Originalton

Wir sind so oder so zu spät

Eine Uhreninstallation am Nordeingang des Volksgartens in Düsseldorf, aufgenommen am 24.10.2013
Uhren in einem Park - die Zeit vergeht © picture-alliance / dpa / Jan-Philipp Strobel
Von Christoph Peters · 04.09.2014
"Originalton" heißt ein täglicher Bestandteil unserer Sendung "Lesart" - kurze Texte, um die wir Schriftsteller bitten. Diese Woche: Christoph Peters, viel auf Reisen, wohnhaft in Berlin.
Der Sender war so freundlich, mir heute eine technisch hochaufwendige, und dementsprechend kostenintensive Live-Schaltung aus einem angesagten Café in Berlin, Prenzlauer Berg, einzurichten. Draußen steht der Ü-Wagen samt Techniker. Praktikantinnen und Kabelträger schwirren herum, der Redakteur, Herr Mallinkrott, hat schon einen mittleren Nervenzusammenbruch hinter sich, nachdem ich ihm erklärt hatte, ich sei leider außerstande, aufzutreten, bevor mir nicht ein professionell, also von einem japanischen Teemeister ordnungsgemäß aufgeschlagener Matcha gebracht werde.
War natürlich ein Scherz. Ich wollte nur mal schauen, wie so ein erfahrener Radio-Mann sich unter verschärften Live-Bedingungen schlägt ...
Wir sind dann zu mir nach Hause gegangen, und ich habe mich selbst um den Tee gekümmert. Das alles wäre vor genau einer Woche gewesen am Donnerstag, dem 28. 8. 2014.
Stimmt natürlich auch nicht. Der Sender muss sparen, und Herr Mallinkrot arbeitet gerade an einem Feature über den gegenwärtigen und wahrscheinlich auch letzten Betreiber des einzigen original chinesischen Drachenkarussells in Europa, das aufgrund eines jüngst ausgehandelten bilateralen Vertrags über die Rückführung illegal exportierter Kulturgüter während der Ming-Dynastie, demnächst zurückgegeben werden muss.
Selbst Lichtgeschwindigkeit ist nicht jetzt
Es hat also wieder nicht geklappt mit dem vollständigen In-der-Gegenwart-Sein, das uns so dringend empfohlen wird: wir sind zu spät, so oder so. Erst neulich während der Fußballübertragungen aus Brasilien ist es mir wieder aufgefallen, um wie viel langsamer die Schallgeschwindigkeit verglichen mit der Lichtgeschwindigkeit ist: Der Reporter hinkte oft sekundenlang hinter dem Bild her. Aber selbst Lichtgeschwindigkeit ist ja nicht jetzt und gleich in einem, sondern vorher und nachher. Da muß man gar nicht bis zu den Sternen ausholen, die wir seit Tausenden von Jahren und teilweise noch einmal so lang am nächtlichen Himmel sehen, obwohl sie in Wirklichkeit längst erloschen sind. Sie stehen da, schicken ihr vergangenes Licht auf uns herab, und es spielt keine Rolle, ob wir uns, wie vor einer Woche, in diesem ominösem Café am Prenzlauer Berg, oder wie jetzt, in meiner Wohnung befinden, oder in Aachen... – Erinnern Sie sich an Aachen, wo ich vorgestern war? Gerade kommen genau dort im Frühstücksraum des Hotels zwei japanische Rentnerehepaare vom Buffet und setzten sich an den Tisch mir schräg gegenüber. Wenn ich mich in Physik und Mathematik auskennen würde, könnte ich Ihnen jetzt ausrechnen, wie viele Nanosekunden sie ihre Brötchen schmieren, das Ei aufschlagen, bevor ich weiß, daß ich es sehe, beziehungsweise bevor das dazugehörige Knuspergeräusch oder der Laut, mit dem die Messerklinge auf die Schale trifft, mein Trommelfell erreicht. – Tack. Schon wieder zu spät.
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