Pakistan

Malala, das Mädchen aus dem Swat-Tal

Malala Yousafzai erhält den Friedensnobelpreis.
Malala Yousafzai erhält den Friedensnobelpreis. © dpa / picture-alliance / Andrew Gombert
Gespräch mit der Korrespondentin Sandra Petersmann · 09.12.2014
Sandra Petersmann versuchte, auf den Spuren der Friedensnobelpreisträgerin Malala in ihre pakistanische Heimat, das Swat-Tal, zu gelangen. Allerdings hinderte die Armee sie daran und sie wurde vom Geheimdienst verfolgt.
Isabella Kolar: Sie hat ein helles Tuch der ehemaligen pakistanischen Premierministerin Benazir Bhutto um Schultern und das dunkle Haar geschlungen, wie sie stolz betont. Das zierliche 16-jährige Mädchen Malala tritt am 12. Juli 2013 ganz in rosa, ihrer Lieblingsfarbe, vor dem Plenum der Vereinten Nationen auf. Es ist erst ein Dreivierteljahr vergangen seit dem Mordanschlag auf sie.

Malala Yousafzai: "Am 9. Oktober 2012 schossen mir die Taliban in die linke Hälfte meines Kopfes. Sie schossen auch auf meine Freunde, weil sie glaubten, die Kugeln würden uns zum Schweigen bringen. Aber sie haben sich geirrt. Nichts in meinem Leben hat sich geändert, nur das: Schwäche, Angst und Hoffnungslosigkeit sind gestorben, Stärke, Kraft und Mut wurden geboren. Die Extremisten hatten und sie haben Angst vor Büchern und Stiften, Angst vor der Macht der Bildung, sie haben Angst vor Frauen und der Kraft ihrer Stimmen. Deshalb bombardieren sie täglich Schulen. Sie haben Angst vor einem Wandel, Angst vor Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft."

Kolar: Morgen bekommt Malala Yousafzai zusammen mit Kailash Satyarthi den Friedensnobelpreis. Malala lebt heute in Großbritannien und das ungewöhnliche Mädchen wird ja zum Beispiel von britischen Politikern wie Gordon Brown auch deshalb gefeiert, weil sie angeblich schon Veränderungen der Situation der Mädchen und Kinder in ihrer Heimat bewirkt haben soll. Unsere Korrespondentin Sandra Petersmann war gerade in Pakistan. Ist das so? Kann eine 17-Jährige die Welt verändern?
Neu-Delhi-Korrespondentin Sandra Petersmann
Neu-Delhi-Korrespondentin Sandra Petersmann© NDR / Sandra Petersmann
Sandra Petersmann: Ja, wenn man sich den Werdegang von Malala so anschaut, dann kann einem manchmal, finde ich persönlich, schon Angst und Bange werden, dass der Frieden zwischen uns Erwachsenen auf den Schultern eines 17-jährigen Teenagers ruhen soll, 17, so alt ist Malala heute. Ich denke, wir alle sollten nicht vergessen, dass sie eben doch auch noch ein Mädchen ist, ohne Zweifel hochbegabt, unglaublich mutig, jemand, der für das Recht auf uneingeschränkte Bildung eintritt, gerade auch in Pakistan, und insofern glaube ich schon, dass Malalas Kampf und ihr Schicksal auch in Pakistan eine Diskussion über das Recht auf Bildung angestoßen hat, über die Rolle der Frau im Staat, über die Rolle der Religion in Staat und Politik. Sie hat ja mit ihrer Familie und westlichen Gönnern auch eine Stiftung ins Leben gerufen, die in Pakistan Schulen für Mädchen baut. Aber dass sich Pakistan jetzt als Ganzes durch Malala radikal verändert hätte, das würde ich so nicht unterschreiben, eher im Gegenteil: Malalas Schicksal und ihre Flucht aus ihrer Heimat sagt eben sehr viel über die aktuellen Zustände in Pakistan aus.
Kolar: Sie haben versucht, auf den Spuren von Malala in ihre Heimat, ins Swat-Tal, einzureisen, das wurde Ihnen verwehrt. Wie und warum?
Petersmann: Gute Frage, das wüsste ich, ehrlich gesagt, selber auch gerne. Fangen wir mal vorne an: Ich lebe als Südasien-Korrespondentin hier in Indien, unsere Reisen nach Pakistan und Afghanistan starten also immer von hier aus, und wenn wir von hier aus ein Visum bei der pakistanischen Botschaft hier in Indien beantragen, dann dauert das inzwischen immer sehr, sehr viele Wochen und manchmal verläuft so ein Antrag auch schon mal freundlich im Sande ohne Begründung.
Bei meiner letzten Reise jetzt Mitte November war es so, dass ich nach sechs Wochen ein Visum bekam, aber eben nur gültig für die drei großen Städte Lahore, Islamabad und Karatschi, nicht für andere Landesteile. Ich wollte aber unbedingt ins Swat-Tal, um eben auf Malalas Spuren zu wandeln, um mit Verwandten und Freunden zu sprechen, habe dann mit ganz viel Vorlaufzeit bei der Armeeführung eine Sondererlaubnis beantragt, die Armee, die kontrolliert in Pakistan ja viele Bereiche des Landes, auch viele Bereiche der Politik. Nicht vergessen: Pakistan war die längste Zeit seiner Geschichte eine Militärdiktatur.
Für mich hätte das jetzt konkret in Swat bedeutet eine Reise auch in Begleitung des Militärs inklusive bewaffneter Kräfte. Und diese zuständigen Presseoffiziere, mit denen ich dann E-Mail-Verkehr hatte, mit denen ich ganz oft telefoniert habe, die haben mich hingehalten, mich vertröstet, mir immer wieder Hoffnung gemacht. In der Zwischenzeit war ich dann vor Ort, habe auch andere Themen recherchiert, zum Beispiel über verfolgte Christen in Pakistan, das zusammen mit einem jungen, ganz tollen pakistanischen Kollegen – der dann anschließend auf der Straße abgefangen wurde für ein freundliches Verhör, um zu erfahren, was ich so im Land mache. Ist nichts passiert, hinterlässt aber trotzdem ein mulmiges Gefühl. Ich hatte also die ganze Zeit in Pakistan ein paar Schatten als Begleiter, und im Ende war es eben so, dass man die Zeit hat verstreichen lassen, die wussten natürlich ganz genau, auf welches Datum meine Ausreise terminiert war, und ich bin letztendlich nicht ins Swat-Tal gekommen, weil die Armee mich nicht gelassen hat.
Kolar: Im Swat-Tal besitzen Frauen seit jeher kaum Rechte. Die Taliban sind zwar laut offizieller Darstellung weg, das Militär hat die Kontrolle, aber für die Frauen hat sich ja kaum etwas geändert. Wie konnte ein solches Umfeld eine Malala, eine Kämpferin für Frauenrechte und Gleichberechtigung hervorbringen?
Immer ein paar Schatten
Petersmann: Na, dieses Swat-Tal, das ist sicherlich eine sehr religiös-konservative Gegend, aber das Swat-Tal hatte eben auch immer ganz besonders viel Kontakt zur Außenwelt. Swat wird ja oft als die Schweiz Pakistans bezeichnet wegen seiner malerischen Schönheit mit Bergen, Seen, Flüssen, ganz viel Grün. Swat hat in besseren Tagen sehr viele Touristen angezogen aus dem In- aber auch aus dem Ausland. In Swat gab es auch wesentlich früher Mädchenschulen als in anderen Teilen des heutigen Pakistan, und viele Eltern dort legen eben durchaus auch Wert auf Bildung und Ausbildung für ihre Töchter.
Malala selber stammt aus einer solchen Familie. Malalas Vater selber ist ein rastloser, ein ruheloser Bildungsaktivist, der seine Tochter immer angetrieben hat, das bis heute tut, Malalas Kampf ist auch eben der Kampf ihres Vaters, und Malalas Vater hat vor der Flucht aus Pakistan im Swat-Tal eine Schule gegründet, die sich ausdrücklich auch an Mädchen richtet. Also Vater und Tochter kämpfen hier wirklich gemeinsam für das uneingeschränkte Recht auf Bildung, und Malala ist da durchaus kein Einzelfall, denn Mädchen in Swat gehen zur Schule. Leider müssen viele mit der Pubertät abbrechen oder aus Sicherheitsgründen nach Drohungen, denn die Armee hat die Taliban mit ihrer Sommeroffensive 2009 zwar aus Swat vertrieben, aber, wie der Anschlag auf Malala am 9. Oktober 2012 auch zeigt, die Taliban sind noch da, schlagen aus dem Hinterhalt zu und das macht vielen Eltern Angst.
Kolar: In dem Feature, das wir von Ihnen und Ihrem Kollegen gleich hören werden, klingt ja an, dass im Gegensatz zu der Verehrung, die man Malala als Anti-Taliban-Ikone im Westen entgegenbringt, sie in Pakistan selbst eher als amerikagesteuerte, profilierungssüchtige Nestbeschmutzerin gesehen wird, von deren Ruhm zwar sie selbst, aber nicht ihr Land profitiert. Ist das Neid?
Petersmann: Das ist ganz bestimmt auch Neid. Grundsätzlich spielt bei der Malala-Diskussion in Pakistan Anti-Amerikanismus eine große Rolle. Pakistan leidet ja wie kein anderes Land unter Terror und Gewalt, und viele Pakistaner machen eben allein die USA dafür verantwortlich, vor allem die amerikanischen Drohnenangriffe im Grenzgebiet zu Afghanistan. Und Malala ist in diesen anti-amerikanischen Sog geraten. Viele Pakistaner glauben, dass sie sich tatsächlich als Waffe der Amerikaner gegen Pakistan vereinnahmen lässt, und dann kommt auch Neid dazu, Angst und Frust spielen auch eine große Rolle, gerade bei den jungen Malala-Kritikern. Malala selber hat ja heute unendlich viele Chancen, sie verdient viel Geld mit ihren Reden, mit Büchern, sie reist durch die Welt, ist berühmt, während die Mehrheit der pakistanischen Jugendlichen keine Perspektive hat und vom Ausland dann auch noch quasi als Angehörige eines Terrorstaates abgestempelt werden.
Kolar: Malala geht heute in eine Schule in Birmingham, will noch viel lernen, und ihr großer Traum ist es, Premierministerin Pakistans zu werden. Ist das nur der durchgeknallte Traum einer 17-jährigen Teenagerin oder ein realistisches Ziel?
Petersmann: Na, ich finde es ja toll, dass sie mit ihren 17 Jahren so wahnsinnig selbstbewusst daherkommt. Insofern: Malala sagt niemals nie, auch wenn es im Moment sehr unwahrscheinlich scheint. Aber ich erinnere auch daran, dass Pakistan mit Benazir Bhutto schon eine Premierministerin hatte, als in Deutschland noch niemand im Traum an eine Bundeskanzlerin gedacht hat, und wer weiß: Vermutlich wäre genau diese Benazir Bhutto, die zwischendurch ja auch im Exil leben musste, heute Pakistans Premierministerin, wenn sie nicht ermordet worden wäre, vielleicht von den Taliban, vielleicht vom Geheimdienst des Militärs, das ist alles bis heute unklar. Fest steht: Laute, mutige Stimmen wie die von Malala können in einem komplizierten Land wie Pakistan, in dem die Religion von vielen Seiten als Waffe missbraucht wird, viele Feinde haben, nicht nur die Taliban.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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