#OscarsSoWhite

Der Rassismus in der US-Filmbranche

Eine Oscar-Statue steht vor dem Kodak Theatre in Hollywood.
Die Oscar-Nominierungen brachten der Academy den Vorwurf des Rassismus ein. © dpa / picture alliance / Paul Buck
Von Wolfgang Stuflesser · 23.02.2016
Zum zweiten Mal in Folge sind nur weiße Schauspielerinnen und Schauspieler für den Oscar nominiert. Die Academy ist aber eher Symptom als Ursache des Problems. Wie der unterschwellige Rassismus der Filmbranche zu spüren ist - und was man dagegen tun kann.
"And the oscar goes to …"
Wenn ich ehrlich bin: So ganz glaube ich den Tränen nicht, die viele Hollywood-Stars vergießen, wenn sie einen Oscar bekommen. Schließlich werden sie ja gerade in dem Moment für ihre besonderen schauspielerischen Leistungen ausgezeichnet - warum sollte also nicht auch diese Emotion nur eine perfekte Performance sein? Zumindest eine Ausnahme gibt es für mich aber: Wenn ich an Halle Berry denke, die 2002 die Trophäe als beste Hauptdarstellerin bekam. Als erste Schwarze. Im sage und schreibe 74. Jahr seit Beginn der Oscars. Sie kam aus dem Schluchzen gar nicht mehr heraus.
"So much bigger than me."
Dieser Moment sei so viel größer als sie, sagte sie und widmete den Preis berühmten, ebenfalls schwarzen Kolleginnen - und, wie sie sagte, jeder unbekannten, nicht-weißen Kollegin, die nun eine Chance auf die Trophäe habe, weil diese Tür geöffnet worden sei.
"Every nameless, faceless woman of color that now has a chance because tonight this door has been opened."
Böse Zungen könnten sagen: Vielleicht ist die Tür inzwischen wieder zugefallen.
Der 14. Januar 2016, ich sitze im noblen Samuel Goldwyn-Theater der Oscar Academy in Beverly Hills. Die Academy gibt die Nominierten im diesjährigen Oscar-Rennen bekannt – morgens um halb sechs. Das Ganze muss so früh sein, weil es live im amerikanischen Frühstücksfernsehen übertragen wird - und halb sechs Los-Angeles-Zeit ist halb neun an der Ostküste, also Frühstücks-Primetime.
Im Saal wirkt alles noch wie immer: Ein paar kleine Überraschungen - zum Beispiel die Vielzahl der Nominierungen für "Mad Max", und dazu hört man wie üblich im Auditorium vereinzelt den Applaus der verschiedenen PR-Abteilungen der großen Studios, aber keine Buh-Rufe oder ähnliches. Die gibt’s dafür hinterher, online: Der Hashtag #oscarssowhite dominiert Twitter an diesem Tag. Unter den 20 nominierten Schauspielerinnen und Schauspielern - jeweils zehn Frauen und Männer, und von ihnen jeweils fünf für beste Haupt und Nebenrolle - ist keine einzige und kein einziger nicht weiß, also keine Schwarze, kein Latino, niemand mit Wurzeln in Asien. Und das das zweite Jahr in Folge.
Nun muss man wissen, dass sich in den USA rund 63 Prozent der Menschen als "weiß" einordnen, rund 13 Prozent als schwarz, rund 17 Prozent als Latinos oder "Hispanics” - sechs Prozent mit asiatischer Herkunft. - Es sind also Minderheiten, aber durchaus keine kleinen, die bei den Oscar-würdigen darstellerischen Leistungen wieder mal außen vor bleiben. Allein die Zahl der Latinos und Hispanics in den USA beläuft sich auf 50 Millionen Menschen - größer als die Einwohnerzahl Spaniens.
"Begging for Acknowledgement, even asking, diminishes dignity."
Um Anerkennung zu betteln oder auch nur darum zu bitten, das beschädige die eigene Würde, sagt die schwarze Schauspielerin Jada Pinkett Smith ein paar Tage später in einem emotionalen Video auf ihrer Facebook-Seite. Ihr Mann Will Smith hatte im Football-Drama "Erschütternde Wahrheit" eine großartige Leistung abgeliefert - und wurde nicht nominiert. Pinkett Smith kommt zu dem Schluss, dass sie der Verleihung dieses Jahr fernbleiben wird.
"I will not be at the Academy awards."
Berechtigter Aufschrei? Oder falsch verstandener Wunsch nach Gerechtigkeit? Schließlich sollen die Preise ja nach Leistung vergeben werden, und nicht proportional nach Hautfarbe. War es vielleicht so, wie es die - weiße und Oscar-nominierte - Britin Charlotte Rampling in einem Interview mit dem französischen Sender Europe 1 formuliert hat - dass es in diesem Jahr vielleicht einfach kein schwarzer Schauspieler verdient hatte, in die Endauswahl zu kommen?

Steven Spielberg gibt sich überrascht

Keine Frage - alle Nominierten haben außergewöhnliche Leistungen gezeigt. Leonardo DiCaprio in "The Revenant – Der Rückkehrer", Brie Larson in "Raum" - aber ich habe schon bedingt durch meinen Job viele der in Frage kommenden Filme gesehen - und da hätte es durchaus auch nicht-weiße Kandidaten gegeben. Das ist natürlich subjektiv, und wenn Sie mir jetzt nicht glauben, dann vielleicht diesem Mann hier:
"I was surprised at some of the individuals who were not nominated - I was surprised at Idris."
Das ist Steven Spielberg im Interview mit dem Hollywood Reporter. Er könnte für "Bridge of Spies" seinen vierten Oscar gewinnen - und sagt, er war überrascht, dass manche Schauspieler nicht nominiert wurden - Idris Elba etwa, der in "Beasts of no Nation" den Anführer eine Gruppe Kindersoldaten spielt – Spielberg sagt, das sei für ihn eine der besten Leistungen des Jahres gewesen.
"I think that was one of the performances of this year in the supporting actor and the actor category - was Idris."
Weder Idris Elba ist nominiert noch Abraham Attah - er spielt den Jungen, dessen Geschichte der Film erzählt. Und beim Boxer-Drama "Creed" ist zwar Nebendarsteller Sylvester Stallone nominiert, nicht aber Hauptdarsteller Michael B. Jordan und Regisseur und Drehbuchautor Ryan Coogler, der überhaupt erst die Idee hatte, die Geschichte der Boxerlegende Rocky weiterzuerzählen. Und dann gab es natürlich auch noch "Straight Outta Compton”, den Film über die schwarze Hip-Hop-Gruppe N.W.A. und die gesellschaftlichen Diskussionen, die ihre Texte ausgelöst haben.
Die vier - weißen - Drehbuchautoren sind nominiert, doch keiner der fünf Hauptdarsteller - und auch nicht der schwarze Regisseur F. Gary Gray. Steven Spielberg zeigt sich vom Film begeistert - und überrascht, dass die Academy diese Leistungen übergangen hat.
"I saw it on the first weekend - rocked our world - surprised to see that omission."
Die Diskussion ging quer durch Hollywood: Whoopi Goldberg sagte, die Academy könne nicht rassistisch sein, sonst hätte sie selbst ja keinen Oscar gewinnen können. George Clooney dagegen beklagte im Interview mit dem Magazin Variety, vor zehn Jahren sei die Situation für nicht-weiße Schauspieler schon mal besser gewesen.
An dieser Stelle lohnt es sich einen Blick auf die Academy selbst zu werfen, deren Mitglieder per Wahl über Nominierte und Gewinner der Academy Awards, der Oscars entscheiden. Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences, das ist eine Art Branchenverband der Filmschaffenden. Mitglied - und zwar auf Lebenszeit - wird, wer einen Oscar bekommt - oder aufgrund besonderer Leistungen eingeladen wird. Zur Zeit umfasst die Academy etwa 6200 Filmschaffende – von Schauspielern, Kameraleute bis zu Regisseuren. Die Leitung veröffentlich aber keine Mitgliederlisten, offiziell um Einflussnahme auf die Oscars zu verhindern. Die LA Times hat 2012 etwa 5000 Mitglieder aufgespürt – und von denen waren 94 Prozent waren weiß, 77 Prozent männlich, und nur 14 Prozent jünger als 50. Platt gesagt: Die Academy ist ein Verein alter, weißer Männer. Präsidentin Cheryl Boone Isaacs aber ist eine Frau - und schwarz. Und sie verfolgt seit ihrem Amtsantritt 2013 das Ziel, dass die Zusammensetzung der Academy stärker die amerikanische Gesellschaft spiegeln soll.
"Wir hören die Diskussion nicht erst jetzt, sondern schon eine Weile, und wir sind auch schon eine ganze Weile dran", sagte Boone-Isaacs im Interview mit dem Hollywood Reporter. So hat sie voriges Jahr 322 neue Mitglieder benannt - Rekord in Anzahl und ethnischer Vielfalt, denn darunter waren auch F. Gary Gray, der Regisseur von "Straight Outta Compton" und David Oyelowo, der in "Selma" Martin Luther King spielte - beide wurden nicht nominiert, beide sind nun trotzdem in der Academy. Doch offenbar genügte das alles noch nicht.
"We felt that we need to step forward now."
Nach der Diskussion um die Oscar-Nominierungen zog Boone Isaacs mit ihrem Leitungsteam weitere Konsequenzen: Am 22. Januar, nicht mal eine Woche nach Bekanntgabe der Nominierungen, verkündete die Academy, sie wolle bis 2020 den Anteil der Minoritäten und auch der weiblichen Mitglieder verdoppeln. Wer nur kurz im Filmgeschäft aktiv war, soll nach einer Weile das Wahlrecht bei den Oscars verlieren - das soll der Überalterung entgegenwirken. Die Academy steht also vor einer großen Runderneuerung – und ihre Vorstandsvorsitzende Dawn Hudson fügt hinzu, sie hoffe, der Rest der Filmindustrie ergreife die gleichen Maßnahmen.
Und das ist natürlich der springende Punkt: Gerade mit ihrer starken Verwurzelung in der Filmindustrie selbst bildet die Academy im Grunde nur die Verhältnisse in den Studios ab. Und wie es dort aussieht, hat Spike Lee in seiner Dankesrede beim Ehrenpreis der Academy voriges Jahr anschaulich erklärt:
"Wenn ich in den Filmstudios unterwegs bin, sehe ich keinen Schwarzen - außer dem Sicherheitsmann, der meinen Namen in einer Liste abhakt. Wenn man schwarz ist, wird man leichter Präsident der Vereinigten Staaten als Leiter eines Studios."

Filmplakate unterscheiden sich je nach Bezirk

Das ist natürlich als Provokation gedacht - aber es deckt sich mit dem, was auch viele andere in der Branche erzählen. Zum Beispiel Franklin Leonard - er hat früher für Brad Pitts Produktionsfirma Plan B gearbeitet und ist Initiator der "Black List”, einer Liste der besten noch nicht verfilmten Drehbücher. Einer, der immer auf der Suche nach neuen, guten Ideen ist - und in den Köpfen Hollywoods doch oft genug uralte Gedanken findet.
"Es ist frustrierend - und die Academy ist Teil des Problems, aber gleichzeitig auch nur ein Symptom der weißen, konservativen Filmindustrie: Auf jeder Hierarchie-Ebene hast Du es etwas schwerer, voranzukommen, wenn Du nicht weiß bist. Und wenn man diese Ebenen zusammennimmt, dann ist der Aufstieg einfach sehr, sehr schwer, bis aus einem schwarzen Anfänger, der nach L.A. zieht, um in der Filmindustrie zu arbeiten, ein Mitglied der Academy wird."
Das heißt nicht, dass Schwarze gar keine Rolle spielen - im konkreten wie im übertragenen Sinn. Aber es gibt schwarze Filme als Nische, so wie Horror- oder Kriegsfilme: Mir fällt zum Beispiel regelmäßig auf, dass ich, wenn ich in andere Stadtteile von L.A. fahre, die stärker schwarz geprägt sind, Plakate für ganz andere Filme sehe. Während im eher weißen Santa Monica dann zum Beispiel der Peanuts-Film groß beworben wird - und mit groß meine ich wirklich Plakatwände von gut fünf mal drei Metern am Rand der Stadtautobahn - ist es in South Central eher der neue Film des schwarzen Komikers Tyler Perry. Franklin Leonard bestätigt diesen Eindruck:
"Ich will das nicht zu extrem formulieren, aber es gibt eine Art Kultur-Apartheid: Die Studios machen 'schwarze Filme' die in einer bestimmten Zielgruppe gut laufen - und weil sie diese schwarzen Filme machen, denken sie, dann kann der Rest der Filme ganz weiß sein."
Leonard macht sich allerdings keine Illusionen: In diesem Punkt sei die Filmindustrie nicht besser und nicht schlechter als viele andere Branchen in den USA. Mit dem Unterschied, dass das, was die Hollywood-Filme zeigen eben auch wieder Einfluss auf die Gedankenwelt der Zuschauer hat.
Und was sagen die Schauspieler selbst? Ich gehe zu einem Treffen der "African Artists Association", das ist eine Art Netzwerk von Filmschaffenden mit afrikanischen Wurzeln.
Die Idee ist, miteinander in Kontakt zu kommen und so von neuen Projekten zu erfahren. Manche hier wollen gerade erst Fuß fassen in Hollywood, andere haben schon eine beeindruckende Karriere gemacht. Wie Hakeem Kae-Kazim. Geboren in Nigeria, wuchs er in Großbritannien auf und wurde unter anderem an der Royal Shakespeare Company ausgebildet. Er hat in "Hotel Ruanda", "Fluch der Karibik" und "X-Men" gespielt.
Er werde gern mal als afrikanischer Diktator besetzt, erzählt er mir. Und ja, Rassismus in Hollywood, den gebe es natürlich. Nicht mehr so offen wie noch vor 15 Jahren, eher unterschwellig: er werde zum Beispiel einfach nicht eingeladen, wenn es um die Rolle eines Zahnarztes mit Kindern gehe. Ihm blieben dann oft nur die Nebenrollen - diese Figuren seien zwar auch mal schwarz, hätten aber ein anderes Problem:
"Du bist der beste Freund des Helden, ohne viel Tiefgang oder eine Hintergrundgeschichte. Ich habe bei Filmen und Serien mitgespielt, da hatten sie an meine Figur einfach keine weiteren Gedanken verschwendet - der Typ war einfach da, weil sie ihn reinschreiben mussten - aber sie hatten nichts in seine Menschlichkeit investiert."

Quote für schwarze Oscarnominierte?

Was also muss sich ändern? Braucht es eine Quote für schwarze Nominierte bei den Oscars? Bloß nicht, sagen mir alle, vor allem alle Schwarzen, mit denen ich über das Thema spreche. Nötig ist ein Umdenken in den Köpfen - und ein tiefgreifender Wandel der Filmindustrie. Mit Managern in den Studios, die selbst schwarz sind oder für die ethnische Vielfalt jedenfalls Standard ist und nicht etwas, dass sie gerade mal so viel berücksichtigen, wie sie müssen.
Franklin Leonard schlägt eine Art "Rooney-Regel" wie im American Football vor - dort müssen für freie Trainerstellen grundsätzlich auch Angehörige von Minderheiten zum Bewerbungsgespräch geladen werden. Prompt stieg der Anteil von schwarzen Trainern von sechs auf 22 Prozent. Impulse für die große Leinwand könnten auch vom deutlich kleineren Fernsehbildschirm kommen.
Ausgerechnet der bei den Oscars verschmähte Idris Elba begrüßt hier die Zuschauer bei den diesjährigen SAG-Awards, den Preisen von Hollywoods Schauspielerverband, mit einem Wortspiel übers "diverse", also ethnisch vielfältige, Fernsehen. Nicht nur er selbst wurde für seine Darstellung des Ermittlers John Luther ausgezeichnet, sondern auch Viola Davis, die in "How to get away with murder" die zentrale Rolle einer Juraprofessorin spielt, deren schwarze Hautfarbe ebenso selbstverständlich ist wie die vielfältigen ethnischen Hintergründe ihrer Studierenden. Die Serie läuft bei ABC in der Prime Time und fährt Top-Quoten ein. Der Disney-Konzern, zu dem ABC gehört, hat die verantwortliche Managerin Channing Dungey dieser Tage zur ABC-Chefin gemacht – sie ist damit die erste Schwarze an der Spitze eines großen amerikanischen Fernsehsenders. Aus solchen Erfolgsgeschichten könne Hollywood viel lernen, sagt Franklin Leonard.
"Ich glaube, Hollywoods größte Hoffnung auf mehr ethnische Vielfalt entsteht, wenn die Leute erkennen, dass damit eine Menge Geld verdient werden kann: Dass der neue Star-Wars-Film ein Kassenknaller ist - mit dem schwarzen John Boyega und dem Latino Oscar Isaac. Auch die 'Fast and Furious'-Filme oder 'Straight Outta Compton' betonen die ethnische Vielfalt - und haben damit unglaublich viel Geld eingespielt."
Wenn sich diese Erkenntnis in Hollywood durchsetzt und zu mehr wirtschaftlichem Erfolg führte, könnte das wiederum auch auf andere Wirtschaftszweige ausstrahlen. Nicht umsonst hat sich auch US-Präsident Barack Obama in die Oscar-Debatte eingeschaltet – mit der Einschätzung, sie sei Teil der größeren Frage, ob alle eine faire Chance bekommen.
"I think the Oscar debate … is getting a fair shot."
Vielleicht sind es am Ende weniger ethische als wirtschaftliche Gründe, die Hollywood zum Umdenken bringen – und dann tauchen sicher auch bei den Oscars ein paar ganz neue Namen auf.
"And the Oscar goes to …"
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