Pakistan und der Drohnenkrieg der USA

Von Sandra Petersmann · 10.09.2012
Pakistan gilt als Rückzugsgebiet der Terrororganisation Al Kaida. Dagegen gehen die USA vor: Vier Drohnenangriffe pro Monat werden auf Ziele in Pakistan geflogen, schätzt das Bureau for Investigative Journalism in London. Die Stimmung in Pakistan schwankt zwischen Bewunderung und Abscheu für die USA.
"Verräter Amerika". "Nieder mit Amerika". Solche Rufe hallen regelmäßig durch die Islamische Republik Pakistan --- wenn sich tausende Menschen zu Protestmärschen versammeln --- gegen amerikanische Drohnen --- und gegen den Krieg im benachbarten Afghanistan.

Einer der Hauptorganisatoren der Demonstrationszüge ist die Jammat-e-Islami, eine der einflussreichsten islamistischen Parteien Pakistans. Ihr Anführer ist der Religionsgelehrte Munnawar Hassan:

"Die Menschen hier protestieren, weil sie nicht wollen, dass die NATO ihren Nachschub über Pakistan regelt. Sie verlangen, dass die Drohnenangriffe aufhören. Wenn die Amerikaner unsere Verbündete sein wollen, dann müssen sie sich auch so verhalten. Pakistan muss eine unabhängige Außenpolitik betreiben. Es geht allein um unsere Interessen, nicht um die der Amerikaner."

Unter den Wortführern der Straßenproteste findet sich auch Hafeez Saeed. Er gilt als einer der Gründer der Terrorgruppe Laschkar-e-Toiba. Die USA haben ein hohes Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, in Pakistan kann er sich frei bewegen:

"Wir können nicht hinnehmen, dass Amerika und die NATO pakistanischen Boden benutzen, um Massenmord an Muslimen zu begehen. Wir dürfen die Drohnenangriffe nicht länger hinnehmen. Wir dürfen die Präsenz der USA und ihrer Verbündeten in dieser Region nicht länger tolerieren."

Doch der Drohnenkrieg der USA beschäftigt längst auch die Mitte der pakistanischen Gesellschaft. Waqas ist 24 und macht gerade an der Universität von Lahore seinen Master-Abschluss in Informatik:

"Ich hasse nicht Amerika als ganzes, aber ich hasse die, die verhindern wollen, dass sich Muslime entwickeln und dass sich Pakistan entwickelt. Ich ärgere mich über die, die sich in unsere inneren Angelegenheiten einmischen. Die US-Regierung will nicht, dass wir Fortschritte machen."

Sein Kommilitone Shahid Malik nickt mit dem Kopf. Er steht noch ganz am Anfang seines Studiums:

"Die meisten Menschen in Pakistan denken nur schlecht über die Amerikaner, aber ich glaube, dass nicht alle Amerikaner schlecht sind. Das Land als solches ist gut. Die Politik als solches ist gut. Aber die Drohnen und der Krieg in Afghanistan sorgen dafür, dass wir sie falsch wahrnehmen. Die USA sind keine schlechte Nation, viele Menschen dort sind sehr intelligent."

Die Ergänzung folgt nach wenigen Sekunden Pause. "Nicht nur wir müssen an unserem Amerika-Bild arbeiten", fordert der 22-Jährige, "sondern die USA müssen aufhören, Muslime zu stigmatisieren."

"Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber genau das scheinen die Amerikaner zu glauben. Ja, es gibt bei uns Terroristen. Aber nicht die ganze Nation und nicht unsere Religion sind terroristisch. Terroristen gibt es überall auf der Welt - bei den Christen, bei den Hindus und bei den Muslimen. Es gibt eben schlechte Menschen, aber dafür kann man nicht alle Muslime oder ein ganzes Land wie Pakistan verantwortlich machen."

Der Dritte im Bunde der Stundentenrunde an der Universität von Lahore ist Abdul Hasib. Der 24-jährige Softwareentwickler träumt davon, sich einen Namen als Erfinder von Computerspielen zu machen:

"Meine Generation will mit diesem ganzen Terror-Mist nichts zu tun haben. Ich bin online und spiele, wenn ich nicht studieren muss. Die meisten, die du da triffst, sind nett. Aber da sind natürlich auch sofort die, die dich für einen Terroristen halten, nur weil du aus Pakistan kommst. Dann fliege ich aus Spielen raus und werde auf Facebook geblockt. Natürlich muss sich Pakistan in vielen Bereichen verbessern. Die Menschen müssen lernen, mehr auf sich selbst zu hören, anstatt nur blind ihren Anführern zu folgen. Sie müssen lernen selber zu denken und zu handeln, anstatt andere für sich denken und handeln zu lassen."

Auf der Straße geht es deutlich weniger reflektiert zu als auf dem Universitätsgelände. Auf der Straße geben die islamistischen Anführer und Einpeitscher den Takt vor. Sie können ausnutzen, dass Verschwörungstheorien aller Art in Pakistan schon immer sehr ausgeprägt waren. Das große Schweigen über den Drohnen-Einsatz in den pakistanischen Stammesgebieten sorgt für immer radikalere, anti-amerikanische Verschwörungstheorien, sagt der pakistanische Extremismus-Experte Ahmed Rashid:

"Die Drohnenangriffe sorgen dafür, dass immer mehr Menschen anti-amerikanisch denken und die NATO ablehnen. Wir erfahren so gut wie nichts über den Einsatz der Drohnen. Die Drohnenpolitik der USA hat sich ins Negative verkehrt."

Doch US-Präsident Barack Obama baut im Kampf gegen den Terror in den pakistanischen Stammesgebieten auf die militärische Hochtechnologie. Am Anfang des Jahres erlaubte er einen seltenen Einblick in seine Drohnen-Politik. Er tat es während einer virtuellen Bürger-Fragestunde im Internet:

"Bei dem Einsatz von Drohnen handelt es sich um den Versuch, gezielt Personen zu treffen, die als aktive Terroristen auf einer Liste erfasst sind, weil sie versuchen, Amerika zu schaden. Die Angriffe konzentrieren sich auf die pakistanischen Stammesgebieten. Dort finden Al Kaida Kämpfer in sehr schwierigem Gelände Unterschlupf. Und wenn wir versuchen würden, sie mit anderen Mitteln zu treffen, wäre das ein noch viel stärkerer militärischer Eingriff."

Soll heißen: lieber Drohnen als Bodentruppen in einem Land, das offiziell als Verbündeter im Krieg gegen den Terror gilt. Das aber gleichzeitig im Verdacht steht, mit ausgewählten, radikalen Islamisten zusammenzuarbeiten. Taliban-Kenner Ahmed Rashid fasst die US-Politik so zusammen:

"Die Drohnen sind zum politischen Werkzeug der Obama-Administration geworden, um Pakistan auf den Kopf zu schlagen. Das Programm ist nicht nur eine Tötungs-Maschine, sondern einer der wenigen Hebel, die Amerika gegen Pakistan ansetzen kann."

Gegen einen Verbündeten, dem man nicht vertraut. Den man beschuldigt, ein doppeltes Spiel zu spielen. Wie viele Drohnengeschosse schlagen in Pakistan ein? Wen treffen sie? Sind Zivilisten unter den Opfern? Über diese entscheidenden Fragen gibt es keine gesicherten Informationen. Der Deckmantel des Schweigens ist auffällig dick. Das Londoner Büro für investigativen Journalismus hat sich auf die Berichterstattung über Drohnen spezialisiert. Nach den Recherchen der unabhängigen Organisation starben im vergangenen Jahr mindestens 473 Menschen durch 75 Drohnenangriffe. Mindestens 68 der Opfer sollen Zivilisten gewesen sein. Doch die Fakten von der Propaganda zu trennen ist schwer bis unmöglich - Journalisten werden von allen Seiten an der Recherche vor Ort gehindert. Die meisten Informationen stammen von anonymen Quellen aus Geheimdienst- oder Regierungskreisen. Offiziell lehnt Pakistan die amerikanische Drohnen-Politik ab - wie Außenministerin Hina Rabbani Khar:

"Unserer Meinung nach ist der Einsatz von Drohnen komplett illegal und durch kein Gesetz sanktioniert. Er widerspricht internationalem Recht. Darüber hinaus sind Drohnen auch kontraproduktiv im Kampf gegen militanten Islamismus und Terror. Denn selbst wenn bei einem Angriff das Ziel Nummer eins ausgeschaltet wird, gibt es anschließend fünf oder 10 neue Ziele, weil die Militanten Zulauf bekommen."

Inoffiziell gibt es aber wohl eine Politik der stillen Zustimmung - vor allem vom wahren pakistanischen Machtzentrum: vom Militär und seinen Geheimdiensten. Ohne die millionenschweren Zuwendungen aus Washington wäre Pakistans aufgeblähter Armee-Apparat kaum überlebensfähig. Außerdem gehört das Militär inzwischen selber zu den Zielen radikaler Islamisten. Asad Munir ist Brigadegeneral im Ruhestand und war jahrelang für die Geheimdienste in den pakistanischen Stammesgebieten entlang der afghanischen Grenze verantwortlich:

"Das Drohnenprogramm ist ein schwerer Schlag für Al Kaida. In den letzten zwei, drei Jahren sind alle wichtigen Führer, die sich in den pakistanischen Stammesgebieten versteckt hielten, durch Drohnen vernichtet worden. Al Kaida ist heute eine schwache Organisation."

Asma Jahangir, Pakistans bekannteste Menschenrechtlerin, widerspricht - und denkt an die unabsehbaren Folgen:

"Drohnen töten außerhalb des Rechts, und das ist sehr gefährlich. Was passiert, wenn andere Länder Drohnen genauso straffrei einsetzen? Auch nicht staatliche Akteure könnten in den Besitz von Drohnen gelangen. Es sprengt die Vorstellungskraft, wie zerstörerisch diese Technik des straflosen Tötens sein kann. Dennoch glaube ich, dass wir Kontrolle über unser Territorium haben müssen. Es darf kein Niemandsland geben, in dem Terroristen ungehindert morden und Morde planen können - im Inland und im Ausland. Drohnen sind keine Lösung. Sondern unsere Regierung muss international kooperieren. Das ist harte Arbeit, aber es geht nicht anders. Der Weg für alle führt nur über Diplomatie und Politik."

Ahmed Rashid ist der Meinung, dass Pakistan schnell politisch handeln und verhandeln muss - um sich selber zu retten:

"In Pakistan droht eine soziale, politische und wirtschaftliche Kernschmelze. Und die entscheidende Frage ist, ob die politische und militärische Führung bereit ist, das Ruder herumzureißen. Pakistan muss aufhören, Fundamentalisten und Extremisten zu unterstützen - in Kaschmir und in Afghanistan. Wir brauchen einen kompletten, strategischen Neuanfang. Und wenn das nicht passiert, dann geht die Talfahrt bis ganz nach unten. Ich glaube nicht, dass Pakistan am Ende ein gescheiterter Staat sein wird. Es wird eine Bürokratie und eine Armee und eine Justiz geben. Aber weite Teile des Landes werden dann endgültig unregierbar sein und andere werden in Anarchie versinken."

Im Moment gibt es keine Anzeichen für einen gemeinsamen, offenen Dialog. Das Misstrauen ist zu groß, und die Interessen in der Region sind zu unterschiedlich. Die USA wollen Al Kaida besiegen. Pakistan will verhindern, dass der große Feind Indien Einfluss gewinnt - und pflegt deswegen Kontakte zu radikalen Islamisten wie den afghanischen Taliban. Die US-Drohnen fliegen weiter und vertiefen den Anti-Amerikanismus in der pakistanischen Gesellschaft.
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