"Osama bin Laden hat mein Leben verändert"

Von Claas Christophersen und Norbert Zeeb · 29.04.2013
Ulrich Ladurner ist Kriegsberichterstatter, aber keiner, der bei jeder Schlacht an vorderster Front hautnah dabei sein muss. Der Redakteur der Wochenzeitung "Die Zeit" interessiert sich vor allem für die ganz normalen Menschen, die in Ländern wie Afghanistan mit dem Krieg leben müssen.
Die kleine Bar "Sünde" im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Hier entspannt sich "Zeit"-Journalist Ulrich Ladurner von seinen Reisen in die Kriegs- und Krisengebiete im Nahen und Mittleren Osten.

Am Kickertisch im Hinterraum der Kneipe kämpft Ladurner mit seinen Freunden um Tore - für ihn das notwendige Kontrastprogramm zu seiner Arbeit.

"Mir war es immer wichtig, dass ich hier … dass ich verwurzelt bleibe hier. Also sozusagen, ich hab das Leben hier, das bürgerliche Leben hier hab ich immer auch sehr konkret empfunden als etwas, was mich erdet, ja? Also meine Kinder, die sagen, jetzt musst du aber mal spielen. Ich komm in irgendsoeinem Ballon daher, dann: bumm, spielen jetzt, ja, das ist sehr konkret! Schwierig ist es im Konkreten, wenn man zurückkommt, sozusagen: klar, du musst diesen Sprung schaffen von hier nach dort. Es gibt Leute in meinem Beruf, die lange sozusagen da draußen, sag ich mal: da draußen, bleiben und die dann nicht mehr zurückfinden.

Es hat schon einen gewissen Suchtcharakter, das ist nicht zu leugnen, weil es einfach … es geht immer um alles, scheinbar.

Du musst hier keine Gasrechnung bezahlen, die Beziehungsprobleme kannst du auch vergessen, weil du hast jetzt was Wichtigeres, weil hier ist Krieg, ne."

Am 11. September 2001 verändert sich nicht nur die Welt - auch für Ulrich Ladurner persönlich ist dieser Tag ein entscheidender Wendepunkt.

"Ja, ich meine, Osama bin Laden hat mein Leben verändert (lacht). Wir hatten einen Kollegen in der 'Zeit', den Michael Lüders, den ich auch sehr schätze. Der hat diese Region betreut, Pakistan, Afghanistan. Der hatte aber ein paar Monate oder ein paar Wochen, weiß ich nicht mehr, vor dem elften September gekündigt, und es gab niemanden für diese Region. Und dann haben sie mich halt gefragt, und ich hab dann ja gesagt, unter der Voraussetzung, dass ich mich mit der Region beschäftigen kann. Also, ich wollte kein Fallschirmreporter werden, der mal dahin fliegt und abgeworfen wird und ‘ne vernünftige Geschichte schreibt und dann wieder abhaut, sondern ich wollte schon über die Jahre die Region beschreiben."

Verstehen, nicht erklären
Nach der US-Invasion kommen 2003 der Irak und schließlich Iran als Einsatzgebiete hinzu. Der Anspruch - kein "Fallschirmreporter" zu sein - bleibt stets der Gleiche. Es gehe ihm, sagt Ulrich Ladurner, um "die Sache".

"Die Sache ist die, dass man versucht, in meinem Fall den Leuten, die mich lesen oder hören, Land und Leute sozusagen näherzubringen, ohne dass ich ihnen das Gefühl gebe … also, ich hab schon meine Meinungen, ja, das wird auch schon deutlich, aber ich versuche halt, den Leuten die Komplexität nicht zu ersparen."

Der 50-Jährige will verstehen, nicht erklären. Geopolitische Groß-Analysen sucht man in seinen "Zeit"-Reportagen und Büchern vergeblich. Beinahe wie ein Schriftsteller ergründet Ladurner die geschichtlichen Hintergründe aktueller Konflikte und erzählt vor allem die Geschichten von ganz normalen Menschen aus den Ländern, in die er reist.

Damit durchbricht Ladurner alle Klischees - wie im Fall Afghanistans etwa die westliche Wahrnehmung, hier müssten einem rückständigen Land mit Hilfe einer riesigen Militärmaschinerie Demokratie und Rechtsstaat beigebracht werden.

"Die Leute in Afghanistan haben natürlich ein Gerechtigkeitsgefühl, so wie wir es auch haben. Die wissen ziemlich genau, wann sie ungerecht behandelt werden und wann nicht. Insofern sind Menschenrechte auch universal, wir müssen es ihnen nicht erklären, sie wissen genau, wann sie übervorteilt werden oder gedemütigt werden oder verletzt werden in ihren Rechten. Nur: klar, man wollte diese Dinge, Rechtsstaat, Menschenrechte, das bringt man da rein, aber die Frage ist ja, wie man’s hereinbringt. Das ist das Entscheidende: wie bringt man so was rein?"

Nach Afghanistan "reingebracht" werden Rechtsstaat und Menschenrechte momentan nur mit erheblicher militärischer Gewalt. Für einen Reporter, der durch das Land fahren und sich zwischen den Fronten bewegen muss, bedeutet das ein hohes persönliches Risiko. Mehrmals fürchtet Ulrich Ladurner bei Straßensperren um sein Leben, oder direkt in seiner Nähe geht eine Autobombe in die Luft. Doch mit den Jahren hat der gebürtige Südtiroler eine Art sechsten Sinn für Gefahren entwickelt.

"Klar, du fährst über Tausende von Kilometern dahin, du tust dir viel an manchmal, und dann bist du da, und die Geschichte spielt um die Ecke, und du weißt es. Aber du weißt auch, das um die Ecke ist vielleicht gefährlich. Das ist so wie ein guter Bergsteiger, ich komm ja aus den Bergen, wo du sagst, selbst wenn ich jetzt fünfzig Meter unterm Gipfel bin, wenn das Wetter umschlägt, gehe ich da nicht hin. Und das braucht einfach sehr viel Disziplin, ne."

Eine Disziplin, die Ladurner vielleicht auch deswegen immer wieder aufbringen kann, weil er genau weiß, was an seiner Arbeit eigentlich wichtig ist.

"Also in Kriegssituationen ist einfach diese tiefe Einsamkeit, die die Leute dort erleben, das Gefühl der Verlassenheit, dass niemand sich um sie kümmert. Und durch meine Arbeit als Journalist, habe ich festgestellt durch Erfahrung, dass viele Leute froh sind, wenn sie erzählen können, weil sie zum ersten Mal feststellen: da ist einer, der will wissen, wie ich lebe, ja. Das ist das Beste, was man haben kann."


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