungen. Geld für Infrastruktur und Schulen. Und ein Einkommen, das bis zum Monatsende reicht.
Regierungschef Netanjahu zeichnet ein anderes Bild. Er verweist auf die großen Zahlen: Regierung und Zentralbank heben gerade ihre Prognose für die Wirtschaft an - auf 3,5 Prozent Wachstum. Der Staat rechnet mit mehr Steuereinnahmen. Stabilität trotz weltweiter Krise. Welches Bild stimmt?
Der Wirtschaftswissenschaftler Dan Ben-David wohnt in Kochav Yair, einer Kleinstadt mit Schranken an der Einfahrt und sauberen Wegen. Gebaut exakt entlang der sogenannten Grünen Linie, also der Waffenstillstandslinie von 1967, der Grenze zum palästinensischen Westjordanland. Es ist erstaunlich, wie genau Trennlinien im Nahen Osten eingehalten werden können.
Die Mehrheit der Bewohner von Kochav Yair wählt Arbeitspartei oder Yesh Atid – das sagen die Zahlen der letzten Abstimmung. Aber der Professor der Tel Aviv Universität Ben-David wirkt enttäuscht: Keine Partei spreche im Wahlkampf die kommenden Probleme des Staates Israel an, so sein Fazit.
Dani Eisberg: "Vor uns liegen schwierige Zeiten. Eine Art Eisberg. Wir sind auf dieser Titanic. Und wir sprechen über die Landschaft, das Wetter und stellen Stühle um – das ist alles was bei den Wahlen passiert. Wir sehen vielleicht die Spitze des Eisbergs. Wir sprechen also über Wohnungen und Preise. Aber das ist nur die Spitze, der Eisberg aber kann das Schiff versenken."
Ben David sitzt auf dem Sofa im Wohnzimmer und spricht über strukturelle Probleme. Seine Kritik geht über die populäre Klage vom zu teuren Schokopudding hinaus. Ben-David ist weit von der Lagerfeuerromantik der Sozialproteste entfernt.
90 Prozent der Steuereinnahmen stammen schon heute von nur 20 Prozent der Bevölkerung, beklagt er. Viele ultra-orthodoxe Männer in Israel arbeiten gar nicht, es gibt Schwarzarbeit und viele Menschen verdienen schlicht zu wenig, um Abgaben zu zahlen.
Islamisten, Kommunisten, Feministinnen verbünden sich gegen Netanjahu
Nur durch bessere Bildung könne es in Zukunft noch gelingen die unterschiedlichen Gruppen der israelischen Gesellschaft zu integrieren, so Ben-David.
"Das ist nicht nachhaltig. Wenn man überlegt, wessen Einkommen in Zukunft hoch genug sein wird, um Steuern zu zahlen, um das Land zu fördern. Ein Bildungssystem oder Infrastruktur wie in der Dritten Welt reichen nicht aus, um eine Wirtschaft der ersten Welt zu unterstützen. Ohne Spitzenwirtschaft, können wir keine Spitzenarmee haben. Ohne eine gute Armee gibt es kein Israel."
Bildung entscheidet über die Existenz des Staates Israel. Das ist das Bild das Ben-David mit drastischen Worten zeichnet. Warum nimmt sich Netanjahu dieser Probleme nicht an? Wenn er doch alles in seiner Macht stehende tun will, um die Zukunft des Volkes zu schützen?
Eine mögliche Erklärung liegt in der israelischen Politik selbst: Ein echter Überblick über bestehende Ausgaben, eine Umverteilung und ein Festlegen von Standards kann potentielle Koalitionspartner verschrecken. Und Netanjahu ist wie jeder israelische Premier zum Regieren auf viele Partner angewiesen.
Echte Opposition entsteht in diesem Wahlkampf deshalb nur abseits der bekannten Linien. Ausgerechnet die Minderheit der palästinensischen Israels könnte zur Kraft werden, deren Stärke oder Schwäche über Netanjahu Wiederwahl entscheidet.
Ayman Odeh, der Spitzenkandidat der Vereinten Liste
Ayman Odeh, der Spitzenkandidat der Vereinten Liste, ist ein israelisch-arabischer Politiker.© AFP / Ahmad Gharabli
Mein Heimatland, mein Heimatland, singen 200 Gäste auf einer Wahlkampfveranstaltung in Haifa. Es ist die alte Hymne Palästinas. In Haifa, der arabisch-jüdischen Stadt im Norden Israels war der Likud mit über 26 Prozent vor zwei Jahren stärkste Kraft geworden. Wohl auch weil viele arabische Israelis nicht zur Wahl gegangen waren.
Ayman Odeh, der Spitzenkandidat der Vereinten Liste, wirbt in einer Rede um Stimmen. Seine Vereinte Liste ist etwas Besonderes bei dieser Wahl: Zum ersten Mal treten kleine arabischen Parteien und die Mitglieder der Hadash-Partei gemeinsam an, sagt der Anwalt des Bündnisses.
Hassan Jabareen: "Das ist die erste Liste in der Geschichte des Nahen Ostens, die Islamisten, Kommunisten, National-Liberale, Säkulare, Feministinnen, Frauen und Männer umfasst. Das wichtigste Ziel ist es, die Rückkehr der rassistischen Parteien und der Regierung Netanjahu zu verhindern."
Am Ende seiner Rede bekommt Spitzenkandidat Ayman Odeh in dem Saal in Haifa viel Applaus.
Tatsächlich könnte das Wahlbündnis der arabischen Parteien und Kommunisten trotz aller Widerstände in der israelischen Gesellschaft zur drittstärkste Kraft im Parlament aufsteigen. Die Hoffnung auf Veränderung scheint größer als noch vor zwei Jahren. Das wird beim Besuch in Haifa ganz deutlich.
Netanjahu suche nur die Bestätigung seiner Macht
In Jerusalem absolviert Regierungschef Netanjahu einen seiner wenigen öffentlichen Wahlkampfauftritte. Journalisten sind dazu nicht eingeladen. Netanjahu mag sie nicht. Handyvideos und verwackelte Bilder zeigen Netanjahu wie er über den Markt Mahane Yehuda läuft – dicht umringt von Sicherheitsbeamten.
Netanjahu: "Ich freue mich, dass wir durch unsere entschiedene Politik Jerusalem die Sicherheit zurückgegeben haben. Dieser Markt wurde wieder zu einem Anziehungspunkt für viele Bürger, die ihn besuchen, so wie wir, mit Liebe und mit Freude."
Dann ruft Netanjahu noch, man solle Likud wählen. Eigentlich ein leichter Termin. Viele der Händler sagen, Likud fließe in ihren Adern. Sprich, das habe man schon immer in der Familie gewählt. Aber Netanjahu wirkt auf sie entrückt, selbst wenn er Kaffee bestellt.
Besitzerin des Cafés: "Plötzlich sind Bibi und die Abgeordnete Miri Regev hier rein gekommen. Er hat Cappuccino bestellt und mit einem 100 Schekel-Schein bezahlt. Da habe ich ganz bewusst 87 Schekel in Münzen rausgegeben. Denn während er jeden Tag über die iranische Bedrohung spricht, müssen wir Selbstständigen mit ein bisschen Kleingeld auskommen."
Es könnte eng werden für Netanjahu bei dieser Wahl. Das Land wirkt zerrissen. Gespalten in zwei Lager. Wie hältst Du es mit Netanjahu, lässt streng genommen nur zwei Antworten zu.
Das wird auch deutlich bei der Frage, warum in Israel überhaupt vorzeitig ein Parlament gewählt werden muss. Die Anhänger der Regierung sagen, weil einzelne Koalitionspartner ein Gesetz über den jüdischen Charakter des Landes verhindert haben. Oder: Weil die Regierung keinen Haushalt mehr verabschieden konnte. Die Gegner und Kritiker des Ministerpräsidenten sagten etwas anderes: Es gehe Benjamin Netanjahu mit der Abstimmung allein um eine weitere Bestätigung seiner Macht.
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