Osterhaus: Medien sollten sich nicht zum Multiplikator des DFB machen

Stefan Osterhaus im Gespräch mit Marietta Schwarz · 20.06.2012
Ehemalige Nationalspieler im Fernsehstudio? Bundestrainer Jogi Löw, der angeblich selbst beim Stand von 0:0 noch cool am Spielfeldrand agiert? Die Fußballübertragungen könnten mehr Distanz und einen kritischeren Blick vertragen, findet der Sportjournalist Stefan Osterhaus.
Marietta Schwarz: Nach Wochen der Diskussion um Menschenrechte in der Ukraine erleben wir derzeit die Fußball-Europameisterschaft als perfektes Großereignis im Fernsehen, wenn auch jetzt ohne die Teams der Gastgeberländer Polen und der Ukraine. Wir lernen, dass Bilder nicht gezeigt werden, die wir gerne sehen würden – Stichwort Jogi Löw -, und wir sehen Dinge, die uns eigentlich nicht interessieren, zum Beispiel ein schwimmendes ZDF-Fernsehstudio vor der Insel Usedom. Warum sollte es auch anders sein – es geht um schöne Bilder, die in die deutschen Wohnzimmer übertragen werden, Bilder, die Freude und Spaß vermitteln. Inszenierung gab es schon immer, werden viele sagen. Aber waren sportliche Ereignisse schon immer so durchinszeniert? Mein Kollege Stefan Osterhaus beobachtet für uns die Spiele vor Ort. Die Einblendung Jogi Löws beim Fußballspiel Deutschland gegen die Niederlande, Stefan, die liegt ja bereits eine Woche zurück, aber die Wogen sind noch immer nicht geglättet. Ist die Kritik am Vorgehen der UEFA Ihrer Meinung nach angemessen?

Stefan Osterhaus: Ich halte sie absolut für angemessen, denn das, was wir sehen im Fernsehen, suggeriert ja, dass wir es mit einem Live-Ereignis zu tun haben, dass das, was da gerade gezeigt wird, auch realiter dort stattfindet. Insofern kann man meines Erachtens auch ganz gut von einer Verfälschung reden, wenn Bilder hinterher reingeschnitten werden, und ich kann auch verstehen, dass die Wogen relativ hoch waren, die da geschlagen waren, denn jemand wie Jogi Löw sieht in diesem Moment ja sehr sympathisch aus, er wirkt sehr cool, er wirkt sehr lässig und man denkt sich, was ist das für ein cooler Bundestrainer, wenn der das während eines Spiels tut, beim Stande von 0:0 meinetwegen noch, und das ist ja was ganz anderes, wenn so etwas vor dem Spiel passiert. Also da kann man das Image eines Menschen ganz gezielt beeinflussen durch solche Bilder. Insofern finde ich es absolut angebracht, dass da die Kritik auch relativ scharf ausgefallen ist.

Schwarz: Die Bildregie ist ja ein Teil der Gesamtinszenierung, an der viele mitwirken, auch die Fernsehanstalten selbst – man denke an das, ich habe es gerade schon erwähnt , schwimmende Studio des ZDF. Kommt das Fernsehen seiner journalistischen Pflicht überhaupt noch nach, die auch mal ein bisschen Distanz zum Geschehen gebietet?

Osterhaus: Wenn ich mir dieses schwimmende Studio anschaue, da kann ich sagen, das ist vielleicht nicht sehr viel journalistische Auswahl, sondern eher wie beim European Song Contest. Also es ist eher Präsentation als Journalismus, der da geboten wird. Man lädt sich einen Experten ein von außen, bei den einen ist das Oliver Kahn, bei den anderen Mehmet Scholl, man versucht, eine Show hinzubekommen. Die Distanz ist nicht wirklich sehr groß, es sind ja auch jeweils ehemals Involvierte auf diesem Betrieb. Also da könnte das Fernsehen sehr, sehr viel mehr Distanz meines Erachtens vertragen.

Schwarz: Das Statement des Spielers direkt nach dem Spiel, das gehört zu jeder Fußballübertragung, obwohl es eigentlich nicht sehr ergiebig ist. Wie erleben Sie denn als Journalist die Begegnung mit den Spielern? Gibt es die überhaupt noch?

Osterhaus: Ergiebig ist das überhaupt nicht. Ich denke, man kann eigentlich auch ganz gut darauf verzichten. Ich würde in so einer Situation auch nichts Sinnvolles rausbekommen, muss ich ganz ehrlich sagen, wenn sich die Spieler vorher die Seele aus dem Leib gerannt haben.
Diese Begegnung gibt es durchaus noch vereinzelt, nach dem Spiel unmittelbar. Es gibt die sogenannte Mix-Zone, wo dann die Journalisten stehen, Fernsehjournalisten, Radiojournalisten und Printjournalisten, das Ganze ist aufgegliedert und mitunter passiert es, dass die Spieler an dem Printjournalisten jetzt in meinem Fall zum Beispiel – ich bin ja auch für Zeitungen tätig – vorbeirauschen. Das war auch nach dem Auftaktspiel der Deutschen so. Da ist zum Beispiel jemand wie Mats Hummels mit einem süffisanten Grinsen dahergelaufen. Das hatte damit zu tun, dass es vorher einen recht kritischen "Spiegel"-Artikel gegeben hat, der ihn ein wenig hochgenommen hat. Er wurde da als Schlaumeier dargestellt. Einen Tag später gab es eine Pressekonferenz mit Mats Hummels und er wurde darauf angesprochen, und er hat dann gesagt, dass das durchaus damit zu tun gehabt hätte, dass es eine entsprechende Berichterstattung gab, und er merkte an, dass es doch eigentlich ein gutes Auskommen mit den Journalisten geben müsse mit einer guten Zusammenarbeit. Also er meint da vermutlich eher eine affirmative Berichterstattung, das ist da eher erwünscht.

Schwarz: Das heißt, man hat unter Umständen als Journalist auch schon mal das Nachsehen, wenn man vorher kritisch berichtet hat?

Osterhaus: Ja, das hat in dem Fall allerdings weniger mit dem DFB zu tun, der da etwas souveräner mit umgeht als die Spieler. Mit der Mannschaftsleitung ist es dann wiederum noch mal was anderes. Ich habe vor einigen Jahren mal einen kritischen Artikel zu Oliver Bierhoff geschrieben, seitdem bekomme ich kein Interview mehr mit ihm. Und auch den Fragen des "Spiegel" wollte sich Bierhoff nicht stellen, als es da um die Inszenierung im deutschen Lager vor den Toren von Danzig ging, das überfrachtet ist mit Sponsoren. Da wollte er sich nicht zur Vermarktung äußern. Also da entziehen sich die Verantwortlichen auch ganz gern mal. Aber es ist durchaus so, dass die Spieler das ganz gern mal ahnden, wenn die Berichterstattung missliebig ist.

Schwarz: Wenn diese Berichterstattung so stark gesteuert wird, zum Beispiel auch vom DFB, könnte man die Journalisten ja fast schon als "embedded" bezeichnen, oder finden Sie das übertrieben?

Osterhaus: Ja, ich tue mich so ein bisschen schwer mit dem Begriff "embedded". Diejenigen, die während der gesamten Zeit des Tourniers bei der Mannschaft sind und grundsätzlich darauf angewiesen sind, was der DFB ihnen zur Verfügung stellt, nämlich Pressekonferenzen, nämlich Interviews in sogenannten Pools – da kommen wir vielleicht gleich auch noch drauf -, die sind schon ein wenig "embedded". Sie haben ja keine Möglichkeit, sich dem zu entziehen. Gleichwohl hat ein Journalist ja immer noch zwei Dinge: Er hat seine Expertise und er hat seinen Standpunkt und auch seine Meinung, und das sollte er auch offensiv vertreten. Solange er das tut, finde ich, läuft er nicht Gefahr, besonders "embedded" zu sein. Tut man das nicht, dann kann man sich sehr schnell halt eben auch zum Multiplikator des DFB machen.

Schwarz: Gehen denn andere Verbände als der DFB anders mit den Berichterstattern um?

Osterhaus: Das ist ganz unterschiedlich. Zum Beispiel bei den Engländern bekommt man überhaupt nichts, man bekommt auch nur sehr wenige Pressekonferenzen. Bei den Spaniern ist dann zum Beispiel ein sogenannter "round table", ein Runder Tisch mit mehreren Spielern angekündigt, an dem Journalisten teilnehmen können - der findet dann halt eben doch nicht statt. Dann bei den Griechen: Da kommt mein Kollege gerade aus dem Mannschaftshotel und hat zufällig Theofanis Gekas getroffen, also das ist ganz unterschiedlich. Und auch die Iren, die haben sich hier mitten in der Stadt, in Zoppot vor den Toren von Danzig aufgehalten. Das ist unterschiedlich. Ich sage mal, je größer die Nachfrage nach Interviews ist, desto restriktiver wird es eigentlich gehandhabt. Der DFB versucht, dem natürlich irgendwie gerecht zu werden, aber es gibt da keine Patentlösung.

Schwarz: Stefan Osterhaus und die Inszenierung der Fußball-Europameisterschaft. Danke nach Danzig!

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