Originalton

Vorgestern bei Goethe

Der Schriftsteller David Wagner
Der Schriftsteller David Wagner © dpa / picture alliance / Horst Galuschka
Von David Wagner · 25.06.2014
Kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen: "Originalton" heißt ein täglicher Bestandteil unserer Sendung "Lesart" - kurze Texte, um die wir Schriftstellerinnen und Schriftsteller bitten. In dieser Woche von David Wagner.
Montagabend im Hamburger Bahnhof in Berlin.
Dort, in einem Bahnhof, der schon lange kein Bahnhof mehr ist, sondern ein Museum, feiert das Goethe-Institut sein Sommerfest.
Große Kulturfunktionärsbegegnung.
Guten Abend Herr Lehmann.
Guten Abend Frau Kulturstaatsministerin.
Willkommen beim Sommerfest.
Der Präsident des Goethe-Instituts schüttelt viele Hände.
Künstler sind gekommen. Hallo Jim Avignon.
Und Schriftsteller.
Guten Abend Ursula Krechel.
Sommerfeste sind dazu da, um zuerst mit einem Glas in der Hand dumm herumzustehen und sich zu fragen, mit wem man hier bloß reden soll.
Später ergibt sich alles wie von selbst.
Es gibt ja viel zu trinken. Freundliche Servicekräfte schenken nach.
Schaumwein hebt die Stimmung und lockert die Gespräche, es kommt zu ersten Frotzeleien.
Feste sind dazu da, um Bekannte wiederzutreffen.
Und neue Bekanntschaften zu machen.
Guten Abend Frau Soundso. Angenehm Herr Wie-heißen-Sie-noch?
Sommerfeste sind dazu da, um am Wasser herumzustehen (hier ist es der Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal) und besser nicht hineinzufallen.
So ausgelassen geht es dann aber gar nicht zu, Schlag Mitternacht endet der Ausschank.
Feste sind dazu da, um sich den Bauch vollzuschlagen: Braten vom Jungapfelschwein – Ist das ein Schwein, das sich Zeit seines Schweinelebens nur von Äpfeln ernährt hat? Die Frage bleibt unbeantwortet im Raum.
Feste sind auch dazu da, um von anderen Sommerfesten zu erzählen:
Ein Sommerfesthopper war an diesem Abend schon auf dem Sommerfest der Landesvertretung Thüringen.
Dort sei die Bundeskanzlerin gewesen und habe auf die Moderatorenfrage, was ihr zu Thüringen einfalle, gesagt: Bratwurst.
Selbst wenn das nicht stimmt ist es doch eine gute Anekdote.
Denn dazu sind Feste ja eigentlich da: um sich etwas zu erzählen. Um von sich zu erzählen.
Ulla Lenze erzählt von Venedig.
Ulrich Schreiber von Odessa.
Lucy Fricke von Kyoto.
Und ein Herr von Goethe, der natürlich nicht von Goethe heißt, erzählt von Kairo.
Eine beliebte Gesprächseröffnung lautet: Wo und bei welcher Gelegenheit man sich zuletzt begegnet ist.
Bei der nächsten Begegnung wird man dann von dieser, gerade jetzt stattfindenden erzählen können.
Feste sind nicht zuletzt auch dazu da, um in anderer Leute Gespräche hineinzuplatzen.
Und, schon ein wenig betrunken, dummes, völlig unpassendes oder ungewollt geniales Zeug daher zu reden.
Zum Glück kann sich am Tag danach keiner mehr an irgendeinen Satz erinnern.
Na, ich jedenfalls nicht.

"Originalton" heißt ein täglicher Bestandteil unserer Sendung "Lesart". "Originalton", das sind kurze Texte, um die wir Schriftstellerinnen und Schriftsteller bitten: alltägliche Beobachtungen, Befremdliches, Lebensroutinen, Lektüreerfahrungen, Glossen, Reisebeobachtungen. Vor allem ist "Originalton" auch ein Radioexperiment, denn die Aufnahmen kommen nicht aus dem Studio. Wir stellen denjenigen, die mitmachen, Aufnahmegeräte zur Verfügung für ihre "Originaltöne". Und sind gespannt auf die Ergebnisse. Wir werden auf diesem Sendeplatz kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen.

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