Originalton

Montage im Herbstnebel

Über Nebelschwaden geht die Sonne am Montagmorgen (23.07.2007) über Üxheim in der Vulkaneifel an der Landesgrenze von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz auf.
An einem Montagmorgen geht über Nebelschwaden die Sonne auf. © picture alliance / dpa / Gero Breloer
Von Christoph Peters · 01.09.2014
"Originalton" heißt ein täglicher Bestandteil unserer Sendung "Lesart" - kurze Texte, um die wir Schriftsteller bitten. Diese Woche: Christoph Peters, viel auf Reisen, wohnhaft in Berlin.
Sie! – Ja genau, Sie. – Ich weiß, das ist ein alter Hut. Solche Spielchen sind hoffnungslos überholt, sowohl im Radio, als auch in der Literatur. Aber darum geht es nun mal: Um Sie und darum, dass heute Montag ist. Dem würden Sie doch zustimmen, oder? Sie gehen davon aus, in der Gegenwart zu sein, und durch die Nennung des Wochentags fühlen Sie sich bestätigt. Montag steht auch auf der Zeitung, die Sie oder vielleicht Ihr perfekt dressierter Hund, ein Golden Retriever ohne Hüftprobleme, vorhin aus dem Briefkasten gezogen haben. Und Sie haben Recht: Es ist Montag, aber eben nicht der 1. September 2014, sondern Montag, der 25. August, während ich mir diese Gedanken mache, die zu kompliziert für den Frühstückstisch oder den ersten Büroschlaf sind.
Auf der Autobahn ab Tempo 180 kann es zu regelrecht lebensgefährlichen Verknotungen kommen, nicht, weil mein Kopf besonders komplizierte, mit Fremdwörtern gespickte Hybridkonstruktionen des Satzbaus hervorbrächte, sondern wegen des Abgrunds, der sich auftut, wenn wir erst mittendrin sind in der Differenz, zwischen Jetzt und Jetzt. Der Boden beginnt zu schwanken unter Ihren Füßen oder unter den Reifen Ihres Panamera Porsches, während ich selbst im Zug sitze, der gleichfalls besorgniserregend zu vibrieren beginnt, sobald ich anfange – angefangen haben werde – dort jetzt auf den Gedanken von heute zurückzublicken. Ich bin nämlich nicht im Radio, auch nicht an meinem Schreibtisch sondern auf dem Weg nach München. Ich schaue aus dem Fenster, wie ich es gern tue auf langen Fahrten. Das beruhigt mich und gibt mir ein Gefühl der Freiheit. Aber jetzt weiß ich nicht, wie das Wetter draußen ist. So sehr ich mich auch bemühe, weder erkenne ich Wolken noch keine Wolken. Die Sonne mag dort oben im Süden stehen oder meinen Augen verborgen sein – ich sehe es nicht. –
Wehmut nach Gesprächen übers Wetter
Ein Bekannter schrieb mir neulich, und ich musste ihm mit Bedauern zustimmen, dass Gespräche über das Wetter heutzutage als "Inbegriff des Banalen" gälten, während die Literatur früherer Tage in unterschiedlichen Wolkenformationen, sanften Brisen, düsteren Orkanstürmen, tobendem Schnee oder Blitzeis die Seele ihrer Figuren gespiegelt gefunden hätte.
Während ich also an dem Montag, der bereits eine Woche zurückliegt, aber wie heute klingt, aus dem Fenster vor meinem Schreibtisch schaue, wo die Zweige der Silberweiden, bei denen es sich in Wahrheit um Hybridpappeln handelt, im schon kühler werdenden, gerade noch sommerlichen Licht von wechselnden Böen ergriffen werden und ihr charakteristisches Rauschen hören lassen, wird jetzt in unserer gemeinsamen Wirklichkeit, Ihrer mit der Kaffeetasse am Mund oder dem Steuer in der Hand, meiner zurückgelehnt und all den Abgrund der Zeit besinnend, die eine Scheibe ist, noch flacher als die Erde, vielleicht längst Dauerregen eingesetzt haben. Ich vermag nicht zu sagen, ob ich, als der, der schreibt, oder der, der spricht, der gerade von Ihnen gehört wird und sich gleichzeitig auf dem Weg nach München befindet, ob ich nicht vielleicht doch in einer Stimmung bin, die nur durch einen niederrheinischen Herbstnebel angemessen zum Ausdruck gebracht würde.
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