Originalton

Nach Florenz!

Die Autorin Marjana Gaponenko, Chamisso Preisträgerin 2013
Die Autorin Marjana Gaponenko, Chamisso Preisträgerin 2013 © dpa / picture alliance / Yves Noir
Von Marjana Gaponenko · 06.08.2014
Kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen: "Originalton" heißt ein täglicher Bestandteil unserer Sendung "Lesart" - kurze Texte, um die wir Schriftstellerinnen und Schriftsteller bitten. In dieser Woche von Marjana Gaponenko.
Auf dem Weg zu meinem Gasthof begegnen mir ausschließlich Wesen weiblichen Geschlechts. Nach der Gesellschaft der alten Diva fällt es mir schwer, diese zerzausten, schlecht angezogenen Personen mit schlechter Haltung als Frauen, geschweige denn als Damen zu bezeichnen. Die mit den Hunden fallen durch ihren schlendernden Gang auf, sie gehen dicht an den Hausfassaden entlang. Manche Hunde, selbst nicht größer als ein Schuh, schmiegen sich an die Schuhe der Besitzerin, fiepen und wollen auf den Arm. Kein Wunder bei der Dämmerung, denke ich und werde schneller.
Das Gewitter war grollend vorübergezogen, ohne ein Blatt nass gemacht zu haben. Dennoch ist die Luft kühl und erdig wie in einem Weinkeller. Aus den Fenstern des griechischen Restaurants Odysseus strömt gelbliches Licht, alle Gäste, und das sind nicht wenige, scheinen draußen zu sitzen. Ein Kellner schwebt an den Tischen vorbei und balanciert ein Bierglas auf dem Tablett. Im Moment als er es abstellt, wird es zu einem großen Bernstein vor dem hellen Fensterquadrat. Merke es dir für dein Theaterstück, denke ich und stehe wenige Minuten später vor dem Gasthof Florenz.
Nomen est Omen
In der Wirtsstube finde ich das Wirtsehepaar - vor mehreren abgegessenen Tellern, in ein hitziges Gespräch vertieft. Es geht offenbar um die Finanzen. Nach einem flüchtigen Gruß trete ich in den Treppenflur. Sicher hat es einen Grund, warum der Gasthof nach der Mutter der Geschäftstüchtigkeit und der unbändigen Liebe zum Geld benannt wurde. Nomen est Omen, oder kommt die rundliche Wirtin etwa aus der Stadt der Medici? Im Traum stelle ich ihr diese Frage. "Si", nickt sie, "Si, Firenze".
Und schon höre ich mich weiter reden: Wissen Sie warum die Leibeigenschaft in Florenz Ende des 13. Jahrhunderts abgeschafft wurde. Nein? Dann fallen Sie nicht vom Stuhl. Hinter dieser Entscheidung stehen keine humanitären Gründe, sondern pragmatische Interessen der Kaufleute. Machen wir uns nichts vor! Die Wirtin reißt den Mund auf, nimmt eine Kartoffel aus der Tasche und beginnt sie mit den Vorderzähnen zu schälen. Ich rede weiter: die Kaufleute, diese Krämer wollten den Adel schwächen. "Warum wollen Sie mich beeindrucken?", fragt mich die Wirtin mit der Stimme von Madame Gros. "Wenn meine Bekanntschaft in Ihnen Eroberungsgelüste weckt, so wachen Sie lieber auf!"

Die Originaltöne kommen in dieser Woche von der jungen, in Odessa geborenen, auf Deutsch schreibenden Autorin Marjana Gaponenko. Sie lebt in Mainz und Wien.

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