Ozean des Wissens

14.02.2013
Das Wissen neu denken will der US-amerikanische Internetguru David Weinberger mit seinem neuesten Werk "Too Big to Know". Darin setzt er sich vehement für das Prinzip des Open Access ein und erläutert, wie das Wissen im Netzwerk zum Leben erwacht und immer wertvoller wird.
Seit knapp einem halben Jahrhundert kennzeichnen Soziologen die gegenwärtige Epoche als Wissensgesellschaft. Mit dem Aufkommen des Internets und seinen Möglichkeiten der nahezu unbegrenzten Speicherung, Verbreitung und Vernetzung von Wissen hat sich dessen Bedeutung noch einmal potenziert. Gleichzeitig geraten die traditionellen Formen und Institutionen des Wissens angesichts dieser Informationsexplosion in die Krise. Was gilt heute in einer immer komplexeren Welt noch als sicheres Wissen? Wie lässt sich die Glaubwürdigkeit von Informationen überprüfen, wenn jeder ungefiltert alles im Netz publizieren kann? Brauchen wir einen neuen Umgang mit Wissen?

Diesen Fragen geht der am Harvard Library Innovation Lab als Kodirektor tätige Philosoph, Netzdenker und Managementberater David Weinberger in seinem neuesten Buch "Too Big to Know" nach. Sein Anspruch ist kein geringerer, als "das Wissen neu zu denken”. Die Aufmerksamkeit gilt dabei dem Medium des Wissens, denn, so seine Grundthese: Das Wissen verändert sich durch das Trägermedium. In Zeiten des Papiers wurde Wissen in abgeschlossenen Monographien generiert, eine Kaste etablierter Experten tauschte sich in Fachzeitschriften aus. Stabilität und Legitimität kanonisierten Wissens beruhten auf den Beschränkungen des Mediums Papier. Der Platz zwischen zwei Buchdeckeln und im Bibliotheksregal war begrenzt, vieles wurde schon im Vorhinein ausgesiebt und gar nicht erst publiziert.

Das Internet dagegen verändert die Produktion, Zirkulation und Bewahrung von Wissen massiv. Die Ära der Wissensverknappung ist einer schrankenlosen Informationsfülle gewichen. Das macht neue Filter erforderlich, die alten Strategien der Informationsreduzierung greifen angesichts des Ozeans vernetzten Wissens nicht mehr.

Für Weinberger, seit dem "Cluetrain Manifesto" von 1999 einer der wichtigsten Internetgurus, hat dieser Paradigmenwechsel weitgehend positive Konsequenzen. Sein Leitgedanke: "In einer vernetzten Welt lebt das Wissen nicht in Büchern und nicht in den Köpfen der Menschen, sondern im Netzwerk selbst.” Die intelligenten Verknüpfungen der Daten und Informationen zu einem dichten Wissensgewebe machen das Wissen wertvoller und eröffnen völlig neue Möglichkeiten.

Mit vielen Beispielen untermauert Weinberger seine These. Er begrüßt die Partizipation von Laien und Amateuren an der Wissensproduktion ebenso wie die Unabgeschlossenheit der wild im Netz wuchernden Informationen. Und er spricht sich vehement für die Publikation wissenschaftlicher Forschung nach dem Modell des Open Access aus, statt der traditionellen teuren Fachzeitschriften, die den Wissenszugang beschränken.

Doch Weinberger verhehlt auch nicht die Gefahren, die die Erosion der hergebrachten Qualitätsfilter und Begrenzungen der Wissensproduktion mit sich bringt. Zu jeder Tatsache finden sich im Netz widersprechende Gegentatsachen, und wenn man nicht aufpasst, selektiert man nur noch die Informationen, die zum eigenen Weltbild passen. So kann das Netz zur gefährlichen Echokammer der eigenen Meinungen werden, zum Spiegelsaal, der anderes Wissen ausblendet.

Besprochen von Philipp Albers

David Weinberger: Too Big to Know. Das Wissen neu denken, denn Fakten sind keine Fakten mehr, die Experten sitzen überall und die schlaueste Person im Raum ist der Raum
Aus dem amerikanischen Englisch von Jürgen Neubauer
Verlag Hans Huber, Bern 2013
Hardcover, 256 Seiten, 24,95 Euro
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