Outtakes (2)

Politik & Fisch

Traditionelles spanisches Fischgericht: Was hat der Fisch mit Politik zu tun?
Traditionelles spanisches Fischgericht: Was hat der Fisch mit Politik zu tun? © Imago / Westend61
Von Lutz Hübner · 14.04.2015
Der heutige Originalton ist entstanden aus Notizen, Stichwörtern und Skizzen. Dramatiker, Schauspieler und Regisseur Lutz Hübner hat Gedanken formuliert, die wohl nie Eingang in irgendein Stück finden werden. Heute geht es um Essen und Globalisierung.
Es fing wie immer ganz harmlos an. Julia und ich sitzen beim Spanier, Freitagabend, es ist brechend voll:
Ich hatte eine Dorade bestellt, Julia einen Kaninchenbraten. Die erste Karaffe Riocha ist fast leer, wir knabbern Oliven und Julia meint:
Das ist interessant mit dem Fisch.
Mit dieser Formulierung geht es bei ihr immer los... dass etwas "interessant" sei. Man muss dazu sagen, dass Julia zu Verschwörungstheorien neigt, sie war jahrelang nicht davon abzubringen, dass die Twin Towers vom CIA in die Luft gesprengt wurden. Warum, habe ich vergessen, aber sie konnte das in epischer Breite begründen.
Mit dem Fisch ist es so, dass die europäischen Fangflotten, besonders die spanischen, auf sämtlichen Weltmeeren alles weggefischt haben und nur deshalb gibt es wieder Piraten. Das ist auch der der Grund, warum in Westafrika Schlepper ein florierender Beruf ist. Da gibt es keine Fische mehr, weil wir die aufgegessen haben. Die haben Boote und nichts zu tun, weil das Meer praktisch leer ist, was bleibt diesen Leuten also anderes übrig, als ihre Boote aufzurüsten und Schiffe zu kapern.
Die hätten doch auch Schlepper werden können?
Aber wer will sich denn von Somalia nach Jemen schleusen lassen, da kann man doch gleich zuhause bleiben. Die können nur Piraten werden und weil so ein Jungpirat Waffen und Logistik braucht, muss er sich mit Al Qaida zusammen tun, damit sich das auch lohnt. Deshalb ist es total scheinheilig, sich über die somalischen Piraten aufzuregen, die haben wir produziert.
Mit "wir" meint Julia mich. Ich hatte mich bisher noch nie über Piraten aufgeregt, ich hatte noch nicht mal das Gefühl, Piraten zu produzieren.
Aber ja doch, in dem Moment, in dem du beim Spanier eine Dorade isst, bist du Teil des Systems.
Da waren wir wieder an dem Punkt, auf den es bei Julia immer unweigerlich hinausläuft. Ich trage Mitschuld am Elend der Welt, weil ich nicht mitdenke. Julia war fein raus, weil es sowieso zu viele Kaninchen gibt und kein Förster zum Straßenräuber wird, weil ihm die Kaninchen ausgehen. Also gut, ich produziere Piraten. Wenn ich jetzt mit tausend anderen Menschen keinen Fisch mehr beim Spanier esse, schippern die nicht mehr nach Somalia und die Fischer legen ihre Kalaschnikows weg und fahren wieder fischen. Das kann ich mir aber nicht so ganz vorstellen, denn wenn man sich erst mal daran gewöhnt hat, mit einem Schnellboot über das Meer zu brettern und Schiffe zu entern, will man doch nicht wieder früh morgens raus um Netze zu flicken. Man entwickelt doch Ansprüche, oder? Außerdem muss man Spanien auch unterstützen, bei denen läuft es ja in letzter Zeit auch nicht so richtig rund.
Ja, im Prinzip richtig, aber nicht mit dem Verzehr von Fisch, da schadest du ihnen nur, denn Al Quaida macht sicher auch vor Spaniern nicht Halt.
Also indem ich Dorade essen unterstütze ich Al Qaida.
Ja, kann man so sagen. Es geht doch darum, auch im Kleinen politisch zu handeln.
Julia sorgt dafür, dass die Kaninchenplage reduziert wird und ich ruiniere Somalia. Aber dann war es falsch, zum Spanier zu gehen, man hätte zum Griechen können, um die zu unterstützen.
Aber da unterstützt man nur die Exilgriechen.
Aber vielleicht schicken die was nach Hause? Zum Tibeter, das ist nie verkehrt, wenn man das Essen verträgt. Aber da wird es uferlos. Wenn alles politisch ist, ist nichts politisch. Ich kann mein tägliches Handeln nicht ständig in globalen Zusammenhängen verorten, ich bin schon froh, wenn ich meinen Alltag geregelt kriege, ohne darüber nachzudenken, bei welcher Schurkerei ich gerade wieder den nützlichen Idioten gebe. Früher war ich politisch. Dann war ich bewusst unpolitisch. Dagegen sein ist ja auch eine Art von Dabei sein. Jetzt informiere ich mich einfach nur und versuche diskret, nicht allzu viel Schaden anzurichten und mein latent schlechtes Gewissen bei Raumtemperatur schmerzfrei zu halten.
Ah, da kommt der Fisch.

"Originalton" heißt ein täglicher Bestandteil unserer Sendung "Lesart". Darin bitten wir Schriftsteller jeweils für eine Woche um einen kurzen Text, in dem sie kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen.

Lutz Hübner
wurde 1964 in Heilbronn geboren und wuchs in Weinsberg auf. Hübner studierte Germanistik, Philosophie und Soziologie an der Universität Münster und absolvierte eine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Saarbrücken.

Für besondere Verdienste um das Kinder- und Jugendtheater erhält der Dramatiker den ASSITEJ-Preis 2011 der Internationalen Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche (ASSITEJ) Deutschland.

Der INTHEGA-Sonderpreis des Vorstands wurde 2014 an Hübner verliehen. Die Interessengemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen e.V. (INTHEGA) verleiht ihre Preise in Karlsruhe.

© dpa / pa / Galuschka
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