Ostmitteleuropäische Literatur in der Schweiz

Werben beim Workshop

Teilnehmer des Literaturkritiker-Workshops aus Ost- und Mitteleuropa und der Schweiz in Zürich sitzen um einen Tisch.
Teilnehmer des Literaturkritiker-Workshops aus Ostmitteleuropa und der Schweiz in Zürich. © Isabelle Vonlanthen
Von Arkadiusz Luba · 10.02.2015
In der Schweiz steigt das Interesse an Mittelosteuropa, zugleich stößt die Zuwanderung aus diesen Ländern teils auf Kritik. Ein Workshop in Zürich bringt Literaturexperten aus dem Osten mit Schweizer Kritikern zusammen. Er soll dem Publikum den Zugang zur ostmitteleuropäischen Kultur erleichtern.
"Wenig ist mir plausibel geworden, dass sie 'ne Ordnung gefunden hätte, um nicht chronologisch erzählte Geschichten zu erzählen. Das kann man ja machen, aber irgendeine Logik muss es doch sein! Jetzt ist Krieg, und dann kommt plötzlich, jetzt ist der Krieg vorbei. Und dann merkt man ja, aah, sie will nur eigentlich sagen, was aus der Person geworden ist nach dem Krieg."
Beschwert sich ein Workshopteilnehmer. Die Kritiker tun sich vor allem mit diesen Texten immer noch schwer, zu denen politische, soziale und historische Kontexte gehören, meint Katharina Raabe, Lektorin für osteuropäische Literaturen im Suhrkamp Verlag:
"Wir leben immer noch im Nachklapp des Eisernen Vorhangs. Und die mittelosteuropäischen Autoren werden immer noch mit so einer gewissen Furcht betrachtet; womit kommen die uns da jetzt wieder an, mit schweren Stoffen, ja..."
Dieses Jahr wurden Bücher besprochen, die auf zarte bis schockierende Art persönliche und politische Geschichte verweben. Polina Scherebzowas "Polinas Tagebuch" erzählt auf erschütternde Weise vom Tschetschenienkrieg, Tatjana Gromačas poetische Prosa "Eines Tages" – von dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien.
Gemeinsam diskutieren
In Mircea Cărtărescus Roman "Flügel" wird die Ceauşescu-Zeit in ihrer ganzen grausamen Absurdität präsent, während Szilárd Borbély in seinem berührenden Roman "Die Mittellosen" von einer ärmlichen Kindheit in einem ostungarischen Dorf in den 50er-Jahren erzählt. Das Auswahlkriterium für all die Titel seien die literarische Qualität und die Dringlichkeit des Inhalts, unterstreicht Isabelle Vonlanthen vom Literaturhaus Zürich:
"Das ist tatsächlich so, dass in den letzten Jahren Bücher gekommen sind, Bücher mit großer erzählerischer Kraft, mit großer Phantasie geschrieben; Bücher, die für den hiesigen Leser sehr interessant sind. Es hat sicher auch mit der Lust zu tun, dass man halt fremde Welten entdeckt und auch etwas aus Realitäten liest, die man halt nur durch das Buch kennen lernen kann, aus Ländern die uns sonst eher fremd bleiben."
Seit der EU-Osterweiterung vom Jahr 2004 steigt in der Schweiz das Interesse an Mittelosteuropa, während die wachsende Zuwanderung aus diesen Ländern teils kritisiert wird. Mit dem Kritikerworkshop soll das Schweizer Publikum für Literatur aus diesen Ländern sensibilisiert werden, um im besten Falle einen vertieften Zugang zu diesen Themen zu finden. Besonders an diesem Workshop ist, dass Schweizer Kritiker mit mittelosteuropäischen Kollegen gemeinsam über die Bücher diskutieren können. Bettina Spoerri, Autorin und Leiterin des Aargauer Literaturhauses:
"Die Leute, die einem Fragen beantworten, auch zur Übersetzung, zum Titel, zu den Figuren, zur Vorgeschichte, zur Geschichte rund um den Text. Dazu kommt also, dass es auch ein Gebiet im Umbruch ständig ist. Ukraine, Russland, Polen entwickeln sich rasant in verschiedene Richtungen, und das ein bisschen anhand der Literatur verfolgen zu können, finde ich extrem spannend."
Teilweise öffentlich
Um die Handlung besser zu verstehen, sind all die Hintergründe wichtig. Ohne sie tun sich die westeuropäischen Leser oft schwer mit der Lektüre. Für Marina Koreneva, Übersetzerin und Kulturvermittlerin aus Sankt Petersburg, ist auch die Begegnung mit der Schweizer Literatur interessant. Zugleich findet sie es schade, dass Schweizer Bücher in Russland kaum rezipiert werden:
"Obwohl viele Autoren übersetzt sind - es war noch nie eine richtige Liebe daraus geworden. Im inneren Literaturkreis ist man, ich weiß nicht, bei Keller geblieben; das Letzte was man noch irgendwie kennt und das man noch liest; eben bis Keller und danach – Stille."
Auch das wollen das Literaturhaus Zürich und die Stiftung "Pro Helvetia" ändern. Angelika Salvisberg, Leiterin der Abteilung Literatur und Gesellschaft bei "Pro Helvetia":
"Es entspricht dem Kern unserer Aufgabe, diesen Austausch unter den Kulturschaffenden zu ermöglichen, Leute zusammen zu bringen, die sich über die Kultur was zu sagen haben."
Ob auch die "nichtprofessionelle" Leserschaft von solchen Projekten profitieren kann? Gewiss! Ein Teil des Workshops ist öffentlich.
Ein Mann: "Es interessiert mich, was darüber die Kritik sagt. Es ist sehr bereichernd gewesen."
Eine Frau: "Ich fand's interessant und hab Lust da rein zu lesen."
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