Paris: Schwierige Rückkehr in den Alltag

"Man fühlt sich weniger frei"

Menschen trauern nach den Anschlägen vor dem Restaurant "Le Petit Cambodge" in Paris.
Menschen trauern nach den Anschlägen vor dem Restaurant "Le Petit Cambodge" in Paris. © dpa / picture alliance / Thomas Padilla
Von Katja Petrovic · 16.11.2015
Drei Tage nach den Terroranschlägen beginnt für die Franzosen trotz Ausnahmezustands wieder der Alltag. Schulen, Geschäfte und sogar viele Kinos und Theater haben wieder geöffnet. Aber was geht in den Köpfen der Menschen vor?
Der Himmel über Paris er ist grau, genau wie die Gesichter der Menschen, die ihren Alltag trotz der Horrornacht vom Freitag wieder aufnehmen. Von Ausnahmezustand ist nicht viel zu spüren, die Metros fahren und die Geschäfte sind offen. Für den 40-Jährigen Marokkaner Mohammed geht die Arbeit an der Kasse im Supermarkt weiter:
"Es herrscht Angst, man merkt das den Kunden an, aber wir werden kämpfen, wir werden uns von den Terroristen nicht unter kriege lassen."

Gemischte Gefühle hat auch die 25-jährige Kellnerin Margot Cavalier, die in einem der Cafés im 10.Arrondissement arbeitet, das es am Freitag genauso gut hätte treffen können. Wie steht es für sie heute mit ihrer Freiheit, jener Liberté, die seit der französischen Revolution zu den Grundwerten in Frankreich gehört?
"Man fühlt sich natürlich weniger frei, Samstag waren die Metros und die Straβen leer, die Leute fühlen sich unfrei, das ist traurig, aber solange wir merken, dass die Menschen und das Personal nicht in Gefahr sind, haben wir weiterhin geöffnet; das Leben geht weiter, vor allem in den Cafés."
Das Straßencafé ist zum Symbol der Freoheit geworden
Ausgehen, Freunde treffen, ins Café gehen, genau das tun, was viele der Opfer am Freitag machten, das bedeutet für die Franzosen in diesen Tagen maximale Freiheit, das Straβencafé ist zum Symbol der Freiheit geworden, erklärt Romain, der gerade ein paar Blumen für seinen verstorbenen Freund gekauft hat:
"Hier drauβen im Café zu sitzen ist wie ein Akt der Resistenz. Liberté, Egalité, Fraternité, diese Werte sind jetzt noch wichtiger für uns. Die darf uns keiner nehmen, aber das ist nicht einfach, das Leben ist jetzt ganz schön hart."

Und wie steht es um die Brüderlichkeit, nach den Attentaten, deren Opfer völlig willkürlich ausgesucht scheinen und die anders als bei den Anschlägen auf das Satiremagazin Charlie Hebdo oder den jüdischen Supermarkt im Januar keine klar definierte Zielgruppe hatten und jeden hätten treffen können? Misstraut man da nicht eher jedem? Nein, im Gegenteil, sagt Oussman aus dem Senegal:
"Brüderlichkeit, das ist für mich nach all dem vor allem Solidarität, man hilft sich gegenseitig. Wenn so etwas Schlimmes in Frankeich passiert, rücken wir zusammen, als die Anschläge in der Metro stattgefunden hatten, haben wie alle zusammen die Marseillaise gesungen. Da haben wir unsere Devise "Liberté, Egalité, Fraternité respektiert."
Die Solidarität könnte schnell wieder verpuffen
Aber, wie steht es um diese Werte, wenn diese Ausnahmesituation vorbei ist? Der Alltag wieder einkehrt? Die Welle der Solidarität war nach den Attentaten im Januar überwältigend, sie hat den Franzosen Mut gemacht und tatsächlich waren bei dem Trauermarsch danach die Franzosen vereint wie selten. Aber erinnert sich Oussman, viel zu schnell ist dieses Gefühl danach verpufft:
"Wenn das alles vorbei ist, ist wieder alles wie vorher. Da gibt es nicht mehr viel Brüderlichkeit. Frankreichs Gesellschaft ist sehr individualistisch, da kämpft dann wieder jeder für sich".

Und Gleichheit, nein, die gibt es schon gar nicht:

"Wir Zugewanderten habe nicht die gleichen Chancen wie gebürtige Franzosen, jemand der nicht hier geboren wurde, hat es viel schwerer Karriere zu machen. Was die Gleichheit anbelangt, gibt es hier in Frankreich noch viel Arbeit."

Und trotzdem ist es kein Zufall, dass sich die Franzosen gerade jetzt wieder auf dem Platz der Republik treffen, wo ihr Motto Freiheit Gleichheit Brüderlichkeit auf dem Sockel der Statue zu lesen ist. Auch wenn sie im Vergleich zu den Attentaten im Januar niedergeschlagener wirken, merkt man doch, dass sie an ihren Werten festhalten wollen.
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