Originalton

Pumps in der Nacht

Eine Frau in Jakarta (Indonesien) trägt "high heels" oder Stöckelschuhe
Stöckelschuhe können auch spontan zum Gesprächsthema werden © AFP/Adek Berry
Von Peggy Mädler · 24.10.2014
Die Schriftstellerin Peggy Mädler erlebt im Hauptbahnhof Halle eine kuriose Szene: Biertrinkende, junge Menschen, ein Musiker, ein bürgerliches Ehepaar und eine Frau mit tätowierten Beinen unterhalten sich auf dem Bahngleis über Schuhe.
Nachts auf einem Bahnsteig in Halle-Hauptbahnhof, aus Weimar kommend von einem Gastspiel - es ist kurz nach 22 Uhr, zum Glück nicht kalt, denn der Anschlusszug nach Berlin hat Verspätung, geschätzte vierzig Minuten. Vier Reisende und zwei Polizisten auf dem Gleis, außerdem eine Gruppe von Männern und Frauen, Anfang Zwanzig, vielleicht auch älter, die lautstark signalisiert, dass sie zusammengehört. Ich trinke Wasser, sie trinken Bier - und das seit einer Weile schon, wie ihre Gesten und die leeren Flaschen zu ihren Füßen verraten. Das Ehepaar zu meiner Linken packt umständlich zwei Brezeln aus, der Mann zu meiner Rechten gähnt, schaut abwechselnd auf die Uhr und über die Gleise. Dreht sich eine Zigarette, die er nicht raucht. Die Polizisten verlassen den Bahnsteig.
Einige aus der Gruppe winken belustigt hinterher und singen sogar, prosten sich zu, eine weitere Runde Sternburger Pils, sie prosten auch mir zu, die ich zu ihnen hinübersehe, lachen kurz auf, dann gehen sie los. Verteilen sich und teilen sich auf: der Mann mit den grün gefärbten Haaren übernimmt das Ehepaar, ein anderer in kurzen Hosen den Mann neben mir und die Frau mit den tätowierten Waden steuert auf mich zu. "Entschuldigen Sie, darf ich mal fragen, wie viel ihre Schuhe gekostet haben?", werden vier Reisende zeitgleich gefragt. Spiel, Provokation oder der Anfang eines Gesprächs? Das und noch mehr ist spontan zu entscheiden. Die Ehefrau scheint verdutzt, vielleicht auch beunruhigt, nennt aber Preise und den Laden dazu.
Der Mann zu meiner Rechten merkt sich Preise grundsätzlich nicht. Er stellt sich als Musiker vor, seine Schuhe sind staubig und laufen spitz zu. Das Ehepaar erzählt, dass es gerade Urlaub macht. Ich erzähle, dass meine Schuhe das Geschenk einer Freundin sind, der die Schuhe zu klein waren. Die Frau mit den tätowierten Beinen nickt und fragt weiter, ob ich die Freundin mag. Sie möge jedenfalls meine Pumps. Ich schaue auf ihre geschnürten Boots und bin mir nicht sicher, ob sie das ernst meint. Der Musiker zeigt auf seine Geige, erklärt irgendetwas. Die Ehefrau erwähnt eine Tochter, die in Halle studiert. Schließlich kommt der Zug und vier Reisende steigen ein. Einige aus der Gruppe winken belustigt, singen sogar und öffnen das nächste Bier.

Peggy Mädler wurde 1976 in Dresden geboren. Sie lebt in Berlin und arbeitet als freie Dramaturgin. Sie ist Mitbegründerin des Künstlerkollektivs "Labor für kontrafaktisches Denken". Sie erhielt unter anderem das Alfred-Döblin-Stipendium der Berliner Akademie der Künste. "Legende vom Glück des Menschen", ihr erster Roman, erschien 2011 im Galiani Verlag. In der täglichen Rubrik "Originalton" der Sendung "Lesart" bitten wir Schriftsteller um kurze Texte.

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