Pädagogik

Wie viel Religion verträgt die Schule?

Der Religionslehrer Ridwan Bauknecht schreibt am Montag (27.08.2012) in Bonn an der Robert-Koch-Schule während des islamischen Religionsunterrichts an die Tafel.
Gemeinsamer Religionsunterricht kann Fundamentalismus verhindern, meinen Experten. © dpa / Oliver Berg
Von Michael Niehaus · 17.01.2016
Kopftuch, Speisevorschriften und Gebetszeiten: Wie viel Religion darf in der Schule sein? Über diese Frage diskutierten Pädagogen auf einem Lehrkräfteforum der Evangelischen Landeskirche Hannover. Unser Reporter war dabei.
"Allein in meiner Klasse haben wir 13 Nationalitäten und auch viele andere Religionen. Für mich ist das kein Problem, wen jemand eine andere Religion hat."
"Je nachdem, wie extremistisch einige Leute sind oder eher nicht, ich hätte nichts dagegen, auch etwas über eine andere Religion zu erfahren."
"Es kommt ja darauf an, wie man diese Religion auslebt. Wenn man ganz normal die Religion lebt, wie man eigentlich ist, dann kann die Schule eigentlich die Religion vertragen."
Ausschnitt aus einer Videoumfrage an einer berufsbildenden Schule in Hannover. Deutlich wird in dieser sicher nicht repräsentativen Befragung, dass die Schülerinnen und Schüler sich für das Thema interessieren, gleich ob sie selber religiös oder nicht religiös sind. An fast jeder Schule kommt es heute zur Begegnung von unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen. Unterschiedliche kulturelle Ausdrucksformen, Prägungen, Wertvorstellungen und Haltungen treffen aufeinander. Johannes Klapper ist Leiter eines Gymnasiums. Wie sieht er das Thema Religionsunterricht – als Chance oder eher als Konfliktpotenzial?
"Also wie ich das an meiner Schule in Walsrode im Heidekreis sehe, deutlich eine Chance. Konfliktpotenzial immer, aber viel viel stärker als Chance. Allerdings ist es so, dass Religion an meiner Schule eine gute Rolle spielt. Also Religion als Fach, wir haben das viel als Prüfungsfach, sodass das Interesse bei den Schülern durchaus noch vorhanden ist."
Eine Debatte über die Bedeutung, den Umfang und die Gestaltung des Religionsunterrichts kommt in diesen Zeiten an den Themen Fundamentalismus und Terrorismus nicht vorbei. Der Religionsunterricht kann hier nach Überzeugung von Reinhold Mokrosch, emeritierter Professor für Evangelische Theologie an der Universität Osnabrück, eine entscheidende Rolle spielen.
"Ich glaube, dass Religionsunterricht wirklich Fundamentalismus verhindern kann, allerdings nur, wenn jüdische Kinder, muslimische Kinder, evangelisch, katholische, christliche Kinder zusammen kommen. Sich begegnen, zusammen essen, zusammen spielen, auch zusammen lernen. Natürlich wünschte ich, dass jüdische Jungens Kippa tragen können und muslimische Mädchen auch Kopftuch, das dauert noch ein bisschen, aber wenn die sich begegnen, dann könnte das Fundamentalismus verhindern. Ein bisschen mehr Religion als wir haben an Schulen, das wäre schön."
Religionsunterricht bringt die Schüler zusammen
Gemeinsamer Religionsunterricht bringt nicht nur die anderen Religionen näher, sondern auch die eigene, wie Reinhold Mokrosch berichtet.
"In einer vierten Klasse erlebte ich, da fragten die muslimischen Kinder die christlichen: Was feiert ihr eigentlich Weihnachten? Und da stand ein christlicher Junge auf und sagte: Da ist Jesus auferstanden. Worauf dann ein muslimisches Mädchen sagte: Stimmt gar nicht. Weihnachten ist Jesus geboren. Man lernt sich gegenseitig kennen, man weiß, warum man die Feste feiert. Man weiß, wer der Religionsstifter war. Über Mohammed lernen die Kinder das und auch die muslimischen Kinder lernen sich selber kennen."
"Ich glaube schon, dass das ganz wichtig ist: Begegnung. Denn das einzige, um Vorurteile abzubauen, ist zum einen Aufklärung, also Wissensvermittlung und zu anderen tatsächlich die Begegnung zwischen diesen Menschen."
Lamya Kador ist Lehrerin für islamische Religion im nordrhein-westfälischen Dinslaken. Zudem ist sie Dozentin an der Fachhochschule Münster, wo sie einen Lehrauftrag für das Thema "Muslime in Deutschland" hat. Sie ist Autorin zahlreicher Bücher über den Islam. Sie selber setzt sich für einen liberalen Islam ein. Wie viel Religion darf es nach ihrer Meinung nach im Schulalltag geben?
"Deshalb bin ich sehr dafür, dass wir Sequenzen einbauen, die Begegnung ermöglicht zwischen verschiedenen Schülergruppen, die übrigens nicht nur immer aus gläubigen Schülern bestehen muss, sondern auch aus jungen Menschen, die gar nicht an Gott glauben, das ist ja ein ganz beachtlicher Anteil an deutschen Schulen."
Daniela Rump, Vorsitzende des Landesschülerrats Niedersachsen und Schülerin an der Kooperativen Gesamtschule Pattensen, einer Kleinstadt in der Nähe von Hannover, plädiert vor allem für einen anderen Religionsunterricht.
"Ich glaube, dass das Fach Religion sich ein bisschen verändern muss, zum Beispiel dass im Religionsunterricht nicht nur eine bestimmte Konfession unterrichtet wird, das Christentum, sondern verschiedene. Das fehlt mir. Es ist ja aktuell schon so, dass Judentum und Buddhismus dran kommt, aber oft ist es so, dass es nur gelehrt wird, aber gar nicht darüber gesprochen wird mit Menschen, die dieser Konfession beigetreten sind und das fehlt mir ein bisschen zurSzeit."
Lamya Kador: "Aber es funktioniert nur wirklich gut, wenn wir möglichst viele Schüler erreichen in ihrer Identität, in ihrer muslimischen, evangelischen, katholischen, atheistischen Identität, dann funktioniert es. Wenn wir nur einer Gruppe, dem Mainstream gerecht werden wollen, dann wird es nicht funktionieren. Ich glaube, das wird uns auch zukünftig als Gesellschaft ausmachen, zu differenzieren, wahrzunehmen, dass wir ein sehr sehr buntes Land sind."
Mehr zum Thema