Oscars und Politik

"Hollywood hat die Künstler mobilisiert"

Die Gewinner in den Kategorien beste Haupt- und Nebendarsteller: Mahershala Ali, Emma Stone, Viola Davis und Casey Affleck (v.l.n.r.)
Die Gewinner in den Kategorien beste Haupt- und Nebendarsteller: Mahershala Ali, Emma Stone, Viola Davis und Casey Affleck (v.l.n.r.) © AFP / FREDERIC J. BROWN
Kirsten Niehuus im Gespräch mit Nana Brink · 27.02.2017
Die Oscar-Nacht sei "extrem politisch" verlaufen, beschreibt Kirsten Niehuus vom Medienboard Berlin Brandenburg die Stimmung in Hollywood. Die Academy habe die Künstler zu politischem Engagement aufgerufen - Kunst und Film komme eine wichtige Bedeutung zu.
Zunächst wurde "La La Land" als Oscar-Gewinner ausgerufen, dann aber "Moonlight": Die beispiellose Panne bei der Oscar-Verleihung verwirrte alle Zuschauer, so beschreibt Kirsten Niehuus, Geschäftsführerin des Medienboard Berlin Brandenburg, das Chaos und die Atmosphäre der Preisverleihung:
"Wir haben es zunächst für eine Inszenierung gehalten. Wir haben gedacht: Vielleicht haben beide Filme den Preis gewonnen. Und hier drehen sich die Gespräche hauptsächlich darum ,wie so etwas passieren konnte. Erklären konnte das bis jetzt noch keiner."
Die diesjährige Oscar-Nacht sei "extrem politisch" verlaufen, sagt Niehuus im Deutschlandradio Kultur. Im Vergleich zu früheren Zeiten habe es einen deutlichen Stimmungswandel gegeben:
"Man merkt schon, dass dieses Land hier sehr bewegt ist, überlegt und verschiedene Aktionen unternimmt, die man gegen diese konservative Vielfalt des momentanen Präsidenten vorgehen kann. Und Hollywood hat wirklich mobilisiert, hat Demonstrationen abgehalten. Und das ist hier in Hollywood eher ungewöhnlich."

Kunst und Film sollten sich politisch positionieren

Die Academy habe ihre Mitglieder auch dazu aufgerufen, durchaus politisch zu sein, so Niehuus. Das zeige auch, dass Kunst und Film sich – wenn es notwendig sei – politisch positionieren müssten:
"Schließlich ist es ein Massenmedium, was einen großen Einfluss auf sehr viele Menschen hat. Das kriegt man hier ständig von vielen Menschen mit, dass alle sehr besorgt sind, wie es mit Amerika weiter gehen wird."

Auszeichnung für "The Salesman" ist nachvollziehbar

In dieses politische Klima passe auch die Auszeichnung für "The Salesman" des iranischen Regisseurs Asghar Farhadi als besten nicht-englischsprachigen Film, so die Einschätzung von Niehuus. Das sei eine nachvollziehbare und begrüßenswerte politische Position der Academy.
Der Film "Toni Erdmann", der vom Medienboard Berlin Brandenburg gefördert wurde, ging leer aus. Man freue sich trotzdem über den internationalen Erfolg des Films, meint Niehuus:
"'Toni' hat einen langen Weg gemacht und ist auch bis nach Hollywood gekommen. Aber 'Toni' ist nicht Oscar geworden."

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Na, das war ja mal eine ziemliche Panne, einmalig wahrscheinlich oder fast einmalig bei den Oscar-Verleihungen: Der falsche Film wurde zum besten Film prämiert, es war nicht "La La Land", wie wir uns das eigentlich alle gedacht haben, sondern "Moonlight". Also eine große Panne bei den Oscar-Verleihungen. Beobachtet hat das auch Kirsten Niehuus. Sie ist Geschäftsführerin der Filmförderung bei Medienboard Berlin-Brandenburg, die auch "Toni Erdmann" gefördert hat und sozusagen auch Dauergast bei den Oscar-Verleihungen. Ich grüße Sie!
Kirsten Niehuus: Hallo, guten Abend! Also hier ist ja noch dunkel, und die Nacht fällt über Hollywood, also insofern …
Brink: Sagen wir einen schönen guten Abend, genau! Ich habe mir fast gedacht irgendwie, Sie hätten sich auch gewünscht, dass die Umschläge vertauscht werden, und zwar nicht "The Salesman" hätte den Preis für den besten Dokumentar- oder nichtenglischsprachigen Film bekommen, sondern "Toni Erdmann", aber es ist leider anders ausgegangen.

Die Reaktion des "Toni-Erdmann"-Teams

Niehuus: Ja, also bis jetzt haben wir leider noch keine Meldung bekommen, dass der Preis eigentlich doch an "Toni Erdmann" gegangen ist, obwohl wir eigentlich denken, dass das richtiger gewesen wäre, aber Spaß beiseite. Also "Toni" hat einen langen Weg gemacht, ist auch bis nach Hollywood gekommen, aber "Toni" ist nicht Oscar geworden.
Brink: Wie geht es Ihnen jetzt damit?
Niehuus: Ach, eigentlich haben wir uns trotzdem alle extrem gefreut, dass der Film einen so erfolgreichen Weg hinter sich hat und auf der Welt so viele Besucher gemacht hat, und wir haben vom Team, wir haben aus dem Saal eine SMS geschickt, in der wir auch noch mal gesagt haben, dass wir Asghar Farhadi ganz herzlich gratulieren, und man darf natürlich auch nicht vergessen, dass dieses Jahr in Hollywood ein besonders politisches Jahr auch ist, und vielleicht hat auch aus diesem Grund – ich will dem Film die künstlerische Qualität nicht absprechen –, aber sicherlich hat auch die politische Positionierung von Asghar Farhadi dazu beigetragen, dass der Preis für den besten nichtenglischsprachigen Film dahin gegangen ist, und das ist ja zumindest auch eine sehr nachvollziehbare und begrüßenswerte politische Position.

Rätselraten über die Gründe der Panne

Brink: Da kommen wir gleich noch drauf zu sprechen, aber erst mal noch die Panne: Uns hat ja allen ein bisschen der Atem gestockt, wir haben auch gerade gesprochen mit unserer Korrespondentin und hatten noch "La La Land", ich hatte das auch in der Anmoderation. Und plötzlich sagt sie, die Verwirrung ist groß, es ist doch nicht "La La Land", es ist "Moonlight", und die ganze Bühne war irgendwie geschockt. Wie kam das bei Ihnen an? Waren Sie auch so verwirrt?
Niehuus: Wir waren auch total verwirrt und haben das zunächst mal für eine Inszenierung gehalten und haben gedacht, vielleicht haben beide Filme den Preis gewonnen, und auch hier drehen sich die Gespräche hauptsächlich darum, wie sowas wohl passieren konnte. Erklären konnte das bis jetzt noch keiner, obwohl schon die ersten Gäste, die direkt bei der Preisverleihung dabei waren, hier auf der deutschen Party angekommen sind, aber eine letztliche Erklärung dafür gibt es nicht.
Brink: Sie haben es angedeutet eben gerade: Diese Verleihung war ganz anders als die früheren. Wie anders – politischer?
Niehuus: Also sie war deutlich politischer, und es hat ja auch schon im Vorfeld eine Menge Demonstrationen gegeben, und – warten Sie mal, ich muss jetzt gerade mal die Tür aufmachen, weil der Co-Produzent von "Toni Erdmann" sich ausgeschlossen hat –, aber …

"Das Land ist sehr bewegt"

Brink: Das wollen wir nicht! Lassen Sie ihn raus!
Niehuus: Ist aber jetzt gut, er ist jetzt wieder drin! Also es war extrem politisch, und das ist auch gut so, denn man merkt schon, dass das Land hier sehr bewegt ist und überlegt und verschiedene Aktionen unternimmt, wie man gegen diese konservative, vielfaltsfeindliche Haltung des momentanen Präsidenten vorgehen kann. Hollywood hat wirklich mobilisiert, hat Demonstrationen abgehalten, und das auch hier in Hollywood, das ist eher ungewöhnlich.
Brink: Haben Sie das auch richtig gespürt? Also interessant war ja, dass Jimmy Kimmel, der die Oscar-Verleihung moderiert hat, ganz am Anfang gesagt hat, uns gucken auch 225 Millionen Menschen zu, alle, die jetzt Amerika hassen, und es ging ein Rauschen durch den Saal, und es war ein großes Gelächter. Also haben Sie das auch richtig gespürt?
Niehuus: Also man kriegt es hier wirklich überall mit, und auch die Academy hat hier ihre Mitglieder aufgerufen, durchaus politisch zu sein, und das zeigt, glaube ich, auch, dass Kunst, und damit eben auch Film, in Zeiten, in denen es erforderlich ist, sich politisch positionieren muss. Schließlich ist es ein Massenmedium, was einen großen Einfluss auf sehr, sehr viele Menschen hat, und ich glaube, das kriegt man hier auch ständig von ganz vielen Menschen mit, dass alle sehr besorgt sind, wie es mit Amerika weitergehen wird.

Gute Zeiten für kritische Filme?

Brink: Nun könnte man dann ja salopp sagen, dann sind die Zeiten eigentlich doch ganz gut für den Film und auch für Hollywood.
Niehuus: Na ja, Hollywood ist ja eigentlich nicht wirklich dafür bekannt, politisch zu sein, aber es ist an dieser Stelle extrem herausgefordert. Sehr lustig war ja auch, wie Kimmel sich positioniert hat bei Meryl Streep, und die Einschätzung von Donald Trump, dass es sich bei Meryl Streep um eine der überschätztesten Schauspielerinnen handelt, mächtig durch den Kakao gezogen hat. Vielleicht ist es ein Ansporn, auch Filme zu machen, in denen eben Vielfalt und die Gleichwertigkeit von Geschlechter und Rassen noch mal wieder zu untermauern.

Film-Produktionsstandorte in Deutschland werden profitieren

Brink: Was leiten Sie ab für die Situation in Deutschland, noch als letzte Frage, auch als Produktionsstandort für amerikanische Filme, wie jetzt etwas Potsdam-Babelsberg? Wird man Schwierigkeiten merken?
Niehuus: Das glaube ich, ehrlich gesagt, nicht. Also ich denke mal, dass es weiterhin eigentlich mit der Filmindustrie weiter geht. Es gibt ja mittlerweile auch viele neue Player: Amazon war mit "Manchester by the Sea" erstmalig als Streamingdienst oscarnominiert. Ich glaube, es wird noch ganz, ganz viel in dieser Branche passieren, und wenn die Voraussetzungen weiterhin in Deutschland gut sind, wird auch Babelsberg und auch andere Standorte in Deutschland davon profitieren können.
Brink: Herzlichen Dank, Kirsten Niehuus, Geschäftsführerin des Medienboards Berlin-Brandenburg. Danke für das Gespräch, und hoffentlich schließen Sie sich nicht ein, und noch eine schöne Party! Herzlichen Dank!
Niehuus: Dankeschön! Ihnen einen schönen Tag! Dankeschön! Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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