Ostdeutsche Museen

Wie die eigenen Nazis oft ausgeblendet wurden

Gedenkstätte für die Opfer des antifaschistischen Widerstands auf dem Nordfriedhof Jena-
Gedenkstätte für die Opfer des antifaschistischen Widerstands auf dem Nordfriedhof Jena: Auch in Museen liegt die Betonung oft auf kommunistischen Opfern. © imago/Enters
Von Vanja Budde · 19.09.2016
Vom Holocaust war in DDR-Museen bis in die 1980er-Jahre kaum die Rede: Nationalsozialismus wurde aus dem sozialistischen Blickwinkel gezeigt. Auch nach der Wende blieb eine Aufarbeitung lange aus.
Der Antifaschismus war die Staatsdoktrin der DDR. Alte Nazis gab es hier nicht – die tummelten sich alle im Westen, so die offizielle Lesart. Aufarbeitungsdebatten fanden darum in den ostdeutschen Museen nicht statt, sagt Kurator und Museumsberater Christian Hirte:
"Es gab 1948 schon das Angebot an die Bevölkerung, zu sagen: 'Wir haben das jetzt erledigt, das Thema, und jetzt bauen wir den Sozialismus.' Das war so was wie Konsens. Es ist jedenfalls etwas, was die Ausstellungen sämtlich durchzieht."
Christian Hirte hat für das Forschungsprojekt des Museumsverbandes Ausstellungen aus den 70er- und 80er-Jahren analysiert. Er stieg in die Katakomben von Regionalmuseen in Potsdam, Frankfurt/Oder, Cottbus und Brandenburg an der Havel hinab.
Die Kuratoren hätten sich zu Honeckers Zeiten an die offizielle Lesart halten müssen, sagt Hirte. Die Ausstellungsmacher hätten es aber trotzdem geschafft, immer wieder auch eigene Ansätze zu verwirklichen. Oft viel früher, als die Kollegen im Westen:
"Das Nationalkomitee Freies Deutschland, also der Widerstand in den sowjetischen Gefangenenlagern, auch der spanische Bürgerkrieg, die Zwangsarbeit wird sehr früh zum Thema gemacht, schon Mitte der 70er-Jahre, oder auch die Euthanasie beispielsweise."

Politischen Zusammenhänge nicht analysiert

Doch die Nazis in der eigenen Stadt wurden meistens ausgeblendet, die politischen Zusammenhänge zwischen 1933 und 1945 nicht analysiert.
"Dazu gehört auch, dass zum Beispiel NS-Objekte oft nicht bezeichnet, nicht angesprochen werden, sondern gewissermaßen nur so als symbolische Stellvertreter dahingehängt werden, aber als wollte man eine Distanz wahren, als wollte man da nicht rangehen."
Nach der Wiedervereinigung wurden die Zeitgeschichts-Ausstellungen der Museen in Brandenburg dann nahezu komplett abgehängt. Warum dieser Bildersturm? Jürgen Danyel vom Zentrum für zeitgeschichtliche Forschung in Potsdam sucht Antworten:
"Einerseits eine enorme Verunsicherung der Akteure, die die Ausstellung gemacht haben, eine Verunsicherung der Besucher und natürlich auch einen politischen Druck, der all das, was als Hort von DDR-Ostalgie und Ähnlichem vermutet wurde, dann sehr schnell ins Hintertreffen geraten ist."

Die Museen kämpften ums Überleben

Und in den Jahren nach der Wende hätten die Stadt- und Regionalmuseen aus deren Sicht Wichtigeres zu tun gehabt, als beispielsweise die NS-Geschichte in Cottbus aufzuarbeiten, erklärt Susanne Köstering vom Museumsverband Brandenburg: Sie mussten ums Überleben kämpfen, saniert und auf einen modernen technischen Stand gebracht werden.
"Das war eine einzige Katastrophe, was hier vorgefunden wurde, also erst mal überhaupt die Arbeitsfähigkeit herzustellen. Auf der anderen Seite aber wurden gleichzeitig sehr, sehr viele Mitarbeiter entlassen, also auch sehr viele Museumsleiterinnen und -leiter. Neue, richtig substanziell neue Ausstellungen, Dauerausstellungen zum Nationalsozialismus sind damals noch nicht in großem Maße erarbeitet worden."
Das lag auch daran, dass die regionalen Kuratoren das Thema andernorts kompetent abgedeckt sahen, meint Köstering:
"Die Diskussion war wirklich dominiert durch die Notwendigkeit, in den großen KZ-Gedenkstätten Sachsenhausen, Ravensbrück wirklich ganz, ganz wichtige Gedenkorte und Erinnerungsorte, da neue Ausstellungen zu machen, wurden Historikerkommissionen eingesetzt, die gesamte Aufmerksamkeit in Bezug auf diesen Zeitabschnitt war auf diese großen Einrichtungen gerichtet."

DDR-Aufarbeitung zunächst interessanter

Zudem beschäftigte das große Thema der DDR-Aufarbeitung das Publikum mehr, als die Vorgänger-Diktatur. Doch bis heute gebe es in Brandenburg und auch in den anderen ostdeutschen Bundesländern zu wenige wirklich in die Tiefe gehende Ausstellungen zum Nationalsozialismus, sagt Köstering:
"Vielleicht wirkt noch die Haltung, die antifaschistische Haltung der DDR nicht direkt nach, sondern man hat eine Verunsicherung erlebt nach 1990 und hat bis jetzt keine neue Haltung dazu gefunden. Das Zweite ist natürlich auch ganz konkret Mangel an konkreter, ortshistorische Forschung zu diesem Thema an vielen Orten."
Dazu soll das Projekt des Museumsverbandes einen Anstoß geben, indem es die Debatte über Ausstellungsansätze bereichert, hofft Jürgen Danyel vom Zentrum für Zeithistorische Forschung:
"Wie man NS ausstellt, mit welchen Bildern man diese Entwicklung bebildert, wie man Texte dazu schreibt, das ist eine zweite Diskussionsebene, die ganz spannend und wichtig ist auch für künftige Forschungen."
Die in Brandenburg hoffentlich nicht mehr lange auf sich warten lassen: Staatsverdrossenheit und Fremdenhass zeigen, wie wichtig eine gründliche Aufarbeitung der NS-Vergangenheit auch in Ostdeutschland ist.
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