Oskar Panizza: "Das Liebeskonzil"

Dichter von Gottes Gnaden

Die Stahlskulptur der nicht mehr existierenden Bethlehemskirche auf dem Bethlehemskirchplatz in Berlin, aufgenommen 2012
Die Stahlskulptur der nicht mehr existierenden Bethlehemskirche auf dem Bethlehemskirchplatz in Berlin © picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert
Von Ralf Bei der Kellen · 07.02.2016
Nach wie vor gibt es im deutschen Strafgesetzbuch den Blasphemie-Paragraphen 166, nur wird er kaum mehr angewandt. Das war vor 130 Jahren anders: Damals wurde der Dichter Oskar Panizza wegen seines Theaterstücks "Das Liebeskonzil" für ein Jahr ins Gefängnis gesteckt.
(Ausschnitt Hörbuch:) "Es wird also gut sein, wenn das Publikum, der Reichstag, die Minister, die Fürsten, der Kaiser, der Staatsanwalt unsere Dichtungen als das hinnehmen, was sie sind: eine von Gott gewollte Sache. Zürich, den 4. September 1897. Hochachtungsvoll, Oskar Panizza, Dichter von Gottes Gnaden."
Gerade hatte der Schriftsteller und Satiriker Oskar Panizza eine einjährige Haftstrafe verbüßt. Der Grund: Autorenschaft eines blasphemischen Theaterstücks. Und schon hat er die Stirn, im Vorwort zur dritten Auflage das Gottesgnadentum für sich in Anspruch zu nehmen. Das zeigt, wie entschlossen Panizza in seiner religionskritischen Haltung war.
"2. Szene: Gottvater, ein Greis im höchsten Lebensalter mit silberweißen Haaren, hellblauen, wässerigen Glotzaugen, tränengefüllten Augensäcken, gebeugten Hauptes, kommt hustend und brustrasselnd schwerfällig tapernd hereingeschlappt."
Nie sei die Gottheit und alles Heilige so frevelhaft in den Kot gezogen worden, hieß es
Tatsächlich war das Theaterstück "Das Liebeskonzil" des 1853 geborenen Panizza für die damalige Zeit starker Tobak. Das "Neue Münchener Tageblatt" schrieb am 1. Mai 1895, am Tag nach dem Blasphemie-Urteil gegen den Autor:
"Es darf behauptet werden, dass niemals unter Christen gleich frevelhaft und grässlich die Gottheit und alles Heilige in den Kot gezogen wurde. Gottlob haben wir noch ein Gesetz in Deutschland, nach welchem die Gotteslästerung gestraft werden kann."
Zu Beginn des "Liebeskonzils" überbringt ein geflügelter Bote dem siechen und senilen Gott Kunde aus Neapel, dass sich dort die Sünde breitgemacht hätte – Frauen liefen halbnackt durch die Straßen, übergroße Abbilder von primären Geschlechtsteilen würden angebetet. Gott möchte die Menschheit am liebsten ausrotten – oder ihnen zumindest die Sexualität austreiben. Maria aber gibt zu bedenken:
"Die Begattung müssen wir ihnen schließlich lassen, ein Stückchen Wollust muss man ihnen gönnen, sonst hängen sie sich am nächsten Baum auf. Ein Stückchen Wollust, bei der Nacht, im Frühjahr, zu gewissen Zeiten. Wenn der Mond scheint."
Die Syphilis als Teufelswerk
Aber – da ist man sich im Himmel einig – eine Strafe muss her für die ungezügelten Menschen. Panizza lässt sein Stück im Jahr 1495 spielen, dem Jahr, in dem er erste Fall von Syphilis dokumentiert wurde. Eben die wird in seinem Stück vom Teufel ersonnen - im Auftrag von Gott, Maria und Jesus.
Teufel: "Ja, dann, äh, müsste man.. den Stachel, das Gift, äh, in die Beziehung selbst legen. Man müsste die Sekretion beim Geschlechtsakt vergiften."
Aber, so mahnen sie den Teufel einhellig, die Menschen müssten erlösungsfähig bleiben. Das sei schließlich die Grundlage ihres Geschäftsmodells. Widerwillig gibt der Teufel nach – und zeugt mit Salome, der moralisch verdorbensten Frau, die er in der Hölle finden kann, eine Tochter. Diese schleust er dann in den Vatikan ein, wo sie sogleich vom korrupten und hedonistischen Papst Alexander dem 6. alias Rodrigo Borgia beansprucht wird. Nach erfüllter Mission holt der Teufel seine Tochter wieder ab:
"Und jetzt zu den Kardinälen. Dann zu den Erzbischöfen, dann zu den Gesandten, erst zu den Gesandten der italienischen Staaten, dann zu dem fremdherrlichen Gesandten. Dann zu den Neffen des Papstes, dann zu den Bischöfen. Dann durch alle Klöster durch! Und dann zu dem übrigen Menschenpack. Tummle dich – und halte die Rangordnung ein..."
Tiefe Abneigung gegen den Katholizismus
Die tiefe Abneigung Oskar Panizzas gegen den Katholizismus hatte vermutlich biographische Gründe: Die Familie der Mutter war hugenottischer Abstammung und protestantisch, die des Vaters stammte aus Italien und war katholisch. Der Vater verlangt, dass die Kinder katholisch getauft und erzogen werden. Er stirbt, als Oskar zwei Jahre alt ist. Die Mutter gibt nun an, ihr Mann habe ihr auf dem Sterbebett erlaubt, die Kinder protestantisch zu erziehen. Das glauben ihr allerdings weder Kirche noch Behörden. Man bedroht sie, ihr Haus wird durchsucht. Das alles erlebt der junge Oskar – kein Wunder, dass ihm später Beichte, Ablass und vor allem der Kult um die Jungfrau Maria zutiefst zuwider waren.
"Dieses Weib, welches ihr wie eine Boudoirkönigin geschminkt, geziert und behängt habt, stieg zuletzt in Eurer wahnsinnigen, von sexuellen Beimischungen nicht freien Verehrung bis über Gottes Thron hinaus, wurde Mittelpunkt des Weltalls, Mittelpunkt der christlichen Religion."
Als Panizza aus der Haft entlassen wird, geht er ins Exil in die Schweiz, dann nach Paris. In Publikationen attackiert er den deutschen Kaiser, ruft zur Revolution auf und verstickt sich in absurde Verschwörungstheorien. Nach zwei fehlgeschlagenen Selbsteinweisungsversuchen wird er 1905 in eine "Anstalt für Gemütskranke" bei Bayreuth eingeliefert. 1921 stirbt Panizza, der selbst im Erstberuf Assistenzarzt in einem Irrenhaus war, ohne die Heilanstalten jemals wieder verlassen zu haben. Eines seiner letzten Gedichte trägt den Titel:
"Der geistvollste und revolutionärste Prophet seines Landes"
"Ein Poet, der umsonst gelebt hat."
So ganz umsonst war es aber nicht, denn "Das Liebeskonzil" hatte Nachwirkungen. Tucholsky bespricht es mehrfach, und sagt über seinen Verfasser, er sei "der frechste und kühnste, der geistvollste und revolutionärste Prophet seines Landes gewesen".
"Panizzas Buch hat seine Berechtigung in der zum unerbittlichen Dogma erhobenen Legende. Wer mir zumutet, dass ich die Zeugungsgeschichte Christi glauben soll, wer von mir verlangt, dass ich mir den Himmel in Übereinstimmung mit den präraphaelitischen Malern ausgestalten soll (...), wer mir das zumutet, der zwingt mich zu Panizza hinüber."
Urteilt Theodor Fontane. Und Kurt Tucholsky unterstellte seinem Vorbild Panizza vor allem humanistische Beweggründe:
"Er hat Gott gelästert, aber aus einer tiefen Liebe zu jenem anderen Ding heraus, das die Besten aller Zeiten im Herzen trugen, und das keinen Namen hat."

Das Hörbuch "Das Liebeskonzil. Eine Gotteslästerung" nach dem gleichnamigen Stück von Oskar Panizza ist erschienen im mandelbaum-Verlag in Wien. Gelesen wird der Text von Wolfram Berger, Toni Bunger begleitet ihn dabei an der Geige. Die CD hat eine Laufzeit von 63 Minuten und ist eingebunden in ein 32-seitiges Buch mit Texten zum Stück und seinem Autor. Kosten: ca. 25 Euro.

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