Papst Benedikts kleine Revolution

Von Philipp Gessler, Deutschlandradio Kultur · 16.02.2013
Der aus dem Amt des Papstes scheidende Joseph Ratzinger war nicht mehr und nicht weniger als Leiter einer Weltkirche, und dies nach dem Verständnis des Zweiten Vatikanums als "Erster unter Gleichen". Das Papstamt sollte in unserer Zeit nicht als überirdisch, magisch und unangreifbar gelten, kommentiert Philipp Gessler.
So ist das alle paar Jahre: Ein Papst ist gestorben, ein neuer muss gewählt werden, die Kardinäle der Weltkirche kommen in Rom zusammen zum Konklave in der Sixtinischen Kapelle unter Michelangelos Jüngstem Gericht – und das große Rechnen beginnt: Wer hat wie viele Stimmen? Wer könnte es werden?

Auch dieses Jahr ist das so, und doch ist dieses Mal fast alles anders: Denn der Papst ist nicht gestorben, sondern wird bald zurücktreten. Und das auch noch freiwillig. Das kam die letzten 700 Jahren nicht vor. Ein Coup! Die größte Reformtat des scheidenden Papstes, der es sonst mit Reformen so gar nicht hatte. Ausgerechnet der letzte Akt als revolutionärer Schritt. Das ist auch ein wenig absurd.

Nun klagen manche, etwa der Berliner Kardinal Woelki: Dies könne zu einer "Entzauberung" des Papstamtes führen – und man reibt sich verwundert die Augen: Eine Entzauberung durch einen freiwilligen Rücktritt? Wer so denkt, hebt das Papsttum auf eine quasi-überirdische, ja magische Ebene. Das zeugt von einem übersteigerten Verständnis vom Papstamt. Der Papst ist zuerst einmal der Bischof von Rom. Nach dem Verständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils ein primus inter pares, als Erster unter Gleichen. Es ist wichtig, daran zu erinnern.

Ähnliches haben wir erlebt bei der Empörung konservativer Katholiken über die öffentliche Kritik von Bundeskanzlerin Angela Merkel am Papst. Damals, als die meist antisemitischen Pius-Brüder wieder in die Kirche aufgenommen wurden, voran der unsägliche Bischof Williamson. Die Empörung über die Kanzlerin offenbarte, wie manche den Papst haben wollen: unangreifbar, notfalls unnahbar, immer unversehrt.

Dabei ist der Papst, so lautet auch einer seiner Titel, servus servorum dei: Ein Diener der Diener Gottes, ein einfacher Knecht im Weinberg des Herrn, wie Joseph Ratzinger es nach seiner Wahl vor acht Jahren sagte. Der Papst kann und muss kritisiert werden – so wie Paulus im ersten Konzil der Geschichte Petrus kritisierte. Das war im Apostelkonzil in Jerusalem, um das Jahr 45. Und Paulus obsiegte.

Der Rücktritt von Papst Benedikt XVI. und seine bescheidenen Worte der Begründung für diesen Schritt deuten eine Demut von Joseph Ratzinger an, die er in seiner Funktion als Leiter einer Weltkirche leider nur selten gezeigt hat. Denn sonst wirkte er in der Regel als absolutistisch regierender Herrscher, abgehoben von den wahren Problemen seiner 1,2 Milliarden Gläubigen. Mehr um das Wohl der Kirche besorgt als um das seiner Schäfchen.

Insofern war der Rücktritt eine glückliche, eine gute Entscheidung: Für Joseph Ratzinger, der – siehe den Skandal um Vatileaks – ganz offenbar überfordert war und nun geradezu befreit wirkt von der großen Last. Der Rücktritt ist aber auch glücklich für viele Menschen nicht nur in Deutschland: Das sind gute Katholiken, die sich Reformen von der Kirche erhoffen, ohne die Kirche gleich grundsätzlich ändern zu wollen. Der selbst gewählte Abschied Ratzingers aus dem Amt ist am Ende ein gutes Zeichen für das Papsttum. Es kann sich modernisieren. Und so zurückfinden zu dem, was es eigentlich ist: Der Petrus-Dienst an der Einheit.

Wer gläubig ist, mag darum beten, dass der zukünftige Papst sein Amt genau so versteht.