Ostermärsche

Pseudo-Pazifismus?

Demonstranten der Friedensbewegung stehen am 06.04.2015 in Hamburg auf dem traditionellen Ostermarsch unter einer Fahne mit der Aufschrift PACE
Demonstranten der Friedensbewegung beim Ostermarsch in Hamburg © picture alliance / dpa / Markus Scholz
Elias Perabo im Gespräch mit Ute Welty · 26.03.2016
Die Friedensbewegung ruft zu ihren jährlichen Ostermärschen. Forderungen nach dem Stop von Auslandseinsätzen der Bundeswehr tragen aber kaum zum Frieden in Syrien bei, sagt Elias Perabo von der Organisation "Adopt a Revolution". Er vermisst einen "verantwortungsvollen Pazifismus".
Elias Perabo, Sprecher der Organisation "Adopt a Revolution" wirft der deutschen Friedensbewegung mangelnde Bemühungen für einen Frieden in Syrien vor und einen enthumanisierten Blick auf den Krieg in Syrien.
"Man bekommt das Gefühl, dass bei Teilen der Friedensbewegung faktisch die Vorstellung ist, dass dort Frieden wäre, wenn Deutschland sich nicht beteiligen würde oder wenn der Westen nicht interveniert", sagte Perabo im Deutschlandradio Kultur über die deutsche Ostermarschbewegung, die bundesweit an diesem Wochenende wieder in zahlreichen Städten zu Friedensmärschen mobilisiert.

Nicht-Einmischung beendet nicht den Syrien-Krieg

Die von der Friedensbewegung geforderte Nicht-Einmischungspolitik habe Deutschland in den letzten Jahren bereits praktiziert, der Konflikt in Syrien selber sei dabei aber immer schlimmer geworden. Die politischen Einschätzungen und Forderungen der Friedensbewegung ignorierten damit die Lebensrealität der Menschen und fördere nicht Frieden vor Ort, weil zentralen Fragen überhaupt nicht gestellt würden, so der Sprecher der Initiative Adopt a Revolution, die seit Anfang 2012 zivilgesellschaftliche Gruppen in Syrien unterstützen, die einen dritten Weg jenseits von Diktatur und bewaffneten Auseinandersetzungen verfolgen.

"Ein Teil der Friedensbewegung ist im Kalten Krieg hängengeblieben"

Die Friedensbewegung nutze auch nicht die Möglichkeit, direkt Flüchtlingen zuzuhören. Hunderttausende syrischer Flüchtlinge in Deutschland, "die sich nichts sehnlicher wünschen als Frieden", würden überhaupt nicht erreicht, sagte Perabo weiter. Ein Teil der Friedensbewegung sei "im Kalten Krieg hängengeblieben" und weigere sich faktisch, sich mit der Komplexität heutiger Kriege zu beschäftigen. Dies habe mit verantwortlichem Pazifismus nichts mehr zu tun, "was eigentlich eine Enthumanisierung der Friedenspolitik ist," sagte Perabo. Er vermisse bei der Friedensbewegung den Anspruch, eine aktive deutsche Friedensaußenpolitik mitzugestalten.

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: 60 Proteste bundesweit mit in etwa 10.000 Teilnehmern insgesamt. Das klingt jetzt erst mal gar nicht so wenig, was die Veranstalter der Ostermärsche für dieses Wochenende erwarten. Rechnet man das allerdings um, dann sind das gerade mal 166,6 Menschen pro Ostermarsch. Das war beim ersten Ostermarsch in Deutschland 1960 noch anders, immerhin gingen da tausend Leute auf die Straße, ganz zu schweigen von den Hunderttausenden 1968 und 1983. Vielleicht verpennt die Ostermarschbewegung gerade eine Gelegenheit, denn Krieg gibt es weiß Gott genug auf der Welt. Darüber spreche ich jetzt mit Elias Perabo, Sprecher von Adopt a Revolution, die Initiative unterstützt syrische Aktivisten. Guten Morgen!
Elias Perabo: Guten Morgen!
Welty: Adopt a Revolution hat sich von den Ostermärschen distanziert, eben weil der Syrien-Krieg nicht ausreichend beachtet wird. Woran machen Sie Ihre Kritik fest?

"Ein Großteil der Friedensbewegung hat sich faktisch darauf reduziert, sich gegen westliche Interventionen zu engagieren"

Perabo: Ich glaube, erst mal muss man sagen, es gibt, wie Sie das ja auch schon selbst dargestellt haben, genug Gründe momentan, für Frieden zu demonstrieren. Das sind nicht nur die Anschläge, das sind natürlich auch die Kriege, die momentan stattfinden, sei es in der Türkei, aber natürlich vor allem in Syrien. Und unser Problem ist gar nicht so sehr, dass es nicht den Anlass gibt, sondern im Gegenteil, unser Problem besteht darin, dass ein Großteil der hiesigen sogenannten Friedensbewegung sich faktisch darauf reduziert hat, gegen westliche Interventionen sich zu engagieren. Und das kann man verstehen aus den Erfahrungen, die man in den Kriegen im Irak und Afghanistan irgendwie gesammelt hat – und dennoch sind darin ja ganz wichtige Sachen nicht adressiert. Man beschäftigt sich sozusagen nicht mit der Lage im Land, man beschäftigt sich auch nicht damit, wie man irgendwie Frieden schaffen könnte. Und man bekommt doch irgendwie das Gefühl immer stärker, dass zumindest bei Teilen der Friedensbewegung hier faktisch die Vorstellung ist, dass irgendwie schon Frieden dort wäre, wenn sich Deutschland nicht beteiligen würde oder wenn der Westen nicht interveniert. Und ich glaube, das ist etwas, was mit verantwortlichem Pazifismus überhaupt nichts mehr zu tun hat, was eigentlich eine Enthumanisierung der Friedenspolitik ist, weil sie sich nicht um die Menschen dreht und die Menschen auch nicht erreicht und auch nicht sozusagen Frieden vor Ort fördert, weil es die zentralen Fragen sich erst überhaupt nicht stellt.
Welty: Kann es für die Zurückhaltung nicht auch gute Gründe geben? Auch Ihre Initiative hat ja Schwierigkeiten mit dem Finanzamt, weil Sie sich zu politisch äußern und deswegen Gefahr laufen, den steuergünstigen Status als Verein zu verlieren?

Komplexität heutiger Kriege

Perabo: Das könnte ein Momentum sein, aber ich glaube, das ist es nicht. Ich glaube, es ist in der Tat, es handelt sich um eine politische Einstellung, und es handelt sich um eine ganz lange, hintergründige, glaube ich, noch Ost-West-Blockdenken. Also wir sind – ein Teil zumindest dieser Friedensbewegung ist stärker noch im Kalten Krieg hängen geblieben und hat die Komplexität dieser Kriege überhaupt nicht sozusagen richtig aufgenommen und weigert sich faktisch irgendwie, sich damit zu beschäftigen. Und es gibt ja momentan sehr deutlich die Möglichkeit für uns, etwas zu machen, durch die vielen neuen Mitbürger etwa, die aus Syrien gekommen sind, die einen Einblick in diese Länder geben könnten, denen man zuhören könnte und sich gemeinsam überlegen könnte, mit ihnen zusammen, wie könnte denn Frieden aussehen, was sind denn ihre Vorstellungen. Und ich glaube, ein großes Problem liegt darin, dass man diesen Menschen noch nicht einmal zuhört. Und ich glaube, das bringt uns ja auch in die paradoxe Situation, dass im Jahre 2016 an Ostern wir eine große Friedensdemonstration bräuchten, wir Hunderttausende von Syrern in Deutschland haben, die sich nichts sehnlicher wünschen als Frieden, dass diese Hunderttausende von Menschen aber überhaupt nicht erreicht werden von der hiesigen Friedensbewegung, weil sie sich gerade nicht mit dem Frieden in Syrien beschäftigen.
Welty: Aber jetzt mal im Ernst: Hängt das Wohl und Wehe der syrischen Opposition tatsächlich davon ab, wie viele Menschen in Deutschland an Ostern auf die Straße gehen?

"Was will eine Friedensbewegung? "

Perabo: Nein. Das natürlich nicht. Aber ich glaube, es hängt für eine deutsche Antwort darauf ab, für eine Frage von wie bestimmt sich selbst sozusagen eine Friedensbewegung, was will eine Friedensbewegung, glaube ich, muss es doch darum gehen, sich eine aktive deutsche Außenpolitik, eine aktive deutsche friedenspolitische Außenpolitik mitzugestalten. Man muss für sich selbst den Anspruch haben, ja, wir wollen in der Politik mitmischen und nicht nur uns darauf reduzieren, auf eine Nichteinmischung. Weil das ist sicherlich kein Teil einer aktiven deutschen Friedenspolitik, sondern das ist nur das, was Deutschland auch faktisch die letzten vier Jahre in Bezug auf Syrien gemacht haben, sich außen vor zu stellen, dort drauf zu gucken und irgendwie zu hoffen, an diesem Konflikt vorbeizukommen. Und der Konflikt selber in Syrien ist in dieser Zeit immer schlimmer geworden.
Welty: Friedenspolitik findet vor allem statt derzeit in Genf, bei den Friedensverhandlungen für Syrien. Sie waren da, Sie haben die Verhandlungen und die Delegationen beobachten können. Was war Ihr Eindruck vom Fortschritt dieser Verhandlungen? Oder ist es noch zu früh, überhaupt von Fortschritt zu reden?

Genfer Syrien-Friedensgespräche drohen Verzögerungen

Perabo: Es ist faktisch noch zu früh. Die Verhandlungen sind an diesem Donnerstag erst mal geendet, die erste Runde. Es ist sehr langsam passiert, es ist faktisch nur das wiederholt worden, was wir bereits in den zwei vorherigen Runden in Genf vor zwei Jahren und vor drei Jahren sozusagen schon einmal hatten, das heißt, der UN-Sondergesandte hat verschiedene Fragen gestellt. Und, auch das ist nicht unerwartet gewesen, es gibt eine massive Verzögerung dieses Prozesses insbesondere vom syrischen Regime, die ja angekündigt haben, erst mal Parlamentswahlen zu machen am 13. April. Nun wollen sie den Prozess bis dahin aussetzen. Das probiert die UN wieder einzukassieren, aber es ist momentan noch nichts passiert. Ich glaube, aller Augen sind jetzt gerichtet auf die zweite Runde, und trotzdem, und ich glaube, das ist gar nicht das Wesentliche. Das Überraschende ist nicht eben in Genf vor Ort passiert, sondern ich glaube, das Überraschende selber ist im Land passiert, weil parallel zu den Verhandlungen, was wir gesehen haben, ist, dass im Land selber wieder Demonstrationen stattfinden, wieder die Menschen auf die Straße gehen, sozusagen eine neue Form der politischen Artikulation stattfindet, was es so lange nicht gegeben hat. Und ich glaube, wenn wir was Positives aus Genf sehen, dann sind es die Zeichen in Syrien selber, und nicht im Genf-Prozess als solchem.
Welty: Das heißt, Ihr Bild von der Lage in Syrien, das hat sich ein bisschen verdichtet und auch ein bisschen hoffnungsvoller gestaltet?

Waffenruhe ermöglicht wieder ziviles Leben in Syrien

Perabo: Man muss ehrlich sagen, wir haben momentan etwa 16 Partner in Syrien selbst, und bei allen Problemen, die es natürlich noch gibt – wir sind weit davon entfernt, dass dieser Krieg beendet ist –, was in den letzten vier Wochen durch diese Waffenruhe, diese bröckelnde Waffenruhe passiert ist, das ist in der Tat ein Hoffnungsschimmer, den wir so in den letzten fünf Jahren nicht hatten. Ich will hier einfach mal ein Beispiel geben, um das vielleicht etwas plastischer zu machen. Unser Partner aus Erbin, einem Vorort von Damaskus, erzählt uns davon – dort unterstützen wir eine Schule, die sich nur im Untergrund bewegen kann, die nur im Untergrund unterrichtet. Dort gehen die Kinder wieder in den Pausenhof, dort kann man wieder an die Luft gehen, weil der Beschuss dieses Viertels, der über Jahre angedauert hat, nicht mehr stattfindet. Andere Aktivisten erzählen uns davon, dass sie nicht mehr vor den Flugzeugen wegrennen, die über sie fliegen, was immer gemacht worden ist. Nun sind die Flugzeuge in der Luft, uns sie müssen nicht mehr Angst haben, dass die Bomben geschmissen werden. Das heißt, alle –
Welty: Das sind kleine Schritte, die Sie beschreiben, aber kleine Schritte in der Hoffnung auf Frieden. Dafür danke ich sehr, Elias Parebo von Adopt a Revolution, an diesem Karsamstag auch im Hinblick auf die Ostermärsche. Danke Ihnen, ein gutes Wochenende!
Perabo: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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