Originalton

Vögel und Gedichte 3

Ulrike Draesner
Ulrike Draesner © dpa / picture alliance / Swen Pförtner
Von Ulrike Draesner · 02.07.2014
Kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen: "Originalton" heißt ein täglicher Bestandteil unserer Sendung "Lesart" - kurze Texte, um die wir Schriftstellerinnen und Schriftsteller bitten. In dieser Woche von Ulrike Draesner.
Nichts da Amselgedicht!
Der Leierschwanz ist dazwischengekommen. Die ersten Fotografien, auf denen ich diesen angeblich schönsten Vogel des Erdkreises sah - enttäuschend. Perlhuhnartig geduckt, im Urwald von New South Wales, Australien, kratzend im Halbschatten. Der Schwanz: zwei, nur zwei, wie eine Leier oder Lyra geschwungene Federn. Nun gut, Prachtfedern. Die der Hahn sich, auf einer Balzarena schwungvoll über den Körper nach vorn klappt. Nicht schlecht.
Am besten aber: der Leierschwanz hat keinen Laut. Er hat alle. Singt und ruft, imitiert, neckt. Sitzt ins Gebüsch geduckt am Boden und ahmt das Rauschen der Papageienfedern nach, während der Papageienschwarm über ihm fliegt.
Extrem scheu, extrem klug. So Ambrose G.H. Pratt, dessen in der Friedenauer Presse erschienenes Buch "Menura. Prächtiger Vogel Leierschwanz" mir Wort um Wort schenkt. Dandenong für das Verbreitungsgebiet. Winterei. Flüsterlied. Arenavogel.
Ich will ein Amselgedicht schreiben und bin ausgeflogen. Abwege sind oft die fruchtbarsten Wege. Was aus dem Ausflug entsteht, weiß ich nicht. Doch ich weiß, welch Prozessen sogenannte "Informationen" unterworfen sind, wenn sie in Gedichte einwandern. Aufweichung, Ent-Rationalisierung. Was bleibt übrig? Welche Bilder stellen sich nach einem Tag, einer Woche ein, bilden sich aus? Wenn ich, was ich las oder hörte, was mich verwunderte, erneut befrage.
Eine Szene, die mein Germanistikdozent Gerhard Neumann während meines Studiums erzählte, ist für mich zu einem Brenn-Bild dieses Verschiebungs-Vorganges geworden. Hauptfigur: Der Schweizer Schriftsteller Conrad Ferdinand Meyer, den man vorwiegend als Prosautor kennt, der aber auch Gedichte schrieb. Etwa jenes auf eine schwarzschattende Kastanie am Zürichsee. Er, der in einem Haus mit Seeblick wohnte. Klar, denkt man: Der Mann schaute zum Fenster hinaus, schrieb auf oder gar ab, was er sah.
Doch dann finden sich in seinem Nachlass Baedeker-Reiseführer zu Zürich mit Anstreichungen, wo Blicke auf das Ufer des Zürichsees beschrieben werden. Müssen wir uns das Schreiben also so vorstellen: Meyer steht von seinem Schreibtisch auf und schließt die Läden. Den See will er nicht sehen, er will über ihn schreiben. Und er liest – Worte dazu, schon in Worte gefasste Bilder.
Schreibt ihnen nach. Um vorzustoßen zum Subsong, dem Lied unter dem Lied: Wie die Landschaft, seine tägliche Umgebung, zu ihm spricht. Wo sie ihn berührt, so dass er mit seinen nicht aus ihr, sondern aus ihrer Wahrnehmung abgeleiteten, übersetzten Worten den Leser berühren kann.
Dandenong. Leierschwanz und Kastanie. Langsam wird der Umweg zum Weg. Am Ende schreibe ich nicht ein Gedicht zum Leierschwanz, sondern vier.
seine geisterhafte musik
durch unterholz farnkraut
mühelos strömt
das paar von hügel
zu hügel wo er
tanzt wo sie
ihm die federn
putzend jede feder einzeln
durch den schnabel zieht
Im Hinter-Hinterkopf denke ich "Amsel."
Die, als wisse sie, dass sie heute nicht dran ist, auf ihrer Singwarte sitzt und singt.