Originalton

Töten für die Kunst

Der sowjetische Regisseur Andrei Tarkowski, aufgenommen im Jahr 1983.
Der sowjetische Regisseur Andrei Tarkowski, aufgenommen im Jahr 1983. © picture alliance / dpa / AFP
13.08.2014
Der Schriftsteller Patrick Roth hat viele Jahre in Los Angeles gelebt - im Zentrum der amerikanischen Filmindustrie. Filme haben schon immer sein Schreiben beeinflusst. Für die Lesart schlüpft der Autor in die Rolle des Filmkritikers. Heute stellt er uns Tarkowskis "Andrej Rubljow" vor.
Ich las in einem englischen Wikipedia-Artikel über Andrej Rubljow, dass Tarkowski für jene Szene vom stürzenden, lanzendurchbohrten Pferd eines aus dem Schlachthof herbeiführen, an seinen Set bringen ließ. Vielleicht hat das Pferd damals gerochen-geahnt: "Noch mal am Tod vorbei, Glück gehabt.“ Tarkowski habe dieses Pferd dann kurz vor Szenenbeginn in den Hals geschossen und vor laufender Kamera über den Rand der Kulisse in den Abgrund gestürzt, unten von einem Reiter mit der Lanze durchbohren lassen. Nach der Einstellung schließlich, "off camera“, hat man dem durchbohrten, leidenden Pferd in den Kopf geschossen.
Bei aller Bewunderung für Tarkowski, er hätte alles daran setzen müssen - ein Leichtes letztlich -, dem vom Tod geretteten solche Grausamkeit zu ersparen, einfach mit filmischen Mitteln! Und war offensichtlich unfähig dazu. Vielleicht sagte er sich: "Für meine Kunst, für die Kunst, muss das Tier so realistisch sterben.“ Sagte sich: "Es wäre ja sonst auch gestorben. Jetzt tut es das für einen höheren Zweck.“
Realisierung statt Realismus
Aber wie hat er das über sein Herz gebracht, Tarkowski? Suhlt er sich nicht am Ende des Films im Symbol "Pferd“, zeigt uns "Pferde im Regen“? Ist ihm da, gerade da, nicht das eine, auf das er geschossen, das er in den Tod gestürzt hatte, in Erinnerung gekommen? Da, am Ende des Films, erheben sie sich in Farbe, stehen auf im Sommerregen. Sie symbolisieren das Leben, soll Tarkowski in einem Interview gesagt haben.
Wer sich aber des Symbols bewusst ist, dem muss es gerade als Künstler um die Realisierung des Symbols gehen, nicht um "Realismus“.
Hätte er das Symbol wirklich verstanden, dann wäre er über die ethische Konsequenz, die ein Erahnen des Sinns dieses Symbols "Pferd“ fordert, nicht hinweggegangen. Denn diese Wirklichkeit, letztlich eine psychische Wirklichkeit mit ungeheuerer Wirkmacht, erstreckt sich auch jenseits der Kamera, über jede Produktion eines Kunstwerks hinaus. Denn dann dient das Ästhetische - geht nicht auf Realismus oder sonst wohin, sondern auf Realisierung, Verwirklichung.
Dialog zwischen Unbewusstem und Bewusstem
Mit Realisierung meine ich den Prozess einer Zusammenarbeit zwischen zwei Gegensätzen: unserem Unbewussten und unserem ethisch-bestimmten Bewusstsein. "Realisiert“ - zu realer Wirkung gebracht - wird, was vom Unbewussten, etwa im Traum, an uns herangetragen, später im Wachzustand analysiert und interpretiert wurde. Der Sinn eines Symbols wird realisiert und damit: in unsere Alltagswirklichkeit gebracht, inkarniert. Der Dialog zwischen Unbewusstem und Bewusstsein muss ethische Konsequenz haben.
Die Tötung des Pferds bei Tarkowski - psychologisch: die Tötung der Lebenskraft, die uns trägt, der Libido - ist Symptom der Krankheit unserer Zeit, Symptom unserer Dissoziation. Wir sind innerlich nicht eins, sondern gespalten. Wir trennen daher auch außen unbewusst zwischen "Kunst“ und "Leben“. Und gehen soweit, für die Kunst zu "töten“.
Da verfiel einer unbemerkt dem Machtkomplex, ein dunkler Moment im Leben dieses großen Regisseurs, Schatten genug für ein ganzes Leben. Wäre es ein Traum gewesen und hätte er davon am Tag berichtet: "Ich schoß im Traum auf ein Pferd und habe’s zu Tode gestürzt“, bestünde durchaus Grund zur Vermutung, dass sich in diesem Bild eine schwere körperliche Krankheit ankündigt.
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