Paolo Cirio

Geheimdienstler auf unseren Häuserwänden

Der italienische Medienkünstler Paolo Cirio
Der italienische Medienkünstler Paolo Cirio © picture alliance / dpa / Soeren Stache
Von Christian Grasse · 20.05.2015
Der italienische Konzept-Künstler Paolo Cirio plakatiert Wände mit zum Teil privaten Fotos hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter. Er will die Verantwortlichen sichtbar machen. Ein Rundgang mit ihm durch Berlin.
Ich bin jetzt hier am Treptower Park in Berlin. Vor ein paar Stunden hab' ich eine Mail bekommen, dass ich um elf hier sein soll. Ziemlich konspirativ das Ganze. Treffpunkt ist S-Bahn Treptower Park am Haupteingang Richtung Elsenstraße. Ich bin 10 Minuten zu früh. Plötzlich kommt ein Mann auf mich zu. Schwarze Jacke, Kapuzenpulli, Basecap, schwarze Sonnenbrille. Das muss er sein.
"Hi. Nice to meet you. We want to check out the area first, do you want to follow us?"
Paolo Cirio hat es eilig. In der linken Hand trägt er einen grauen Eimer mit Tapetenkleister, unter seinem rechten Arm klemmen zwei Posterrollen. Er will unter die S-Bahnbrücke.
"What do you think is the best way to get under that brigde?"
Berlin ist ein "safe place"
Wir laufen ein paar Schritte durch den Park, dann am Spreeufer entlang in Richtung S-Bahn-Brücke. Vor uns liegt eine alte Matraze auf dem sandigen Boden, ein alter Fernseher, Glasscherben, die Wände und die Decke der Brücke sind bunt besprüht, Jogger und Passanten laufen an uns vorbei. Paolo Cirio packt seinen Rucksack aus. Gummihandschuhe, Pinsel, Spraydosen.
"I think this is a safe place."
Hier fühlt er sich sicher. Warum die Bedenken, will ich wissen. Gab es schon mal Ärger?
"Did you get in trouble before?"
"In Berlin also gibt es keine Probleme, hier ist ja schon überall Grafiti. Vor einer Woche war ich in New York und London unterwegs. Da ist es viel problematischer meine Kunst zu machen. Die kriegen dich sofort, denn da ist alles videoüberwacht."
Und damit sind wir mitten drin in Paolo Cirios aktueller Arbeit: Es geht um Überwachung. Staat und Wirtschaft spionieren alles und jeden, immer und überall aus. Mit Edward Snowden wurde diese Befürchtung zur Gewissheit. Wir sind ausgeliefert, regelrecht "overexposed", überexponiert. So heißt das neueste Werk des Italieners, mit dem er den Spieß umdrehen will. Die Überwacher bloßstellen und überexponieren - so, wie sie es mit uns tun.
"Wir können sozusagen zurück-überwachen, auf eine kreative Art. Denn heutzutage ist jeder privat im Netz unterwegs. Auch die Geheimdienst-Leute."
Cirio streicht den frisch angerührten Tapetenkleister auf die erste Brückenwand und rollt ein Plakat von EX-CIA-Chef Michael Hayden aus.
"He looks like my uncle."
Die Überwacher haben die Kontrolle verloren
Es zeigt Haydens fülliges, lächelndes Gesicht mit Brille. Im Großformat. Etwa einmaleinmeterfünfzig. Die Bilder für seine überwachungskritische Kunst fand Cirio bei Facebook und anderen Sozialen Netzwerken. Gefunden ist jedoch nicht der richtige Begriff. Er nahm sie sich. Ohne zu fragen. Die NSA fragt schließlich auch nicht, sagt er.
"Es sind Selfies dabei oder Bilder von informellen Situationen. Ich nehme die Fotos aus dem Kontext und entziehe Ihnen die Kontrolle. Damit beweise ich, dass auch Sie die Kontrolle über ihre Informationen verloren haben."
"Sie wollen also sagen, dass die Leute, die Überwachungssysteme verantworten, die Kontrolle darüber verloren haben?"
"Das zeigen auch die Dokumente von Edward Snowden. NSA und FBI haben Schwachstellen bei Netzdiensten ausgenutzt, ohne die Öffentlichkeit über die Schwachstellen zu informieren und sie haben selbst Hintertüren eingebaut. Das vergrößert die Unsicherheit des gesamten Internets, für jeden, auch für die Überwacher."
Den Spiegel des Kontrollverlustes verstärkt Cirio sogar noch, indem er die Bilder der NSA-, CIA- und FBI-Beamten verfremdet. Er hat sämtliche Pixel am Computer durch winzige geometrische Formen ersetzt. Dreiecke, Rechtecke, Quadrate. Sie verwandeln die Fotos in Pop-Art-Kunstwerke. Mit dieser Methode kann Cirio die Porträts beliebig vergrößern und noch wichtiger: Schablonen anfertigen, mit deren Hilfe er die unauthorisierten Bilder an Wände sprühen kann. Die Gesichter der Geheimdienst-Mitarbeiter schmücken mittlerweile dutzende Hauswände in Berlin, Paris, London und New York. Warum diese Inszenierung, will ich von ihm wissen.
"Diese Personen haben unglaublich viel Macht und deshalb müssen wir sie unbedingt besser überwachen. Ihre Entscheidungen beeinflussen unser Leben und unsere Gesellschaft. Sie verletzten massenhaft Grundrechte. Mit meiner Kunst strecke ich den Finger aus und zeige auf diejenigen die verantwortlich dafür sind."

Wer die Grafitis und Plakate von Paolo Cirio sehen will, kann sich auf Berliner Straßen auf die Suche machen oder die Nome Gallerie in Berlin Kreuzberg besuchen. Dort eröffnet am Freitag Cirios Ausstellung "Overexposed", mit den erwähnten Pop-Art-Bildern hochrangiger, internationaler Geheimdienstmitarbeiter.

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