Panikwandern in New York

13.01.2012
Eigentlich hatte er alles - und ruinierte sich selbst und sein Leben mit Drogen. In diesem mitreißenden Buch beschreibt Bill Clegg schonungslos seine Zeit als Drogenabhängiger und nimmt den Leser mit in seine persönliche Abwärtsspirale.
"Brummvoll" und "total abgecrackt", bis obenhin zugeknallt, und "nah am Knast", ein bis auf die Knochen abgemagertes, leichenfahles dürres Hemd und schon längst nicht mehr Herr seiner selbst - das war Bill Clegg 2005. Ein Wrack. Ein Junkie, der an den Rezeptionen von New Yorker Luxus-Hotels abgewiesen wurde.

In der Endphase seiner Sucht war er 24 Stunden am Tag auf Drogen, hochgradig asozial und nicht mehr in der Lage, zwischen Wahnvorstellungen und Wirklichkeit zu unterschieden. Erst in der Entzugsklinik, in der er nach mehreren gescheiterten Anläufen schlussendlich eine Therapie machte, gelang es ihm, schreibend in die Realität zurückzufinden.

In seinem mitreißenden Buch blickt der heute 41-Jährige nun schonungslos zurück auf eine Zeit, in der er eigentlich alles hatte: Eine eigene kleine, gut laufende Literaturagentur, einen Freund, der ihm sein gelegentliches Fremdgehen verzieh, eine luxuriöse Wohnung. Und weil so etwas schick ist in New York, leistete er sich den gelegentlichen Gang zum Psychotherapeuten. Das war die helle Seite seines Lebens.

Die dunkle und fast bis zum bitteren Ende gut kaschierte aber gab es auch: Crack in Kombination mit "literweise Wodka". Mit Mitte 20 hatte alles begonnen: Clegg traf in einer Buchhandlung in der Nähe seines Büros einen alten Bekannten aus seiner Heimatstadt. Der lud ihn in sein Appartement auf einen Drink ein, sie sprachen über alles Mögliche, auch über Sex und Drogen. Irgendwann fragte er Clegg, ob er schon mal Kokain geraucht hätte. Clegg log und sagte ja - die Vorstellung, Crack zu nehmen, war so verlockend.

Binnen kürzester Zeit war eine Crack-Pfeife zusammengebastelt - und dem ehrgeizigen jungen Literaturmenschen ein Mittel an die Hand gegeben, dem beruflichen Druck zu entfliehen. Die Droge allerdings sollte ihn zuletzt beinahe in den Selbstmord treiben.

Bill Cleggs "Porträt eines Süchtigen als junger Mann" ist die klug komponierte Chronik eines so langen wie tiefen Falls, eines Horrortrips zwischen "speedigem Hochgefühl" und Halluzinationen. Es gibt auch komische Szenen darin: Am Morgen des 11. Septembers 2001, als die Welt auf die Türme des World Trade Center blickt und die Stadt im Chaos versinkt, beschließt Clegg, wieder mal hoffnungslos zugedröhnt, den Friseur aufzusuchen - seine Assistentin blickt ihn nur fassungslos an.

"Panikwandern" nennt Clegg im Buch sein paranoides Umherhasten in New York, als er sich von Polizisten der Rauschgiftbehörde verfolgt glaubte und in Toiletten oder Umkleidekabinen zurückzog, um zu "basen". Erstaunlich lange schaffte er beides: mit Dealern zu telefonieren und angesehene Dichter zu vertreten. Doch irgendwann bröckelte die Fassade und brach dann schließlich vollends zusammen.

Selten ist so eindringlich davon erzählt worden, wie die Droge erst die "wärmste, zärtlichste Liebkosung" ist, und wenn sie dann "nachlässt, die kälteste Hand". Es heißt in dieser Geschichte einer langen Drift ins Drogen-Nirvana mal: "Ich fühle mich, als hätte mich ein Tornado geschluckt und mich in Fetzen wieder ausgespien." So ungefähr ergeht es einem bei der Lektüre dieses packenden autobiographischen Berichts.

Besprochen von Knut Cordsen

Bill Clegg: Porträt eines Süchtigen als junger Mann
Aus dem Amerikanischen von Malte Krutzsch
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2011
272 Seiten, 19.95 Euro
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