Pamphlet gegen die neue Bürgerlichkeit

09.01.2007
Christian Rickens wendet sich in einem Rundumschlag gegen alles, was ihm als "Sehnsucht nach einer überholten Gesellschaft" vorkommt: das Jammern über die aussterbenden Deutschen, das Lästern über die 68er, der Patriotismus und Frank Schirrmacher. Denn - so seine These - Ideen, die aus den 50er Jahren stammen, eignen sich nicht für das 21. Jahrhundert.
Kein Trend ohne Gegentrend. Keine Polemik ohne Gegenpolemik. Keine Hysterie ohne Therapievorschlag. Nach Eva Hermans antifeministischer Rückrolle, nach Frank Schirrmachers Gefahrenalarm der bindungslosen Gesellschaft, nach dem Auftritt all der neokonservativen Wertepropheten der vergangenen Jahre, ob Norbert Bolz, Peter Hahne oder Udo di Fabio, erhebt der Publizist Christian Rickens, Jahrgang 1971, nun Widerspruch gegen die so genannte neue Bürgerlichkeit. Der Redakteur des MANAGER MAGAZINS sieht in ihr nichts als neue Spießigkeit auf der Basis von Ideen, die aus den 50er Jahren stammen und für das 21. Jahrhundert nicht taugen.

Rickens gibt sich als aufgeklärter Realist aus und hat in vielen Punkten Recht. Er stellt die Demographiedebatte, das Kernstück der neokonservativen Argumentation, vom Kopf und die Füße, und weist nach, dass die geringe Geburtenrate der Deutschen nicht verwöhnten karrieresüchtigen Akademikerinnen anzulasten ist, die keine Kinder wollen, sondern der Tatsache, dass zeitgenössische Eltern nur noch ein Kind, höchstens zwei wollen. Er blamiert die neokonservativen Kulturkämpfer, die sich Muff auf deutsche Theaterbühnen zurückwünschen, mit ihren eigenen Zitaten. Er untersucht skeptisch den neuen deutschen Fußballpatriotismus und seine kaschierten fremdenfeindlichen Anteile.

Was an Christian Rickens Polemik gegen die "Neuen Spießer" irritiert, sind weniger seine Thesen, denn ihre Aufbereitung in der Form eines Buches, dessen flotter, flüchtiger, persönlicher Stil einem Zeitschriftenartikel mit Verfallsdatum angemessener erscheint als einem Sachbuch, das die Bezeichnung verdient. Rickens Buch ist, von seinem Inhalt abgesehen, beispielhaft für die Tendenz des Buchmarktes zur Saisonproduktion, die Meinungen, Trends, Debatten so schnell aufgreift, wie sie sie wieder vergisst. Ein gutes Beispiel für diese Saisonproduktion war im Übrigen Eva Hermans Bestseller "Das Eva-Prinzip". Kein Buch für die Bibliothek und die Nachwelt, sondern für die Medienwelle der kommenden drei Monate. Publizistisch befindet sich Christian Rickens mit seinen "Neuen Spießern" durchaus auf einer Wellenlänge mit dem Eva-Prinzip, dem er ideologisch nichts abgewinnen kann.

Rezensiert von Ursula März

Christian Rickens: Die neuen Spießer. Von der fatalen Sehnsucht nach einer überholten Gesellschaft
Ullstein Verlag, Berlin 2006
282 Seiten, 14 Euro