Originalton

Wie klingt eigentlich Deutsch?

Die deutsch-schweizerische Lyrikerin Nora Gomringer auf der Terrasse der Villa Concordia
Nora-Eugenie Gomringer auf einer Terrasse des barocken Wasserschlosses Concordia in Bamberg (Oberfranken). © picture-alliance / David Ebener
Von Nora Gomringer  · 21.07.2014
Kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen: "Originalton" heißt ein täglicher Bestandteil unserer Sendung "Lesart" - kurze Texte, um die wir Schriftstellerinnen und Schriftsteller bitten. In dieser Woche von Nora Gomringer.
Hier knackt es, gähnt es, jault und hängt etwas. Eine konsonantische Liaison versperrt einem den Rachen und unaufhörlich bellt es. Man wiehert und knattert, klemmt, krächzt, hustet und blökt. Man surrt, summt, schleckt und prustet-pustet. Ein ständiges Streitgespräch zweier Halskranker. So klingt Deutsch. In den Ohren französischer Partisanen in Tarantino Filmen allemal. Wenn ich aber mein Ohr ganz fest an Heines Winterreise presse, dann klingeln Schlittenglocken heraus und ein Wanderstab, der auf dem noch nicht geteerten Feldweg aufsetzt. Regelmäßig, vom Schnee gedämpft, ist das Geräusch. Das Wispern von Liebesschwüren weht aus abertausenden von Schriften, original und übersetzt und im Deutschen klingt ich liebe dich genauso schön (bedrohlich) wie in jeder anderen Sprache. Das dialektale I mog di (Bayerisch) oder das fremdsprachliche Ich ha di gern (Schwiizerdütsch) aus den Liedtexten von La Brasbanda oder des Holsturner Music Big Band Club, den Schriften Pedro Lenz' oder Beat Sterchis lassen Seufzer zu. Die gehören auch ins deutsche Sound-Vokabular.
Wir Deutschen seufzen gerne. Bei Kleist noch bis zur Ohnmacht, heute bevor wir ansetzen und Reden schwingen. Offizielles passt zu unserer Sprache. Wir wissen ja, dass man sie mit Pferden sprechen kann, während Französisch, Spanisch und Italienisch bei Gott, Männern, und den Frauen angewendet wird. Nun sind Pferde ja durchaus geduldige Zuhörer und seit Monty Roberts uns auch die non-verbalen Dialekte der Pferde gelehrt hat, muss man sich nicht mehr verstecken, wenn einer wiehert, wir wären einfach zu deutsch in Ton und Gebaren. Dass das harte Deutsch vor allem aus dem einen Munde die Massen verführen, belügen konnte, das war die weltweit unerwartete Folge abgestumpfter Akustik. Die Ohren waren noch taub vom Lärm der ersten Bomben. Eine ganze Sprache, um vieles schrecklicher als das Phänomen, das aus dem Klemperer'schen Buche wie aus dem Weltempfänger schnarrt.
Es ist der zarten Selma, der klugen Nelly, der weltumspannenden Rose zu danken, dass wir das Deutsche wieder zum Denken urbar machen konnten. Das Deutsche ist elastisch – Gottlob! Hat uns fast verziehen nach zwei Kriegen und ein paar Dudenausgaben. Die Reparation war lediglich der Verlust besonders entfremdeter Abstrakta à la Blut, Boden, Erde, Volk. Das Deutsche behalf sich, fand den Durchgang durch die eigenen Antwortlosigkeiten, die Celan ihm zusprach, lässt aber seit jeher Einflüsse zu, schwappt stets weiter, wird ein Sprachfluss mitreißender Qualität. Modern ist es dadurch, nützlich und charmant-verquer, für manchen kaum erlernbar: die Rübe und das Fräulein! Es schenkt uns irre Silben wie das Him- der Beere und den -ling, der schmettert. Die Schönheit der Summe, des Herzens, das Legato des aufgegangenen Mondes, das rollende Rrrrr des Brotes, das Abendrot, das Spitze der spitzen Steine des Nordens und die Schnauze der Berliner. Wir sind so herrlich aufgeplustert, wir deutschen Deutschsprecher. Und gackern dabei zu selten. Deutsch klingt manchmal nach allem, was es sein kann: Sprache und Aufbewahrungsort und Musensang. Das sagen auch meine Eltern und die sprechen es länger als ich.